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EURO 2024: Sind Kroatiens Hooligans rechtsextrem?

14. Juni 2024

Deutschland empfängt zur EURO 2024 Zehntausende kroatischer Fußballfans. Sie gelten wegen Vorfälle in der Vergangenheit als gewaltbereit und rechtsextrem. Zu Recht?

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Fußballfans von Dinamo Zagreb feiern mit Leuchtraketen die Meisterschaft, einige begrüßen den Mannschaftsbus mit ausgestrecktem rechtem Arm
Im kroatischen Fußball gibt es frenetische Fangruppen - wie die Bad Blue Boys aus Zagreb - die als nationalistisch und rechtsextrem geltenBild: Marko Lukunic/PIXSELL/picture alliance

Michalis Katsouris war erst 29 Jahre alt, als er starb. Er sei in der Nacht durch mehrere Messerstiche schwer verletzt worden und später im Krankenhaus gestorben, berichteten am Morgen des 8. August 2023 griechische Medien unter Berufung auf die Polizei.

Die Tragödie passierte im Vorfeld des Champions-League-Qualifikationsspiels zwischen AEK Athen und dem kroatischen Spitzenklub Dinamo Zagreb in einem Athener Vorort. Bei schweren Ausschreitungen kroatischer und griechischer Hooligans traf ein Messerstich den AEK-Fan am Arm, Katsouris verblutete.

Im Internet kursierten anschließend Videos, die die Straßenschlachten der beiden Gruppen zeigen sollen. Die Szenen waren ein Schock, auch für Dino Vukusic. "Das war ein Präzedenzfall", sagt der Experte für Fanverhalten vom Zagreber Institut für Sozialwissenschaften "Ivo Pilar" gegenüber der DW. "Es war das erste Mal, dass eine kroatische Fangruppe in einen solchen tragischen, einen tödlichen Vorfall involviert war."

Böse blaue Jungs aus Kroatien

Das Blutvergießen hätte eigentlich nicht passieren dürfen. Die etwa 200 Mitglieder der Fangruppe "Bad Blue Boys" (BBB), Anhänger des kroatischen Meisters, die zum Spiel in Athen waren, hätten gar nicht nach Griechenland fahren dürfen. Gästefans waren nämlich gar nicht zugelassen. Nach der Tat wurden etwa 100 unter Verdacht stehende Kroaten sofort verhaftet.

"Es war mir ziemlich schnell ziemlich klar: Da stimmt etwas nicht. Bei den Bad Blue Boys gibt es nämlich einen Ehrenkodex, der das Mitführen von kalten Waffen [Messer etc. im Gegensatz zu Schusswaffen - Anm.d.Red.] strengstens verbietet", so Vukusic. Die griechischen Behörden fanden letztlich allerdings nichts Belastendes gegen die kroatischen Ultras, unter ihnen fünf Hauptverdächtige, und entließen bis Dezember 2023 alle Verdächtigen aus der Untersuchungshaft. Ein Täter konnte bis heute nicht ermittelt werden.

Gedenken an den getöteten Michalis Katsouris im Stadion von AEK Athen
Gedenken an den getöteten Michalis Katsouris im Stadion von AEK AthenBild: Dimosthenis Kamsis/AP Photo/picture alliance

Michalis' Tod schockierte den europäischen Fußball. UEFA-Präsident Aleksandar Ceferin forderte zum Kampf gegen "das Krebsgeschwür" Hooliganismus auf. "Das Problem ist nicht nur ein griechisches, sondern ein europäisches", sagte der Slowene damals bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem griechischen Ministerpräsidenten. "Wir müssen es eliminieren."

Ein europäisches Problem

Die Tragödie von Athen schlug auch in Kroatien hohe Wellen. Obwohl es in den ersten Tagen kaum offizielle Details über den Stand der Ermittlungen gab, hätten viele kroatische Medien vorverurteilend über die Fans berichtet, so Vukusic: "Wir haben praktisch jedes Wochenende irgendwo in Europa brutale Auseinandersetzungen, oft mit noch tragischeren Folgen. Es wurde aber so dargestellt, als ob dies ein exklusives kroatisches Problem ist."

Diese Gewalt sei typisch für die Subkultur der Fans. Sie habe ihre Regeln und gewisse Rituale. Und diese unterschieden sich kaum, egal ob es sich um den Balkan oder Westeuropa handele, erklärt Vukusic im Gespräch mit der DW.

Die kroatischen Ultras haben generell einen schlechten Ruf. In den vergangenen Jahren wird ihnen verstärkt nachgesagt, sie seien rechtsextrem. Nachdem kroatische Fans im März 2015 beim EM-Qualifikationsspiel in Norwegen mit rassistischen Gesängen auffielen, ordnete der europäische Fußballverband UEFA an, dass das nächste Heimspiel in Split gegen Italien unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollte. In der Nacht vor der Partie brannten Unbekannte mit einer chemischen Substanz ein riesiges Hakenkreuz in den Rasen. Die Folgen waren ein Punktabzug, 100.000 Euro Geldstrafe und zwei weitere "Geisterspiele".

Nach dem verlorenen Pokal-Halbfinale gegen Dinamo Zagreb im April 2024 stürmen vermummte Fans von Hajduk Splits den Rasen
Nach dem verlorenen Pokal-Halbfinale gegen Dinamo Zagreb im April 2024 stürmen Hajduk-Fans den Rasen und verwüsten das StadionBild: Zvonimir Barisin/PIXSELL/picture alliance

Die Bad Blue Boys, die zu den berüchtigtsten Ultras Europas zählen, marschierten 2022 vor dem Champions-League-Spiel des kroatischen Meisters Dinamo Zagreb bei der AC Mailand durch die Mailänder Innenstadt und zeigten dabei mit erhobenen, rechten Armen den faschistischen Ustascha-Gruß, der identisch zum Hitler-Gruß ist.

Beim kroatischen Erstliga-Spiel zwischen NK Rudes und Hajduk Split war im Sommer 2023 auf der Tribüne der heimischen Fans auch eine deutsche Reichskriegsflagge aus der Nazizeit mit dem unter Neonazis beliebtem Zahlencode "88" zu sehen. Die 8 steht für den achten Buchstaben des Alphabets, das H. Die "88" steht daher für "HH", eine Abkürzung der Nazi-Grußformel "Heil Hitler", die in Deutschland unter Strafe steht.

Zu Hajduk Spilt, dem anderen Top-Verein Kroatiens, unterhalten die Dinamo-Anhänger eine spezielle Feindschaft. Zwischen den Ultragruppen BBB und Torcida auf Hajduk-Seite kommt es immer wieder zu Ausschreitungen. Während der EURO 2024 in Deutschland sind solche Zwischenfälle allerdings wohl nicht zu befürchten, da die Torcida-Anhänger dem Nationalteam um Luka Modric kritisch gegenüberstehen und es eher nicht unterstützen.

"Kaum Kommunikation zwischen Fans, Klubs und Polizei"

Trotz aller Vorfälle warnt Aleksandar Holiga vor einer pauschalen Verurteilung. Der Sportjournalist des kroatischen Senders Telesport plädiert stattdessen für einen differenzierten Umgang mit solchen Exzessen. "Solche Symbole und Skandale passieren in diversen Ländern, und zwar in unterschiedlichen Kontexten", sagt Holiga der DW. "Sie haben zwar eine politische Dimension, sie werden immerhin öffentlich gezeigt. Allerdings handelt es sich meistens um infantile, geschmacklose, völlig deplatzierte Provokationen."

Fangruppen seien nicht homogen, weder politisch noch hinsichtlich anderer Einstellungen. Sie seien einfach ein Querschnitt der Gesellschaft und dürften daher nicht stigmatisiert werden, findet Holiga.

Fans der Ultragruppe "Bad Blue Boys" von Dinamo Zagreb mit Bengalos auf der Tribüne
Die Ultragruppe "Bad Blue Boys", die Dinamo Zagreb unterstützt, gibt es seit den 1980er JahrenBild: Igor Kralj/PIXSELL/picture alliance

Die schicksalhafte Nacht von Athen hätte eine Zäsur auch im kroatischen Fußball werden können. Die Regierung versprach danach schnelle Maßnahmen. Es war die Rede von neuen Fanprojekten, Bildungsmaßnahmen und verstärkter Präventionsarbeit.

Es sei aber seitdem nicht viel passiert, kritisiert der Soziologe Vukusic: "Es mangelt vor allem am Dialog", beklagt er. "Es gibt in Kroatien kaum Kommunikation zwischen Fans, Klubs und Polizei. Viele Probleme hätten in der Vergangenheit vermieden werden können, hätte man sich im Vorfeld zusammengesetzt und die Abläufe am Spieltag abgesprochen. In der Bundesliga gibt es Fanbeauftragte, das wäre doch eine gute Idee."

Positive Entwicklungen 

Es herrsche generell wenig Vertrauen in staatliche Institutionen, moniert Vukusic. Die Polizei reagiere oft unverhältnismäßig und fördere dadurch heftige Gegenreaktionen der Ultras. Dies müsse eigentlich vermieden werden.

"Es gibt Lösungsansätze. Zunächst müssten wir ein modernes Fan-Gesetz verabschieden. Verhältnismäßigkeit seitens der Polizei soll klar definiert werden", sagt Vukusic und fordert: "Wir müssen verstehen, was ein Fußballspiel ist und nach welchen Verhaltensregeln es abläuft. Fußball ist kein Theater. Fußball, das sind Rituale."

Fans von Hajduk Split mit Fanschals auf der Tribüne
Die Fußballfans in Kroatien - zum Beispiel bei Hajduk Split - werden mehr an den Vorgängen in ihrem Verein beteiligtBild: Luka Stanzl/PIXSELL/picture alliance

Zudem, so Vukusic, sollte über den Fußball in Kroatien nicht nur negativ berichtet, sondern auch die positiven Seiten gezeigt werden. Der Kampf um die Meisterschaft sei wieder spannend. Kriminelle und mafiaähnliche Strukturen würden bekämpft. Es gebe mehr Zuschauer auf den Rängen, neue Stadien würden gebaut.

Auch der Einfluss der Fans bei den großen Vereinen ist gewachsen, und sie haben nun mehr Mitspracherecht. Bei Dinamo Zagreb dürfen die Anhänger an der Wahl des Vereinspräsidenten teilnehmen. Beim großen Rivalen Hajduk Split ist das bereits seit Jahren gängige Praxis. 

"Die Mitbestimmung ist deswegen wichtig, weil dadurch der Dialog mit der Klubführung automatisch verbessert wird", sagt Dino Vukusic. "Er wird viel konstruktiver, es geht in die richtige Richtung." Außerdem müsse das tragische Kapitel Athen endlich aufgearbeitet werden. Damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederhole.

Ein Mann mit Glatze, der einen Anzug trägt, steht vor einer Leinwand, auf der "Europa u fokusu" steht - der Name der kroatischen TV-Sendung der DW
Srecko Matic Redakteur, Autor, Reporter, vor allem für DW Bosnisch/Kroatisch/Serbisch