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Linksextremismus in Deutschland: Wie gefährlich ist er?

2. Juni 2023

Der deutsche Verfassungsschutz sieht ein "hohes Radikalisierungsniveau". Das Beispiel der verurteilten Lina E. scheint diese Einschätzung zu bestätigen.

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Die linke Szene in Leipzig mobilisiert mit riesigen Transparenten an einer Hausfassade zum Protest gegen die verurteilte Linksextremistin Lina E. Auf den schwarzen Bannern steht in weißer Schrift "Solidarität mit allen verfolgten Antifaschist*innen!" und "Heraus zur Demo am Tag X"
Trotz Verbots einer Solidaritäts-Demonstration für Lina E. in Leipzig rechnen Sicherheitsbehörden mit Ausschreitungen Bild: Sebastian Willnow/dpa/picture-alliance

Gefährliche Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung – wegen dieser Vorwürfe wurde die Studentin Lina E. am 31. Mai 2023 vom Oberlandesgericht Dresden zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Drei Mitangeklagte erhielten Strafen von maximal drei Jahren und drei Monaten. Die von dem Quartett überfallenen Opfer waren Rechtsextremisten.

Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats erinnerte in seiner Urteilsbegründung an den Angriff auf einen mutmaßlichen Neonazi, der wegen einer Mütze mit rechtsextremem Logo schwer verprügelt und "für sein Leben gezeichnet" worden sei. Diese Tat zeige, wohin der militante Antifaschismus führe. 

Mehr gewaltorientierte Linksextremisten

Dazu passt das, was der Verfassungsschutz 2022 in seinem Bericht über den Linksextremismus in Deutschland geschrieben hat: Das Gefahrenpotenzial bleibe "weiterhin hoch". Die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten sei um rund 700 auf 10.300 gestiegen. "Gewalttaten werden von konspi­rativ und professionell agierenden Kleingruppen planvoll und ge­zielt durchgeführt."

Polizeieinsatz mit Wasserwerfern und Räumfahrzeugen vor dem Haus Rigaer Straße 94 in Berlin; auf der Straße liegen umgeworfene Müllcontainer und Sperren mit Stacheldraht.
Linksextremistisches Symbol in Berlin: Rund um ein besetztes Haus in der Rigaer Straße gibt es oft StraßenschlachtenBild: Andreas Rabenstein/dpa/picture alliance

Im Fokus der Gewalt stehen laut Verfassungsschutz "vor allem die Polizei und als solche ausgemachte Rechtsextremisten, aber auch weiterhin Wirtschaftsunternehmen, vor allem aus der Immobili­enbranche". Zudem versuchten Teile der Szene, Einfluss auf die Klimaproteste zu nehmen.

Weniger linke Straftaten

Rein statistisch betrachtet ist der Linksextremismus jedoch stark rückläufig – zumindest beim Blick auf die registrierten Straftaten. Die im Mai 2023 vom Bundeskriminalamt (BKA) präsentierten Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität ergeben insgesamt ein Minus von 31 Prozent. 

Allerdings betrifft das überwiegend Propagandadelikte und Sachbeschädigungen. Die Zahl der erfassten Körperverletzungen ist im Jahresvergleich lediglich um knapp neun Prozent von 438 auf 399 gesunken. Das Gegenteil ist beim Rechtsextremismus zu beobachten: ein Anstieg um über 16 Prozent von 869 auf 1013.

Bundeskriminalamt ist alarmiert

BKA-Präsident Holger Münch nimmt diese Entwicklungen sehr ernst: "Sie richten sich gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und gefährden unseren gesellschaftlichen Frieden." Damit meint er insbesondere den Rechtsextremismus und die im Internet weit verbreitete Hasskriminalität. 

Derweil attestiert der Verfassungsschutz dem gewaltorientierten Linksextremismus ein "hohes Radikalisierungsniveau". Die Gewaltbereitschaft sei bei eini­gen Szeneangehörigen derart ausgeprägt, "dass sie sich vom Rest des gewaltorientierten Spektrums abgrenzen und in kleinen Gruppen eigene, akribisch geplante und häufig äußerst brutale Taten bege­hen".

Hotspots: Berlin, Hamburg, Leipzig

Als Schwer­punktregionen werden die Großstädte Berlin, Hamburg und Leipzig bezeichnet. Die vor kurzem zu einer hohen Haftstrafe verurteilte Lina E. stammt aus Leipzig. Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser kommentierte den Richterspruch mit den Worten: "Diese Radikalisierungs- und Gewaltspirale darf sich nicht weiter steigern." Offenbar seien die Hemmschwellen gesunken, vermutet die Sozialdemokratin.

Die Urteile gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten stießen in der linksextremistischen Szene auf hohe Resonanz, sagte Nancy Faeser. Deshalb würden die Sicherheitsbehörden sie "genau im Blick behalten". Man gehe genauso entschieden gegen den Linksextremismus vor wie gegen Rechtsextremismus oder auch den islamistischen Terrorismus.

Verfassungsschutz: keine Entwarnung

Obwohl linksextremistische Straf- und Gewalttaten zuletzt zurückgegangen sind, sieht der Verfassungsschutz keinen Anlass zur Entwarnung: Nach dem starken Anstieg in den Vorjahren sei das als "Konsolidierung auf hohem Niveau" zu werten. Behördenchef Thomas Haldenwang ordnet den Fall Lina E. in eine langjährige Entwicklung ein: "Wenn sich die Radikalisierungsspirale weiterdreht und die Taten immer brutaler und hemmungsloser werden, dann rückt der Moment näher, in dem man auch von Linksterrorismus sprechen muss", heißt es in einer Erklärung auf der Homepage des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV).

"Autonomen Antifaschismus verteidigen!" steht auf einem Transparent, das während einer Demonstration im September 2021 in Leipzig in die Höhe gehalten wird. Die meisten Leute tragen wegen der damals akuten Corona-Pandemie Schutzmasken.
Seit Beginn des Prozesses gegen Lina E. im September 2021 demonstrierte die Antifa in Leipzig und anderen Städten Bild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Schon länger auf dem Schirm von Sicherheitsbehörden ist der zunehmende Protest gegen die Klimapolitik. Linksextremisten versuchten ihre Aktions­formen einschließlich der Begehung von Straf- und Gewalttaten als legitimes Mittel im politischen Meinungskampf zu rechtfertigen, heißt es dazu im Bericht des Verfassungsschutzes.

Quo vadis "Letzte Generation"?

Ziviler Ungehorsam werde umgedeutet. Vorsätzlich ausgeübter und mitunter gewaltsamer Wider­stand werde in eine Reihe gestellt mit Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen, die gewaltlos gegen Unrechtssysteme protestierten. Als diese Analyse erstellt wurde, gab es in Deutschland allerdings noch keine systematischen Straßen-Blockaden der sich selbst "Letzte Generation" nennenden Klimaschutz-Gruppe.

Inzwischen landen deren Mitglieder, die sich mit ihren Händen auf Autobahnen festkleben und damit den Verkehr zum Erliegen bringen, immer häufiger hinter Gittern. Im Mai fanden landesweit Razzien statt wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden löste eine hitzige Debatte über die Verhältnismäßigkeit aus. 

Keine Gewalt gegen die Polizei

Schon bevor es so weit gekommen war, hatte der Politikwissenschaftler und Extremismus-Forscher Armin Pfahl-Traughber in einem Podcast der "Bundesfachstelle Linke Militanz" die Aktivisten der Letzten Generation gegen den Vorwurf des Linksextremismus in Schutz genommen: "Sie lassen sich von der Polizei festnehmen. Sie wehren sich nicht dagegen. Sie wenden keine Gewalt gegen Polizeibeamte an."

All das seien Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem Agieren von Linksextremisten. Legitimieren möchte Pfahl-Traughber die Aktionen aber nicht. Er halte sie wegen des weit verbreiteten Unmuts in der Bevölkerung auch für "strategisch verfehlt". Und er sorgt sich um die weitere Entwicklung: "Wenn es zu großen Frustrationserlebnissen in der Klima-Bewegung kommt, dann könnte sich eine kleine Gruppe immer mehr radikalisieren."   

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland