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Wie geht es Maja T. aus Deutschland in ungarischer Haft?

21. August 2024

"Eine Schande": Zwei Linken-Politiker zeigen sich nach einem Besuch bei Maja T. entsetzt über die "erdrückenden Haftbedingungen" in dem ungarischen Gefängnis. Einblicke in einen umstrittenen Fall der Justiz.

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"Freiheit für Maja" steht auf einem Transparent, das Demonstrantinnen und Demonstranten auf einer Kundgebung in Leipzig kurz nach der Auslieferung Maja T.s nach Ungarn mit sich führen
Solidarität mit Maja T. auf einer Demonstration Anfang Juli in Leipzig (Sachsen)Bild: Sebastian Willnow/dpa/picture alliance

Was ist passiert? Maja T. aus Deutschland ist mutmaßlich linksextremistisch und soll sich im Februar 2023 in Budapest an Angriffen auf Personen aus dem rechtsextremen Milieu beteiligt haben. Die Gruppe der Beschuldigten hat sich angeblich um die inzwischen in Deutschland verurteilte Lina E. gegründet. Nach Darstellung ungarischer Behörden sei auf die Angegriffenen mit Teleskopstangen eingeschlagen worden.

T. wurde im Dezember 2023 in Berlin festgenommen und anschließend in Dresden in Untersuchungshaft genommen. Schon zuvor hatte Ungarn einen europäischen Haftbefehl erlassen. Eine Auslieferung in das unter Viktor Orban autoritär regierte Land, das zurzeit die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union (EU) innehat, wollten Maja T.s Anwälte unbedingt verhindern. Sie gaben zu bedenken, dass Antifaschistinnen und Antifaschisten wie Maja T. kein faires Verfahren erwarten dürften.

Zweifel an Ungarns Rechtsstaatlichkeit

Hinzu kommt: Maja T. ist non-binär, nimmt sich also weder als eindeutig weiblich noch männlich wahr. Deshalb habe man Haftbedingungen zu erwarten, unter denen die Menschenrechte nicht gewährleistet seien, argumentierten die Anwälte. Ihre Bedenken scheinen berechtigt zu sein, denn Ungarn steht wegen Zweifeln an seiner Rechtsstaatlichkeit immer wieder in der Kritik. Daran erinnert auch das Fachportal "Legal Tribune Online" (LTO), das sich mehrmals mit dem Fall Maja T. befasst hat.

Eine große, bunte Menschenmenge mit Fahnen und Sonnenschirmen in den Regenbogenfarben beteiligt sich in Ungarns Hauptstadt Budapest am "Pride March" der queeren Community
Queere Menschen, wie hier auf dem "Pride March" in Budapest, sind in Ungarn oft Anfeindungen ausgesetztBild: Bernadett Szabo/REUTERS

Streitigkeiten über Auslieferungen nach Ungarn seien bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegangen. Eine als rechtmäßig erachtete Auslieferung wurde demnach damit begründet, auf Zusicherungen zu den Haftbedingungen müssten sich Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) verlassen können. Maja T.s Anwälte taten das aber nicht. Im Gegenteil: Sie legten beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde ein und beantragten, die Auslieferung per Eilentscheidung zu verhindern. Die Richter kamen dem Antrag nach.

Staatsanwaltschaft düpiert Bundesverfassungsgericht

Am 28. Juni 2024 untersagte das höchste deutsche Gericht, T. auszuliefern: Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft wurde angewiesen, "durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken." Doch T. war schon ausgeliefert worden an Ungarn. Das Bundesverfassungsgericht war düpiert.

Auf einem gelben Schild vor dem Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes steht das Wort "Bundesverfassungsgericht", darüber prangt der schwarze Bundesadler mit gespreizten Flügeln
Das Bundesverfassungsgericht untersagte die Auslieferung Maja T.s - doch die Berliner Justiz wartete die Entscheidung nicht abBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

In einer Pressemitteilung kritisierte es das Vorgehen der Berliner Justiz: Es werde zu klären sein, ob das für die Auslieferungsentscheidung zuständige Kammergericht seinen Aufklärungspflichten zu den Haftbedingungen gerecht geworden sei.

 "Zum anderen bedarf es der näheren Überprüfung, ob das Kammergericht auf der Grundlage der vorliegenden Auskünfte der ungarischen Behörden davon ausgehen durfte, dass der Schutz des Antragstellers, der sich als non-binär identifiziert, hinreichend gewährleistet worden wird. Dies erscheint zumindest zweifelhaft." 

Auslieferungsexperte: "Das Vorgehen ist beschämend" 

Der mit Auslieferungsverfahren vertraute Kölner Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas hält die von der Berliner Justiz zu verantwortende Auslieferung T.s für "rechtswidrig". Dem juristischen Fachportal "LTO" sagte er: "Ein solches Vorgehen kenne ich von Schurkenstaaten wie Russland und dem Iran, nicht jedoch von einem Rechtsstaat. Das Vorgehen ist beschämend."

Der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan steht schwarz gekleidet vor einer roten Wand, auf der in regelmäßigen Abständen der Parteiname "Die Linke" in weißer Schrift zu sehen ist
Martin Schirdewan, Vorsitzender der Linken: "Die Haftbedingungen von Maja T. sind erschreckend" Bild: Soeren Stache/dpa/picture alliance

Auch der Vorsitzende der Linken in Deutschland, Martin Schirdewan, spricht von einer "Schande". Gemeinsam mit der Bundestagabgeordneten Martina Renner besuchte er Maja T. am 21. August 2024 im Gefängnis. "Ich möchte mit unserem Besuch dazu beitragen, öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Skandal zu lenken", hatte Schirdewan vor der Abreise erklärt.

Nach dem Besuch äußerte er sich entsetzt: Maja T. sei bedrückenden Haftbedingungen ausgesetzt, sagte der Linken-Politiker im Telefoninterview mit der Deutschen Welle. "Uns wurde von Maja T. erzählt, dass sie permanent von einer Kamera überwacht wird, keinen Kontakt zu anderen Häftlingen hat, 23 Stunden am Tag in der Zelle verbringen muss, keinen Sport treiben kann." Trotzdem habe vor ihnen eine mit Handschellen gefesselte Person gesessen, die mit ihrer Situation sehr gefasst umgehe, sagte Schirdewan.

Erfolgloser Antrag auf Hafterleichterungen

T.s Anwälte Sven Richwin und Maik Elster hoffen, dass durch das Engagement der Linken Bewegung in den Fall kommen wird. Die Justiz in Budapest habe alle Anträge auf Hafterleichterungen abgelehnt, obwohl Maja T. seit acht Monaten in Untersuchungshaft sitze und sich kein Verhandlungstermin abzeichne. "Angesichts der desaströsen Haftbedingungen in Ungarn ist es nötig, genau im Blick zu behalten, was dort geschieht."

Große Sorgen um das Wohl seines Kindes macht sich T.s Vater Wolfram Jarosch. Zweimal habe er Maja T. im Gefängnis besuchen dürfen, berichtete er der "Süddeutschen Zeitung" Anfang August. Eine Stunde habe er jeweils Zeit gehabt, um mit ihm durch eine Plexiglasscheibe zu sprechen. "Einsam" und "ziemlich hoffnungslos" sei der Zustand seines Kindes, das ihm von Bettwanzen und verschimmeltem Essen berichtet habe.

Online-Petition "Holt Maja zurück!"

Mit Hilfe einer Petition auf der Plattform "Campact" will Jarosch erreichen, dass Maja nach Deutschland zurückgeholt wird und dass niemand mehr nach Ungarn ausgeliefert wird. Das Ziel sind mindestens 75.000 Unterschriften, mehr als 64.000 sind es schon (Stand: 21.08.2024).

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland