Wie nahe sind sich Deutschland und die USA wirklich?
22. Oktober 2024Mit den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA stand es während der Präsidentschaft von Donald Trump nicht gerade zum Besten. Als Joe Biden 2021 das Amt übernahm, bemühten sich beide Länder darum, die Beziehungen angesichts ihrer historischen Verbindungen, gemeinsamen Sicherheitserfordernisse und Werte wieder in ruhigere Fahrwasser zu bringen. Immer gelang das jedoch nicht.
Nord Stream 2, der Pipeline, die Erdgas direkt von Russland nach Deutschland befördern sollte, standen die USA schon immer ausgesprochen kritisch gegenüber. Unter Freunden war das ungewöhnlich. Auch der Druck, den die USA auf Deutschland ausübte, die chinesischen Mobilfunkanbieter Huawei und ZTE von seinen 5G-Netzwerken auszuschließen, brachte Deutschland in eine unangenehme Lage.
Darauf folgte der katastrophale – und für die europäischen Verbündeten überraschende – Abzug US-amerikanischer Truppen aus Afghanistan im August 2021. Der Rücktritt von Angela Merkel nach 16 Jahren als deutsche Kanzlerin im selben Jahr kam weniger überraschend, brachte aber auch Veränderungen mit sich. Ihr Nachfolger Olaf Scholz traf sich bereits mehrfach mit Biden und vergisst nie, zu betonen, wie wichtig gute bilaterale Beziehungen sind.
Doch wie steht es heute um die transatlantischen Beziehungen? Bei welchen Themen stimmen die Vereinigten Staaten und Deutschland überein und wo könnte es noch besser werden?
Koordiniertes Vorgehen
Einer der wichtigsten Konfliktpunkte zwischen Deutschland und dem ehemaligen US-Präsidenten Trump waren die unzureichenden Ausgaben Europas für die NATO und die Verteidigung im Allgemeinen.
Der Krieg Russlands in der Ukraine hat seit dem Ende von Trumps Präsidentschaft dieses Thema in den Vordergrund gerückt. Nachdem Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, sieht auch Deutschland die Notwendigkeit, neu über seine Militärausgaben und Sicherheitspolitik nachzudenken.
Die Vereinigten Staaten haben sich währenddessen als verlässlicher Verbündeter und größter Unterstützer der Ukraine erwiesen, gefolgt von Deutschland. Wenige Tage nach dem Einmarsch hielt Scholz eine bewegende Rede, in der er von einer "Zeitenwende" sprach. Für die bislang verteidigungspolitisch eher passiv agierende Bundesrepublik war die Ankündigung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr eine beachtenswerte Kehrtwende.
Deutschland unterstützte verschiedene Sanktionen der USA gegen Russland und arbeitete gemeinsam an einem heiklen Gefangenenaustausch. Russisches Gas zählt nicht länger zu den Hauptenergiequellen Deutschlands. Stattdessen importiert das Land verflüssigtes Erdgas (LNG) unter anderem aus den USA. In den Augen der USA bestätigte diese Abkehr von russischem Gas das lang gehegte Misstrauen gegenüber Russland und den Nord-Stream-Pipelines.
Militärische Macht und Langstreckenraketen
In Bezug auf den Krieg in Gaza ähnelt sich die Haltung der beiden Länder. Beide unterstützen Israel und unternehmen große diplomatische Anstrengungen, um eine langfristige Waffenruhe auszuhandeln.
Ein Punkt, bei dem es zu Unstimmigkeiten zwischen Washington und Berlin kommen könnte, ist eine verstärkte Militärpräsenz der USA in Deutschland. Derzeit sind mehr als 35.000 aktive US-Militärangehörige in Deutschland stationiert, mehr als im gesamten Rest der EU. Viele Europäer schätzen die Sicherheit, die diese Präsenz bietet.
Ab Anfang 2026 wollen die USA erstmals seit den 1990er Jahren wieder Langstreckenwaffen in Deutschland stationieren. Die Waffen würden nicht nur dem Schutz Deutschlands dienen, sondern auch dem der östlichen NATO-Mitglieder wie Polen und den baltischen Staaten. Beschlossen wurde diese Übereinkunft ohne parlamentarische Debatte. Sie wird nicht nur von der extremen Rechten wie Linken kritisiert, sondern auch von Mitgliedern der Regierungskoalition.
Wirtschaftliche Interessen
Auch wirtschaftlich sind die beiden Länder eng verwoben. Die Vereinigten Staaten sind der größte Handelspartner Deutschlands, deutsche Unternehmen sind mit mehr als 900.000 Arbeitsplätzen der drittgrößte ausländische Arbeitgeber in den USA, so die Deutsche Botschaft in Washington.
Etwa 85 Prozent der US-Amerikaner und 77 Prozent der Deutschen bezeichnen die Beziehungen laut einer Ende letzten Jahres von der Pew Research Center und der Körber-Stiftung veröffentlichten Umfrage als gut.
Der Umfrage zufolge betrachtet die Mehrheit in beiden Ländern den wachsenden Einfluss Chinas als nachteilig für ihre Länder. Sieben von zehn US-Amerikanern sehen China als ernsthafte Bedrohung für ihre Wirtschaft und Sicherheit. In Deutschland dagegen stuft nur etwa der Hälfte der Befragten China als wirtschaftliche Bedrohung ein.
Trotzdem gab Deutschland erst kürzlich nach und folgte dem US-amerikanischen Beispiel, indem es chinesische Unternehmen aus seinen 5G-Netzwerken verbannte. Wie die USA baut auch Deutschland seine Kapazitäten für die Chipherstellung aus, um sich unabhängiger von ausländischen Unternehmen zu machen. Das gilt insbesondere für TSMC aus Taiwan, für den Fall, dass China in das Land einmarschieren sollte.
Die USA sähen gerne, dass Deutschland gegenüber China eine härtere Gangart einlegt, um das Land wirtschaftlich in Schach zu halten. Dabei gehen die USA selbst voran und kündigten Anfang des Jahres strikte neue Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge an.
Kaum hatte die Europäische Union jedoch eigene Zölle angekündigt, zog sich Deutschland zurück, aus Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen gegen den eigenen Automobilsektor.
Eine zweite Trump-Präsidentschaft wäre eine Herausforderung
Auch in Zukunft sollte es nicht schwierig sein, weiterhin Gemeinsamkeiten zwischen den USA, Deutschland und Europa zu finden. Unter einer Präsidentin Kamala Harris würden die Dinge vermutlich mehr oder minder beim Alten bleiben. Den Deutschen wäre das am liebsten, doch vorsichtshalber bereitet sich die deutsche Regierung darauf vor, dass die Präsidentschaftswahl anders ausgehen könnte.
Würde Trump gewinnen, hätte dies ernstzunehmende Konsequenzen in Bezug auf die Unterstützung der USA für die Ukraine und die Zahl der in Europa stationierten US-Truppen. Der ehemalige Präsident hat den Wert der transatlantischen Beziehungen schon häufig in Frage gestellt und betrachtet Europa als wirtschaftlichen Konkurrenten. Geringere Zusammenarbeit, mehr Zölle oder sogar ein Handelskrieg könnten daraus folgen.
"Trump 2.0 würde einen noch drastischeren Bruch in den transatlantischen Beziehungen als 2017-2020 bedeuten", schreibt Rachel Tausendfreund in einem im September veröffentlichten Artikel zu den US-Wahlen. Sie ist Senior Research Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und überzeugt, dass Deutschland sich unabhängig davon, wer die Wahl gewinnt, als nützlicher Partner für die transatlantische Sicherheit und die globale Strategie anbieten muss, denn für seine eigene Sicherheit hängt Deutschland stark von den USA ab.
In der Vergangenheit hat Deutschland zahlreiche Zugeständnisse an die USA gemacht, um die Dinge am Laufen zu halten. Diese Taktik scheint beiden Seiten entgegenzukommen und wird sich wohl nicht ändern. Denn auch in engen Freundschaften sind Partner nicht immer auf gleicher Höhe.