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Zugeschnittene politische Strukturen

Ute Schaeffer25. Mai 2003

Am Sonntag (25.5.2003) wählen die Armenier ein neues Parlament. Aber auch künftig werden die Volksvertreter die Probleme des Landes kaum lösen können. Dafür sorgt der mächtige Präsident Robert Kotscharjan.

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Freundlich und machtbewusst: Armeniens Präsident KotscharjanBild: DW

Insgesamt 21 Parteien und Bündnisse sowie etwa 1100 Einzelkandidaten bewerben sich um einen Sitz im armenischen Parlament. Zusätzlich sind die Bürger Armeniens dazu aufgerufen, über Verfassungsänderungen abzustimmen. Präsident Robert Kotscharjan beteuert zwar seine Absicht, mit Hilfe des Referendums die Rechte des Parlaments zu stärken, aber die Opposition glaubt nicht daran. Sie wirft ihm eine weitere Machtkonzentration vor.

Jemand, der die übergroße Macht der Regierung am eigenen Leib zu spüren bekam, ist Mark Grigorian. Er war Vertreter der Organisation für Pressefreiheit "Reporter ohne Grenzen" in Armenien, und leitete das Kaukasische Medieninstitut in der Hauptstadt Eriwan. Der unabhängige Journalist, der für seine kritische Berichterstattung bekannt ist und auch mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) seit Jahren zusammenarbeitet, entging im Oktober 2002 nur knapp einem Anschlag. Schon Monate vorher hatte die Staatsmacht alles unternommen, um ihn unter Druck zu setzen. "Die Regierung teilte mir drei Leibwächter zu. Doch eigentlich wusste ich nicht genau, ob diese dazu da waren, mich zu beschützen oder um mich eines Tages zu ermorden", sagt der Journalist.

Gefährliche Recherche

Der Grund: Der Journalist hatte recherchiert - zu einem heiklen Thema. Es ging um die politischen Hintergründe des Anschlags auf das armenische Parlament im Jahr 1999, bei dem eine ganze Reihe hochrangiger Politiker und Kabinettsmitglieder ums Leben kamen. Die Suche nach den Hintermännern des Anschlags war den Machthabern ein Dorn im Auge. Zumal die Präsidentschaftswahlen vor der Tür standen.

Diese entschied Präsident Kotscharjan im Februar 2003 mit 67,5 Prozent der Stimmen klar für sich. Der Europarat und die OSZE sprachen jedoch von "schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten" bei der Wahl. Aus Protest gegen das Ergebnis gingen tausende Oppositionsanhänger in der Hauptstadt Eriwan auf die Straße.

Kein gleicher Zugang zu Medien

Die von Grigorian geleitete Wahlbeobachtungskommission befasste sich unter anderem mit der Medienberichterstattung während des Wahlkampfes. Ihr Urteil war eindeutig - die politischen Parteien hätten nicht gleichermaßen Zugang zu den Massenmedien gehabt. "Die Einschätzung unseres Teams war sehr negativ, was die armenischen Medien angeht. Und nur einen Tag nach unserer öffentlichen Stellungnahme erhielt ich einen Anruf, in dem man mir mitteilte, dass alle Ermittlungen in meinem Fall eingestellt worden seien."

Für Grigorian ein Zeichen dafür, dass von Gewaltenteilung in Armenien immer noch keine Rede sein kann: "Bei uns ist die Judikative unter der totalen Kontrolle der Exekutive und in gewisser Hinsicht sind auch die anderen Gewalten unter der Kontrolle der Exekutive. In der Realität werden auch die Medien, die wir haben, durch verschiedene politische Kräfte gesteuert. Das Fernsehen wird fast vollständig durch die Regierung kontrolliert."

Wahlen können nicht viel ändern

An dieser Situation und der Dominanz der Präsidialmacht werden auch die Parlamentswahlen nichts ändern. Die entscheidenden armenischen Parteien vertreten die Interessen einiger weniger politisch einflussreicher Gruppen im Land, sagt Grigorian. Seiner Meinung nach sind die wichtigsten politischen Kräfte im Land die Warlords und das Militär. Von den 100 Parteien, die es im Land gebe, hätten nur drei Gruppen wirklich Einfluss: die politische Partei des Miltärs, die der Regierungsbürokraten und die Partei der Großunternehmer.

Wie in vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion schneidet die herrschende politische Klasse in Armenien die politischen Strukturen auf ihre Bedürfnisse zu - zum Nachteil des Großteils der armenischen Bevölkerung. Das christliche Armenien gilt als das Armenhaus im südlichen Kaukasus. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit ist hoch, viele Jugendliche gehen ins Ausland. Die Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan sind geschlossen, die Beziehungen zum Nachbarstaat Georgien sind schwierig, der Konflikt um Berg-Karabach ungelöst. Riesenaufgaben also, vor denen die politische Führung Armeniens steht. Die Parlamentswahl allerdings wird sie ihrer Lösung kaum näher bringen.