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Warum Deutschland seine Emissionen weiter senken muss

Louise Osborne
16. Januar 2025

Weltweit arbeiten die Staaten daran, den Treibhausgas-Ausstoß zu senken. Deutschland ist für weniger als zwei Prozent verantwortlich. Warum das immer noch zu viel ist.

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BdTD | Gaarz, Deutschland |Photovoltaik-Park liefert Strom für die Deutsche Bahn
Deutschland war lange Vorreiter für Erneuerbare EnergienBild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Die deutsche Stromerzeugung war im Jahr 2024 mit einem Anteil von 62,7 Prozent an erneuerbaren Energien so sauber wie nie zuvor. Das zeigen jüngste Berechnungen.

Grund ist der Ausbau von grüner Energie und der Rückgang der Kohleverstromung. Dank dieser bereits länger andauernden Entwicklung konnte das Land seine Emissionen aus der Stromerzeugung seit 2014 halbieren.

Laut Andreas Löschel, Umweltökonom an der Ruhr-Universität Bochum, wurden die Emissionen in vielen Sektoren gesenkt. Dabei gibt es bei verschiedenen Parteien unterschiedliche politische Ansichten darüber, wie die Energieversorgung umweltfreundlicher gestaltet werden kann.

"Die Energiewende insgesamt wurde nie in Frage gestellt. Das wurde von allen Parteien über drei Jahrzehnte hinweg unterstützt. Das ist meiner Meinung nach ziemlich einzigartig und spiegelt das allgemeine Engagement der deutschen Bevölkerung", sagte Löschel, der auch Vorsitzender der Expertenkommission zur Überwachung der Energiewende der Regierung ist.

Während sich Deutschland auf die vorgezogenen Neuwahlen im Februar vorbereitet, ändert sich dies jedoch. Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD), die in den Umfragen auf Platz zwei liegt, will die Bemühungen des Landes beenden,  in den nächsten zwei Jahrzehnten kohlenstoffneutral zu werden und leugnet den Zusammenhang zwischen Emissionen und Klimawandel.

Grosse Windkraftanlagen an der deutschen Nordseeküste, im Vordergrund durch die Ebbe freigelegtes Watt
Windenergie ist ein wichtiger Teil der deutschen EnergiewendeBild: Hartwig Lohmeyer/JOKER/picture alliance

Da die etablierten Parteien derzeit keine Regierungskoalition mit der AfD in Erwägung ziehen, ist es unwahrscheinlich, dass es die Partei in dieser Wahl an die Macht schafft.

2024 hatte sich die Reduktion der Treibhausgasemissionen in Deutschland leicht verlangsamt. Sie sanken zwar um 3 Prozent und erreichten damit einen historischen Tiefstand. Der Rückgang war aber deutlich langsamer als die 10 Prozent im Jahr 2023.

Wer ist für die Kohlenstoffemissionen verantwortlich?

Im Jahr 2022 war Deutschland für rund 1,75 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich.

Zum Vergleich: Im selben Jahr erzeugte China, der größte Emittent, knapp ein Drittel des in die Atmosphäre geblasenen CO2 weltweit. Ein weiteres Drittel entfiel auf stark industrialisierte Länder, die jeweils mehr als 2 Prozent Kohlenstoffdioxid ausstoßen. Die Vereinigten Staaten waren für etwa 13 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich.

"Das letzte Drittel besteht aus den Ländern, die alle weniger als 2 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen", so Hannah Ritchie, stellvertretende Redakteurin und leitende Forscherin der Universität Oxford angegliederten wissenschaftlichen Plattform Our World in Data. "Alle kleinen Emittenten zusammengenommen ergeben mehr als China emittiert", so Ritchie gegenüber der DW.

China: Klimasünder oder Vorreiter?

Das sei einer der Gründe, warum selbst relativ emissionsarme Industrieländer wie Deutschland weiter an der Dekarbonisierung arbeiten müssten. "Selbst auf einer grundlegenden mathematischen Ebene funktioniert es nicht, wenn wir keine Maßnahmen ergreifen."

Und trotz der Fortschritte, die Deutschland bisher gemacht hat, bleibt es unter den zehn größten Emittenten weltweit. Dabei lebt in Deutschland nur etwas mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung. Im Jahr 2023 emittierten die Deutschen im Schnitt etwa 7,1 Tonnen pro Person. Das liegt deutlich über dem weltweiten Durchschnitt von 4,7 Tonnen.

Globale Verantwortung

Deutschland war eines der ersten Länder, das sich industrialisiert hat. Daher, so argumentieren Experten, habe es auch die Pflicht, seine Emissionen schnell zu senken. Auf dem Höhepunkt seines Industrieausbaus im späten 19. Jahrhundert war Deutschland für etwa 17 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich.

"Unsere historischen Emissionen sind viel größer als unsere heutigen. Das hat uns einen viel höheren Lebensstandard gebracht", so Ritchie. Und weil CO2 zwischen 300 und 1000 Jahre lang in der Atmosphäre bleiben kann, heizen die Emissionen aus der früheren Industrialisierung von Ländern wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich den Planeten noch heute auf und wirken sich auf das Leben in weit entfernten Gebieten aus.

Die internationale Iniative World Weather Attribution (WWA) untersucht den  Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und Wetterextremen wie Starkregen, Überschwemmungen und Dürren. Nach ihren Analysen war der Klimawandel im Jahr 2024 an 26 der untersuchten Extremwetterereignissse beteiligt. Dabei starben mindestens 3.700 Menschen, Millionen weitere wurden vertrieben.

Aufgetürmte Autos und Müll auf einer Straße nach den Überflutungen in Valencia, Spanien
Bei starkem Regen und Überschwemmungen starben im Herbst 2024 in Spanien mehr als 200 MenschenBild: David Ramos/Getty Images

Dazu gehörten unter anderem Hitzewellen in Asien und Europa, extreme Regenfälle in Indien, Afghanistan, Iran, Pakistan und Spanien, Dürre in Südamerika und Italien, Waldbrände in Brasilien und Chile sowie Stürme in den Vereinigten Staaten und auf den Philippinen.

Die Länder des globalen Südens haben insgesamt deutlich weniger CO2 ausgestoßen und sind daher am wenigsten für die Klimakrise mitverantwortlich. Doch sie werden am stärksten von extremen Wetterereignissen getroffen. "Wir haben zu diesem Problem des globalen Klimawandels beigetragen", argumentiert Ritchie. "Deshalb haben wir eine moralische Verantwortung, unseren Wohlstand und unseren hohen Lebensstandard zu nutzen, um unsere Emissionen zu reduzieren."

Energie für die Zukunft

In den frühen 2000er Jahren nutzte Deutschland seinen Reichtum, um mit Hilfe staatlicher Subventionen Anreize für den Ausbau der Solarenergie zu schaffen und damit Pionierarbeit für eine damals neue Technologie zu leisten, die die Emissionen senken sollte. "Ohne die deutsche Politik im Bereich der erneuerbaren Energien hätten wir nicht erlebt, dass die Solartechnologie weltweit eingesetzt wird und für viele Länder der Welt ein großer Erfolgsfaktor ist", sagt der Bochumer Umweltökonom Löschel. 

Er fügt hinzu, dass die größte europäische Volkswirtschaft sich auch weiterhin auf die Reduzierung ihrer Emissionen konzentrieren sollte, um Innovationen im Bereich sauberer Technologien in anderen Ländern zu fördern. "Wir müssen zeigen, dass es möglich ist, ein Industrieland zu haben, das mit den Herausforderungen des Klimawandels Schritt halten und Technologien und Systemlösungen entwickeln kann, die zeigen, dass dies kein Grund für einen wirtschaftlichen Niedergang oder einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit sein wird."

Nach der geltenden nationalen Gesetzgebung ist Deutschland verpflichtet, seine Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu senken. David Ryfisch, Co-Leiter der Abteilung für internationale Klimafinanzierung bei der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch, ist überzeugt, dass ein vorausschauender Ansatz auch anderen nationalen Interessen dienen würde. "Wir sehen, dass erneuerbare Energien, insbesondere Wind- und Solarenergie, auch Batterien, Elektrolyse usw. alle den gleichen technologischen Pfaden folgen, die in der Geschichte erfolgreich waren. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass auch diese Technologien erfolgreich sein werden", so Ryfisch.

"Es liegt im Interesse Deutschlands, in diese Technologien zu investieren und in diesem Bereich weltweit führend zu werden, um einen Wettbewerbsvorteil zu haben."

Adaption aus dem Englischen: Anke Rasper

Redaktion: Tamsin Walker