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Deutsche Politiker und der Austausch: "Deal mit dem Teufel"

2. August 2024

Erleichterung in Deutschland über die befreiten Gefangenen aus Russland und Belarus. Aber auch große Nachdenklichkeit über den hohen Preis, den der Rechtsstaat dafür zahlt. So läuft die Debatte am Freitag.

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Bundeskanzler Olaf Scholz, unscharf im Vordergrund, wartet auf die freigelassenen Ex-Gefangenen aus Russland uns Belarus, das Flugzeug ist bereits gelandet
Warten auf die Freigelassenen: Bundeskanzler Olaf Scholz in der Nacht auf dem Flughafen Köln/BonnBild: Marvin Ibo Güngör/Bundesregierung/Getty Images

Auch dem Bundeskanzler war anzumerken, wie erleichtert er über den glücklichen Ausgang des Gefangenen-Austausches war: In der Nacht auf Freitag begrüßte Olaf Scholz am Flughafen in Köln/Bonn zwölf der Freigelassenen.

Das geschah eher still und zurückhaltend im Vergleich zu den USA, wo US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris etwa den Journalisten Evan Gershkovich vor laufenden Kameras in die Arme schlossen.

Scholz sprach stattdessen nur wenige Worten. Er sagte etwa, der Austausch habe nur "durch intensive Kooperation mit vielen Ländern Europas und ganz besonders mit den Vereinigten Staaten von Amerika über eine ganz lange Zeit" erfolgen können.

Und weiter: Er glaube, dass das am Ende doch die richtige Entscheidung sei. Wer Zweifel daran habe, verliere diese nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit seien.

"Tiergarten-Mord": im Auftrag Russlands

Tatsächlich war es ein spektakulärer Austausch, eine diplomatische Großleistung zwischen westlichen Staaten und Russland, ganz unabhängig von jeder moralischen oder ethischen Bewertung. 

Russland ließ bei dem Austausch 16 Gefangene frei, darunter vier mit deutschem Pass. Im Gegenzug kamen acht Russen frei, unter anderem der so genannte Tiergarten-Mörder Vadim Krassikow. Er war Ende 2021 zu lebenslanger Haft in Deutschland verurteilt worden, weil er nach Überzeugung eines Berliner Gerichts im August 2019 einen tschetschenischstämmigen Georgier im Kleinen Tiergarten in der Hauptstadt erschossen hatte . 

Ist der Rechtsstaat in die Knie gegangen?

Vor allem um ihn und um die Frage, ob ein Rechtsstaat einen verurteilten Mörder einfach so freilassen darf, dreht sich die Debatte in Deutschland. Aber anders als viele Debatten zu aktuellen politischen Themen war und ist sie von Nachdenklichkeit und Maß gekennzeichnet.

So äußerten auch führende Oppositionspolitiker von der konservativen CDU ihre grundsätzliche Zustimmung. Vielleicht auch deshalb, weil Scholz mitteilte, CDU-Chef Friedrich Merz sei vorab informiert gewesen und habe sein Einverständnis signalisiert.

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sagte im Deutschlandfunk, Deutschland habe einen "gravierenden Nachteil" in Kauf genommen: "Aber der wird gerechtfertigt durch den menschlichen Gewinn, durch Freiheit und die Befreiung von Folter für 16 Menschen."

Pointiert fasste der Außenexperte der SPD, Michael Roth, das deutsche Dilemma zusammen. Er schrieb auf der Plattform X, manchmal müsse man "aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen." In diesem Fall mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Amnesty: Es ist kein Austausch von Kriegsgefangenen

Befragt nach den rechtlichen Grundlagen, nach denen Deutschland gehandelt hat, äußerte sich Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty Internationalin Deutschland, in der DW. Er sagte: "Das humanitäre Völkerrecht enthält Regeln zum Austausch von Kriegsgefangenen. Im aktuellen Fall handelt es sich aber nicht um Kriegsgefangene, und es gibt keine festen Regeln, die Staaten einzuhalten haben."

Auch im deutschen Recht gebe es keine Regelungen für einen Gefangenenaustausch. Die Bundesregierung hat hier Paragraf 456a der Strafprozessordnung zu Hilfe genommen, nach dem von einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe unter bestimmten Voraussetzungen abgesehen werden kann." Eine Verfügung, die für die Bundesregierung Justizminister Marco Buschmann (FDP) traf.

Klar ist offenbar, dass der Austausch zustande kam, weil Putin vor allem den in Berlin inhaftierten Mörder Krassikow freipressen wollte.  Und US-Präsident Joe Biden in erster Linie auf die Freilassung von Gershkovich Wert legte.

Rico K. sitzt in Belarus mit gefesselten Händen hinter Gitterstäben
Rico K. wurde in Belarus zum Tode verurteilt, dann begnadigt und ist nun in FreiheitBild: youtube.com/@atnbtrc

Kiesewetter: Russland ist ein Terrorstaat

Hat Deutschland, hat vor allem Kanzler Olaf Scholz auf Druck aus den USA reagiert und deshalb der Freilassung eines Mörders aus einem deutschen Gefängnis zugestimmt?

Dazu sagt der rechtspolitische Sprecher der CDU, Günter Krings: Die Rechtsordnung könne nicht "beliebig außenpolitischen Überlegungen untergeordnet werden." Er halte den Austausch für grundfalsch, fügte Krings hinzu. In seiner Partei vertritt er diese Meinung allerdings allein.

Aber Befürchtungen, welche Folgen die Aktion in naher Zukunft haben könnte, die gibt es schon. So sagt der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter der DW: "Aus menschlicher Perspektive war dieser Deal für einige politische Häftlinge wie Wladimir Kara-Mursa und Evan Gershkovich wohl die einzige Möglichkeit, lebend aus der russischen Geiselhaft zu entkommen."

Dennoch sei Russland ein Terrorstaat, der einen Krieg gegen unsere Art zu leben führe. "Dazu gehört auch, dass mit Geiseldiplomatie exakt dieses Dilemma hervorgerufen werden soll," so Kiesewetter.

Das Dilemma also, dass der Rechtsstaat gegen seine eigene Prinzipien verstoßen muss, um Menschenleben zu retten. Kara-Mursa ist ein russisch-britischer Politiker und Journalist, auf den mindestens zwei Giftanschläge verübt wurden und der im April 2023 zu 25 Jahren Strafkolonie verurteilt wurde , weil er den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilt hatte.

Strategie aus dem Kalten Krieg

Bedeutet der geglückte Austausch nun, dass neue diplomatische Gesprächsfäden in den Kreml möglich sind und eventuell mithelfen könnten, den Krieg in der Ukraine zu beenden?

Vor einer solchen Sichtweise warnt der Politologe David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Er sagt der Deutschen Presse-Agentur: "Dies ist weder eine vertrauensbildende Maßnahme, noch weckt sie Hoffnungen auf ein besseres Verhältnis zu Moskau oder Minsk."

Vielmehr zeige sich, dass die aus dem Kalten Krieg bekannte Strategie der Freipressung eigener Staatsbürger, oft aus dem Sicherheits- und Geheimdienstbereich, durch die Inhaftierung ausländischer Staatsbürger in Russland und Belarus weiter zum diplomatischen Repertoire dieser Staaten gehöre.