Warum mag mein Hund mich nach meiner Fehlgeburt nicht mehr?
24. Mai 2023Anna ging es schon seit Tagen schlecht. Die junge Selbstständige aus dem US-Bundesstaat Virginia konnte sich nicht erklären, was los war – und dann gesellte sich noch ein weiteres Problem zu ihrer Übelkeit und der Unsicherheit: Ihr Hund benahm sich auffallend seltsam. Lulu, ein Pudel, der normalerweise mehr an Anna hing als an ihrem Ehemann, wollte plötzlich nicht mehr in ihrer Nähe sein.
Wie sich herausstellte, war Anna schwanger. Das fand sie aber erst nach starken Blutungen und einem Aufenthalt in der Notaufnahme heraus. Dort sagte man ihr, dass ihr eine Hochrisikoschwangerschaft bevorstünde, falls der Fötus überleben sollte.
Sie und ihr Mann kehrten im Schockzustand aus dem Krankenhaus zurück. Für Anna war es der härteste Tag ihres Lebens. Alles, was sie wollte, war, sich Zuhause hinzulegen und mit ihrem Hund zu kuscheln. Aber Lulu weigerte sich.
Anna, die eigentlich anders heißt, sagt, sie war wütend auf ihren Hund. Sie hatte das Gefühl, dass Lulu sie während der Zeit, in der es ihr besonders schlecht ging, ignorierte.
"Sie schlief nicht mehr neben mir, so wie sie es sonst fast jede Nacht tat, seit wir sie haben", erzählt Anna im DW-Gespräch. "Sie wollte nur noch neben meinem Mann schlafen, was sie vorher noch nie getan hatte."
Einige Tage später verstarb der Fötus. Anna hatte Unterstützung noch nie so nötig wie in dieser Zeit, doch Lulu kam ihr weiterhin nicht zu nahe. Das abweisende Verhalten ihres Hundes machte ihr schwer zu schaffen. "Ich dachte immer, Hunde sollen dir bedingungslose Liebe zeigen", sagt Anna.
Hunde riechen Veränderungen im menschlichen Hormonspiegel
Nach Annas Curettage, bei der die Überreste des Fötus entfernt wurden, dauerte es noch einige Tage bis sich Lulu wieder normal verhielt. Heute ist sie "sehr viel liebevoller" und kuschelt auch wieder mit Anna.
Aber warum hatte sich das Verhalten des Tieres so drastisch verändert?
"Hunde riechen Pheromone und bei einer Schwangerschaft oder nach einer Fehlgeburt verändert sich der Geruch ihrer Bezugsperson", sagt Hundetrainerin Sissy Leonie Kreid, die Tierwissenschaften an der Universität Wageningen in den Niederlanden studiert und die"Akademie Hund" in Regensburg gegründet hat.
Kreid sagt, solche Änderungen im Hormonspiegel eines Menschen können das Verhalten eines Hundes beeinflussen. Aber das ist nicht die einzig mögliche Erklärung für das, was zwischen Anna und Lulu passiert ist.
"Menschen verhalten sich nach einer Fehlgeburt anders, sie werden trauriger, vielleicht sogar verzweifelt. Der Hund versteht diese Veränderung nicht und braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen", sagt Kreid.
Genau das erlebte Anna mit ihrem Hund.
"Es tut mir leid, dass Lulu total verwirrt gewesen sein muss", sagt Anna. "Also jetzt tut es mir leid. Zu dem Zeitpunkt war ich einfach nur wütend."
Kreid sagt, dass das Verhalten des Hundes sich wahrscheinlich normalisiert, wenn das auch die menschlichen Hormone nach einem Ereignis wie einer Fehlgeburt tun. Normalerweise ist der Hund nach wenigen Wochen wieder der Alte, manchmal – wie im Falle von Annas Pudel – auch schon nach wenigen Tagen.
Wenn der Hund als erster von der Schwangerschaft weiß
Hunde können Lawinenopfer finden oder Menschen, die nach einem Erdbeben unter den Trümmern begraben wurden. Auch im Gesundheitsbereich sind die Tiere gefragt: Sie können Krebs oder COVID-19 erschnüffeln. Und manchmal wissen sie schon sehr früh, dass ein Mensch in ihrem Umfeld schwanger ist.
"[Mein Hund] mied mich schon, bevor ich selbst von der Schwangerschaft wusste", sagt Anna.
Basierend auf ihrer jahrelangen Erfahrung mit hunderten von Hunden und ihren menschlichen Familien sagt Kreid, dass Hunde es merken, wenn Veränderung in der Luft liegt.
"Wir haben keine wissenschaftlichen Daten dazu, ob Hunde wissen, was genau diese Veränderung ist. Aber an ihrem Verhalten können wir sehen, dass sie offensichtlich wahrgenommen haben, dass etwas anders ist", so Kreid.
Von Phantomschwangerschaft bis Wachhund-Verhalten
Benedict, ein Fitnesstrainer aus Bonn, bestätigt, dass Familienhund Merle es definitiv bemerkte, als Benedicts Frau mit ihrem ersten Kind schwanger war.
"Merle hatte auf einmal diesen Nestbautrieb", erzählt Benedict im DW-Gespräch. "Sie hat Kuscheltiere zusammengesammelt und sich eine gemütliche Ecke eingerichtet. Es war, als hätte sie eine Phantomschwangerschaft."
Andere Hunde werden extrem anhänglich oder legen ein streng bewachendes Verhalten an den Tag, wenn jemand in ihrer menschlichen Familie schwanger ist, sagt Kreid.
"Der Hund wird dann vielleicht kontrollierend und beschützend und erlaubt es nicht, dass eine ihm fremde Person neben der Schwangeren sitzt", sagt die Expertin. "Sie können auch aggressiv Geräusche, die von draußen ins Haus dringen, verbellen."
In einem solchen Fall empfiehlt Kreid dringend, einen Experten oder eine Expertin für Hundeverhalten heranzuziehen, weil sich die Situation sonst noch verschlimmern könnte, sobald das Baby da ist. Ein Grund: Hunde können Eifersucht empfinden, wie eine US-Studie von 2014 herausfand.
"Empathie mit dem Hund muss die erste Reaktion sein", sagt Kreid. "Wenn ein Baby unterwegs ist, ist das eine unsichere, verwirrende Situation für den Hund. Das kann es für die Menschen auch sein – aber der Hund hat viel weniger Kontrolle darüber, also kann er nervös oder neurotisch werden. Da ist es wichtig, Verständnis zu zeigen."
Den Hund aufs Baby vorbereiten
Wenn die Familie ein Baby erwartet, empfiehlt es sich, den Hund so früh wie möglich darauf vorzubereiten. Ein guter Schritt ist es beispielsweise, jemand anderen als die schwangere Person auszuwählen, der oder die für die Fütterung des Hundes und fürs Spazierengehen zuständig ist – und damit langsam früh in der Schwangerschaft beginnt. So gibt es keine abrupte Änderung, wenn die schwangere Person irgendwann nicht mehr zu diesen Tätigkeiten in der Lage ist.
Außerdem ist es eine gute Idee, den Hund an Babygeräusche zu gewöhnen. Man könne beispielsweise Weinen und Quengeln auf dem Handy abspielen und damit immer wieder am Hund vorbeigehen, damit er später "nicht aufspringt oder bellt, wenn man ein weinendes Baby herumträgt", sagt Kreid.
Es gibt also schon vor der Geburt viel zu tun. Für die Zeit danach lautet Kreids wichtigster Rat: Baby und Hund niemals allein miteinander lassen.