Die Galápagos-Affäre: ein deutsches Aussteiger-Drama
2. September 2024Viele Menschen spielen bisweilen mit dem Gedanken, ihren schnöden Alltag hinter sich zu lassen und auf einer einsamen Insel neu anzufangen. Anfang der 1930er-Jahre tat eine bunt zusammengewürfelte Gruppe Deutscher genau das. Ihr Ziel: Floreana, eine damals noch unbewohnte Galápagos-Insel gute 1000 Kilometer vor der Küste Ecuadors.
Zwei Ehepaare und ein Dreiergespann reisten nacheinander dorthin, um ihr persönliches Paradies zu finden. Doch es kam zu heftigen Streitereien- und am Ende gab es Tote. Was geschah im Jahr 1934 auf Floreana? Die Geschehnisse sorgten damals weltweit für Schlagzeilen.
Auf der Suche nach dem Garten Eden
Das erste Paar, das 1929 auf Floreana landete, waren der deutsche Arzt Friedrich Ritter und seine Patientin und spätere Geliebte Dore Strauch. Sie wollten alle gesellschaftlichen Zwänge hinter sich lassen und unverdorben leben. Nackt, wie Gott sie schuf, ohne jeglichen Luxus. Um Zahnschmerzen vorzubeugen, ließ sich Ritter vor der Reise alle Zähne entfernen und durch Edelstahlprothesen ersetzen - die sich das Paar schließlich teilte.
Die Presse erfuhr durch Ritters Briefe, die er in die Heimat schickte, und durch Berichte von amerikanischen Forschern, die zoologische Untersuchungen auf der Insel durchführten, von dem Paar. Zeitungsleute verpassten ihnen den Beinamen "Adam und Eva".
Die Wirtschaft litt damals weltweit unter einer schweren Depression. Das machte dem Weltkriegsveteranen Heinz Wittmer, der im Büro von Bürgermeister Konrad Adenauer im Kölner Rathaus arbeitete, große Sorgen - ebenso wie der Gesundheitszustand seines Sohnes Harry aus erster Ehe. Die Geschichten von dem Aussteigerpaar auf der paradiesischen Sonneninsel begeisterte ihn, und so wanderte er 1932 mit seiner schwangeren zweiten Frau Margret ebenfalls nach Floreana aus. Sie brachte dort ihren Sohn Rolf zur Welt - angeblich der erste Mensch, der auf der Insel geboren wurde.
Ritter war nicht begeistert von den Neuankömmlingen, doch man lebte einigermaßen friedlich zusammen. Das änderte sich, als Antonia Wagner von Wehrborn Bosquet mit ihren beiden deutschen Liebhabern Rudolf Lorenz und Robert Philippson das ohnehin schon ausgefallene Lebenskonzept der anderen auf den Kopf stellte. Sie gab sich als österreichische Baronin aus und hatte hochfliegende Pläne: Ein Luxushotel mit dem klangvollen Namen "Hacienda Paradiso" sollte Floreana zum Treffpunkt der internationalen Schickeria machen.
Das Trio bemächtigte sich nicht nur der spärlichen Süßwasserquellen der Insel, sondern fing auch die eingehende Post ab und hortete Lebensmittellieferungen, die für die anderen bestimmt waren; Antonia Wagner von Wehrborn Bosquet erklärte sich gar zur "Kaiserin von Floreana".
Gegenseitige Anschuldigungen und heftige Auseinandersetzungen waren die Folge - und die Zustände auf der Insel alles andere als paradiesisch.
Was geschah auf Floreana?
Es kam zu ungeklärten Todesfällen, darunter dem des angeblichen Vegetariers Ritter, der nach dem Verzehr von verdorbenem Hühnerfleisch starb - seine Lebensgefährtin Dore, die er körperlich misshandelt hatte, hatte es ihm vorgesetzt. Die Baronin und Robert Philippson, die nach dem Scheitern ihrer Hotelträume nach Tahiti ziehen wollten, verschwanden spurlos. Der Dritte im Bunde, Rudolf Lorenz, wurde tot auf einer anderen Insel entdeckt; es wird angenommen, dass er verdurstete, weil es dort kein Süßwasser gab. Nur die Wittmers hielten durch. Heute betreiben ihre Nachkommen ein Hotel auf Floreana.
Obwohl seit den seltsamen Geschehnissen auf der Galápagos-Insel über 90 Jahre vergangen sind, sind die Erlebnisse der Aussteiger auch heute noch ein gefundenes Fressen für Presse, Autorinnen und Filmemacher. 2022 wurde ihnen auf Spotify eine Folge des Podcasts "Dark Histories" gewidmet, und im September dieses Jahres werden ein neues Buch und ein neuer Film die Geschichte aufgreifen.
"Ich denke, dass der Traum dieser Aussteiger universell und zeitlos war. Wer wollte nicht schon einmal sein Leben ändern und eine Utopie leben - auf der Suche nach dem Glück eben alles tun?", so die US-Autorin Abbott Kahler gegenüber der DW. "Für mich war das keine amerikanische Geschichte, keine europäische Geschichte, sondern eine menschliche Geschichte."
Kahler hat das Werk "Eden Undone - A True Story of Sex, Murder and Utopia at the Dawn of World War II" (etwa: Unvollkommenes Paradies - Eine wahre Geschichte von Sex, Mord und Utopie vor Beginn des Zweiten Weltkriegs) verfasst, das Ende September erscheinen soll. In dem Sachbuch wird die Geschichten der Gruppe anhand von umfangreichem Archivmaterial, darunter ihren Tagebüchern und Briefen, nacherzählt.
Eine Feministin mit Liebessklaven
Kahler stolperte eher zufällig über die Geschichte. Sie recherchierte für ein anderes Buch, als sie auf einen englischsprachigen Zeitungsausschnitt über "eine Baronin, die die Galápagos-Insel Floreana übernommen hatte" stieß. "Ihre Liebessklaven liegen in Ketten", stand dort. "Sie ist als 'verrücktes Höschen' bekannt."
Die ehemalige Kriminaljournalistin, die es bereits mit vier Sachbüchern in die New-York-Times-Bestseller-Liste geschafft hat, war fasziniert. Als sie tiefer in die Geschichte eintauchte, war sie besonders von der Baronin angetan. "Sie war eine Feministin - in dem Sinne, dass sie sich nicht scheute zu tun, wonach ihr der Sinn stand", erklärt Kahler. "Es war ihr egal, was andere über sie dachten. Sie scherte sich nicht darum, wie sich 'richtige' Frauen in dieser Zeit zu verhalten hatten. Und dafür habe ich sie sehr bewundert."
Besuch im Paradies
Im Rahmen ihrer Recherchen reiste Kahler von New York nach Floreana, wo sie sich mit der Tochter und der Enkelin von Margret Wittmer traf und die Orte besuchte, an denen die Aussteiger einst lebten.
Für Kahler war es eine Herausforderung, trotz fester Schuhe und moderner Annehmlichkeiten. "Es hat mir nur noch mehr Respekt für diese Menschen eingeflößt, denn es war körperlich, emotional und geistig sehr aufreibend und anstrengend."
Die Geschichte wird demnächst auch auf der Leinwand zu sehen sein: Oscarpreisträger Ron Howard hat sich des Stoffs angenommen; sein Film "Eden" feiert am 7. September beim Toronto Film Festival Weltpremiere. Zum Staraufgebot gehören Jude Law, Vanessa Kirby, Sydney Sweeney, Ana de Armas und der deutsche Schauspieler Daniel Brühl.
Howards Film und Kahlers Buch sind nur die neuesten Produktionen in einer langen Reihe von Publikationen über die Aussteiger; man braucht im Netz nur die Begriffe "Galápagos-Affäre" oder "Galápagos-Krimi" zu suchen, schon tauchen verschiedene Filme, Dokumentationen und Artikel aus den letzten Jahrzehnten auf.
Aber warum ist diese Geschichte so fesselnd? "Die Hölle, das sind die anderen", zitiert Kahler den berühmten französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und erklärt, dass die ersten Aussteiger, die sich auf die Galápagos-Inseln zurückzogen, nicht damit rechneten, dass ihnen andere folgen würden. Jeder dort habe seine eigenen inneren Dämonen mitgebracht, der von den anderen nicht eingefangen werden konnte. "Ich glaube, wenn man auf einer einsamen Insel wirklich glücklich sein will, muss man wirklich allein sein. Man darf überhaupt niemanden mitnehmen."
Andernfalls könnte, wie in diesem Fall, die Realität in puncto Spannung jede Fiktion übertrumpfen.
Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords