Wie junge Menschen Afrikas politische Kultur verändern
14. Dezember 2024Zwei Trends werden Afrikas Zukunft prägen: Das rasante Wachstum der Städte und die extrem junge Bevölkerung. Rund 70 Prozent der Menschen auf dem Kontinent sind jünger als 30 Jahre. Und ab 2035 werden die meisten Menschen in Städten leben.
Das könnte auch die politischen Verhältnisse verändern, glaubt Titus Kaloki. Er ist Programmkoordinator für "Just Cities" und Politik bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kenia. Die deutsche politische Stiftung steht der regierenden SPD nahe. Für einen Workshop der FES, des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen (Ifri) und des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) über politische Partizipation in afrikanischen Städten und die Rolle der jungen Bevölkerung ist Kaloki nach Berlin gekommen.
Hier wirft er Fotos von den erfolgreichen Protesten der GenZ, also der zwischen 1995 und 2010 geborenen Generation, an die Wand: Junge Kenianer und Kenianerinnen in der Hauptstadt Nairobi zwangen Mitte des Jahres Präsident William Ruto dazu, Steuererhöhungen auf Brot, Öl und Benzin zu stoppen und das Kabinett umzubilden.
"Sie haben es geschafft, komplizierte Sachverhalte wie Steuergesetze oder juristische Dokumente zu enträtseln, indem sie diese verständlich erklärt und in verschiedene Sprachen übersetzt haben", sagt Kaloki anerkennend.
Eine zentrale Organisation oder Führungsfigur gebe es nicht. Vielmehr erfolge die politische Mobilisierung nach Themen und stütze sich auf die neuen technologischen Ausspielwege.
Dabei habe die urban geprägte GenZ zunehmend auch ein Bewusstsein dafür, die politischen Zusammenhänge mit den Gleichaltrigen auf dem Land zu teilen. Die Bewegung entwickle sich weiter - "von reaktiv zu proaktiv".
Protestieren statt wählen
"Wir können uns in den nächsten Jahrzehnten sicherlich darauf freuen, mehr Proteste zu sehen", sagt Lena Gutheil. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungs- und Beratungsprojekt Megatrends Afrika am staatlich finanzierten German Institute of Development and Sustainability (IDOS) ist fasziniert davon, Urbanisierung, demographischen Wandel und politische Partizipation zusammen zu denken.
Ihre Beobachtung: Junge, urbane Menschen in Afrika gehen besonders selten wählen, und schließen sich selten politischen Parteien an. Sie nutzen die formellen Formen von demokratischer Beteiligung also wenig. Stattdessen protestieren sie lieber. Dahinter stecke auch Frust, sagt Gutheil, denn nur jeder sechste junge Mensch habe einen stabilen Job, ein Drittel sei arbeitslos.
"Das Gefühl, nicht Teil der Gesellschaft zu sein", mache sich breit. Selbst wenn der Staat Unterstützung liefere, sei der Unterschied zu dem, was Menschen in den reichen Vierteln der Städte zur Verfügung hätten, riesengroß.
Darin sieht die Wissenschaftlerin eine Gefahr. Sie rechnet damit, dass die "populistische Ansprache” steigen wird - und zwar mit Blick auf die jungen Leute in ebendiesen informellen Siedlungen.
Was tun gegen "Demokratie auf leeren Magen"?
Titus Kaloki kennt das Leben in informellen Siedlungen. Eine FES-Studie von 2022sieht in solchen Vierteln das Ergebnis kolonialer Aufteilung des städtischen Raums. Er betont: Fast 70 Prozent der informellen Siedlungen erfüllten eine wichtige ökonomische Funktion, sie seien die "wahren Treiber von Wachstum".
Die Wahrnehmung dieser Bevölkerungsgruppe entspricht in der Wirklichkeit allerdings genau dem Gegenteil. Kaloki: "Leider sind viele nicht anerkannt, deshalb nehmen sie nicht am offiziellen politischen Prozess teil." Sie gingen erst gar nicht zu Bürgerversammlungen im Rathaus und verzichteten auf Austausch mit lokalen politischen Akteuren.
"Die Demokratie muss liefern, damit die Menschen auch wieder mehr davon überzeugt sind, dass das System funktioniert." findet auch Lena Gutheil. Sie sieht die afrikanischen Regierungen in der Pflicht, etwa wenn es darum geht, Infrastruktur oder öffentliche Güter bereitzustellen.
Titus Kaloki setzt auf neue Plattformen für Beteiligung und staatsbürgerliche Bildungsarbeit, die erklären, warum es wichtig ist, sich zu beteiligen, und wie jeder sich einbringen kann.
Außerdem - und das geht an die Adresse der europäischen Partner - brauche es einen fairen Umgang mit Ressourcen. "Wir betreiben Demokratie auf leeren Magen", sagt Kaloki, dabei müsse man einen ehrlichen Dialog über dekolonisierte Beziehungen wiederaufnehmen.
Investieren und Desinformation vorbeugen
"Die EU muss ihren Ansatz der Demokratieförderung überdenken", fordert Titus Kaloki. Es reiche nicht, auf demokratische Werte zu drängen, "das muss mit strategischer Planung und Geldmittelbereitstellung einhergehen."
Ganz konkret stellt Kaloki sich eine Win-Win-Situation so vor: Ein europäischer Konzern wie Siemens könnte mit Geldmitteln der EU schnelle öffentliche Verkehrsmittel in Nairobi bauen.
"Das würde nicht nur dem Konzern Gewinn bringen, sondern auch dabei helfen, die lokale Wirtschaft anzukurbeln und die Lebensqualität zu steigern." Ein besserer öffentlicher Nahverkehr würde sehr vielen Menschen zugutekommen, denn fast 40 Prozent der Einwohner der Millionenstadt müssten bisher zu Fuß gehen, sagt Kaloki.
Für die Zukunft steht viel auf dem Spiel. "Ich habe Hoffnung, bin aber auch besorgt", sagt Kaloki. Einerseits gebe es Vernetzung und Wertschätzung: Menschen in Nigeria und Uganda hätten sich inspirieren lassen von der GenZ in Kenia und eigene Protestbewegungen ins Leben gerufen - "auf eine gute, demokratische Weise".
Sorgen macht Kaloki hingegen der Autoritarismus, der beispielsweise nach Militärputschen in der Sahelzone Einzug erhalten hat. Unter Druck gerät die Demokratie in Afrika auch durch Desinformation, die im Netz wie offline grassiert.
Titus Kaloki warnt deshalb: "Es muss genau darauf geachtet werden, wie die GenZ-Bewegungen sich mobilisieren, wie sie untereinander kommunizieren und sich vor Desinformation und vor Echokammern schützen können."