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Luka Modric: Vom Kriegsflüchtling zum Weltfußballer

14. Juni 2024

Kroatiens EM-Kader wird von Luka Modric angeführt. Er ist das Herz und die Seele der "Feurigen". Der Superstar von Real Madrid ist jedoch in seiner Heimat nicht unumstritten.

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Luka Modric im Trikot Kroatiens gestikuliert
Luka Modric ist Dreh- und Angelpunkt im Spiel der kroatischen Mannschaft - die EURO 2024 wird wohl sein letztes großes TurnierBild: Laci Perenyi/IMAGO

Kroatien ist wieder im Fußball-Fieber. Vor ihrem Start in die EURO 2024 am 15. Juni im Berliner Olympiastadion gegen Spanien (18 Uhr MESZ) feierte die kroatische Nationalmannschaft eine gelungene Generalprobe. Das Team um Kapitän Luka Modric besiegte Portugal in Lissabon mit 2:1 - auch dank Modrics starker Leistung. Der 38-jährige Star von Champions-League-Sieger Real Madrid war Dreh- und Angelpunkt beim letzten EM-Test.

Sein und Kroatiens Ziel bei der Europameisterschaft sei nichts anderes als der Titel, sagt Ines Goda Forjan der DW. Die kroatische Sportjournalistin hat die Mannschaft im Trainingslager vor der EURO in Deutschland beobachtet. "Das wird wohl sein letztes großes Turnier mit Kroatien", sagt Forjan über Modric. "Er ist ein besonderer Spieler, sehr fokussiert auf die Europameisterschaft, sehr motiviert. Er möchte mit Kroatien Geschichte schreiben."

Ines Goda Forjan
Sportjournalistin Ines Goda ForjanBild: RTL Hrvatska

EM-Titel für den Kapitän

Dabei hat das kleine Land an der Adria mit seinen 3,9 Millionen Einwohnern bereits zuvor Fußball-Geschichte geschrieben. Kroatien ist eine der erfolgreichsten Nationen der vergangenen Jahrzehnte. WM-Dritter 1998, WM-Zweiter 2018, WM-Dritter 2022, Niederlage im Finale der Nation League 2023. Jetzt soll ein Titel her, ein Titel für den Kapitän. "In der Kollektion fehlt nur noch Gold, es fehlt eine EM-Medaille. Eine Goldmedaille zum Abschied, das ist Modrics Traum", sagt Goda Forjan.

Die Experten sind sich einig: Modric macht seine Mitspieler besser, gibt der Mannschaft Sicherheit und Selbstbewusstsein und ist verlängerter Arm des Nationaltrainers Zlatko Dalic auf dem Spielfeld. Im Trikot der "Vatreni" (deutsch: die Feurigen) hat er bereits 175 Spiele absolviert und dabei 25 Tore erzielt. Goda Forjan hält ihn für den "besten kroatischen Fußballer aller Zeiten".

Der Unverzichtbare

Er werde, so Modric selbst, manchmal gefragt, warum er weiterhin für die Nationalmannschaft spiele, statt sich auf seinen Klub Real Madrid zu konzentrieren: "Ich spiele weiter für Kroatien, weil es immer noch etwas Besonderes ist. Es gibt für mich kein schöneres Gefühl, als für mein Land zu spielen", wird Modric auf der FIFA-Internetseite zitiert. "Ich möchte gern weiter für mein Land spielen, solange das Team mich braucht und solange ich helfen kann."

Politikwissenschaftler Dario Brentin
Politikwissenschaftler Dario BrentinBild: Privat

Diese Hingabe spüren auch die Fans. "Studien zeigen deutlich, dass die Erfolge der kroatischen Fußballnationalmannschaft zu den wesentlichen Gründen gehören, warum sie stolz darauf sind, Kroate oder Kroatin zu sein", sagt Dario Brentin von der Universität Graz in Österreich im Gespräch mit der DW. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeiten hat er häufig zu Sport und Politik auf dem Balkan geforscht.

"Die Erfolge im Fußball, aber auch in anderen Sportarten gehören neben der kroatischen Unabhängigkeit und dem sogenannten Heimat-Krieg in Umfragen oft zu den drei wichtigsten patriotischen, identitätsstiftenden Momenten kroatischer Geschichtsschreibung", sagt der Wissenschaftler.

Fußball als Anker im Krieg

Die Gründe für Modrics Liebe zum Nationalteam und zu seinem Land muss man in seiner Kindheit suchen. Sie war auf tragische Weise durch die blutigen Auseinandersetzungen des Jugoslawien-Kriegs geprägt. Modric war erst sechs Jahre, als 1991 der kroatische Unabhängigkeitskrieg ausbrach und serbische Freischärler ihn und seine Familie zwangen, aus ihrem Heimatort zu fliehen.

Während des Krieges wurde sein Großvater Luka, nach dem er benannt wurde, getötet. Modric nannte den Verlust seines Opas später "das Ereignis, das mich für mein Leben geprägt hat".

Spieler der Nationalmannschaft Kroatiens bei Mannschaftsfoto vor einem Länderspiel
Luka Modric (vorne, 1.v.r.) fühlt sich wohl im Kreise der kroatischen NationalmannschaftBild: Matija Habljak/PIXSELL/picture alliance

Der Fußball bot ihm einen Ausweg aus allem, was um ihn herum geschah. Auf alten Fotos aus seiner Kindheit sieht man ihn meistens mit einem Ball. Seine Fußballkarriere fing auf dem staubigen Gelände eines Hotels in der Küstenstadt Zadar an, das seiner Familie während des Kriegs als Zufluchtsort diente.

"1991 lebte er als Flüchtling in Zadar. 2018 wurde er zum weltbesten Fußballer gewählt", beschreibt Ines Goda Forlan den schweren Weg Modrics zum Weltstar. "2024 gewann er zum sechsten Mal die Champions League. Die Kroaten lieben Sport, noch mehr lieben sie Erfolge. Auf der Welle dieser Erfolge, vor allem im Fußball, bildete sich riesiger Nationalstolz."

Plumper Nationalismus

Dieses allgemein stark ausgeprägte Nationalbewusstsein schlägt gelegentlich in plumpen Nationalismus um. Nicht zuletzt Fußballer irritierten in der jüngeren Vergangenheit mit umstrittenen Gesten: Kroatiens Nationalspieler Josip Simunic wurde 2014 vom Weltverband FIFA unter anderem für die WM in Brasilien gesperrt, weil er nach einem Qualifikationsspiel den Gruß der faschistischen Ustascha-Bewegung gezeigt hatte.

Die inoffizielle Hymne der kroatischen Nationalmannschaft ist "Lijepa li si", ein Liebeslied des umstrittenen kroatischen Rockmusikers Thompson an seine Heimat. Thompson wird immer wieder vorgeworfen, rechtsextrem zu sein. Sein größter Hit ist "Bojna Cavoglave". Das Lied beginnt mit dem Gruß "Za dom spremni" (Für die Heimat bereit), dem Ruf der Ustascha.

Das Lied wurde auch schon in der Kabine der kroatischen Nationalmannschaft gesungen. Modric und seine Mitspieler posierten mit Thompson, der eigentlich Marko Perkovic heißt. Der Sänger stand auch bei den Feierlichkeiten nach der WM 2018 gemeinsam mit der Mannschaft auf dem Zentralplatz in Zagreb auf der Bühne. 

Luka Modric und seine Teamkollegen mit Musiker Marko Perkovic "Thompson" bei Feier nach der WM 2018
Luka Modric und seine Teamkollegen mit Musiker Marko Perkovic "Thompson" bei Feier nach der WM 2018Bild: Goran Stanzl/picture alliance

Viele Fans sehen diese Nähe kritisch. Die Spieler erwecken bisweilen den Eindruck, als wüssten sie gar nicht, welche Irritationen sie mit dieser Symbolik auslösen. Auch Modric äußert sich nicht dazu. Er distanziert sich auch nicht davon.

Er schweigt - obwohl er, wie Dario Brentin sagt, als Autorität einiges bewegen könnte: "Ich hätte mir gewünscht, dass er sich als moralische Instanz, als die er auch wahrgenommen wird, die Freiheit herausnimmt, gewisse Dinge in der Gesellschaft anzusprechen, die problematisch, unangenehm oder fragwürdig sind."

Geliebt und gehasst

Vor sechs Jahren sorgte Modric auch durch seltsame Auftritte vor Gericht für Irritationen. Er trat als Zeuge im Prozess gegen den Fußball-Paten Zdravko Mamic auf. Mamic war von 2003 bis 2016 Vereinsboss beim kroatischen Top-Verein Dinamo Zagreb, später Berater. 2018 wurde er in Kroatien wegen Steuerbetrugs zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Er entzog sich der Strafe, indem er über die Grenze nach Bosnien-Herzegowina floh, wo er seitdem lebt.

Modric wurde später selbst angeklagt - wegen des Verdachts einer falschen Aussage zugunsten Mamics. Es gab viele enttäuschte Fans, die überhaupt kein Verständnis für Modrics zwielichtige Verbindungen zum langjährigen Strippenzieher des kroatischen Fußballs hatten. Hassbotschaften und Schmähungen waren die Folge.

Man dürfe von Sportlerinnen und Sportlern schon erwarten, dass sie ihrer Vorbildfunktion gerecht werden, sagt auch Dario Brentin. "Was für die meisten zählt, sind allerdings seine fußballerischen Fähigkeiten. Daher werden ihm seine Fehltritte weitgehend verziehen." Sicherlich erst recht, wenn Luka Modric bei seinem letzten großen Turnier tatsächlich den Titel nach Kroatien holt.

Ein Mann mit Glatze, der einen Anzug trägt, steht vor einer Leinwand, auf der "Europa u fokusu" steht - der Name der kroatischen TV-Sendung der DW
Srecko Matic Redakteur, Autor, Reporter, vor allem für DW Bosnisch/Kroatisch/Serbisch