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PolitikBelarus

Umstrittenes Verfassungsreferendum in Belarus

Vladimir Dorokhov
27. Februar 2022

In Belarus hat Machthaber Lukaschenko über Verfassungsänderungen abstimmen lassen - nicht geheim und ohne OSZE-Beobachtung. Die Opposition und der Westen halten das für undemokratisch.

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Belarus Minsk | Protest, Studentin mit Exemplar der Verfassung
Eine Frau mit einem Exemplar der Verfassung von BelarusBild: Sergei Bobylev/Tass/picture alliance

Bei dem Verfassungsreferendum in Belarus sollten die Bürger am Sonntag (27. Februar) folgende Frage beantworten: "Akzeptieren Sie Änderungen und Ergänzungen der Verfassung der Republik Belarus?"

Dass die derzeitige Verfassung von Belarus geändert werden sollte, wiederholte Machthaber Alexander Lukaschenko in den vergangenen Jahren immer wieder. Im Juni 2020 kündigte er schließlich entsprechende Vorbereitungen an. Nur zwei Monate später änderte sich die Lage jedoch dramatisch. Nach den Präsidentschaftswahlen vom 9. August, die, so die Behörden, Lukaschenko angeblich mit mehr als 80 Prozent der Stimmen gewonnen habe, kam es in ganz Belarus zu Massenprotesten, die mehrere Monate dauerten. Vor diesem Hintergrund kündigte Lukaschenko eine Verfassungsreform an, offenbar, wie Beobachter meinen, um die Proteststimmung abzuschwächen.

Doch erst im März 2021 wurde eine Kommission unter der Leitung des Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Pjotr Miklaschewitsch, eingesetzt, die mit der Erarbeitung von Entwürfen beauftragt wurde. Im Juli wurde ein erster Entwurf veröffentlicht und Lukaschenko vorgelegt. Ein zweiter Entwurf vom Dezember wurde dann zur "öffentlichen Diskussion" gestellt und im Januar 2022 gaben die Behörden die endgültige Fassung bekannt, über die nun abgestimmt werden soll.

Was sind die wichtigsten Änderungen?

Beobachter gehen davon aus, dass mit der Verfassungsänderung das Verfahren und ein rechtlicher Rahmen für einen möglichen Machtwechsel im Land formalisiert werden soll, der, wie heute völlig klar ist, möglichst weit in die Zukunft verlagert werden soll. Als wichtigste Änderung gilt die Verankerung des Status der seit 1996 bestehenden Allbelarussischen Volksversammlung in der Verfassung, die bislang über keine Rechtsbasis verfügt.

Machthaber Alexander Lukaschenko und Mitglieder der Volksversammlung
Machthaber Alexander Lukaschenko und Mitglieder der VolksversammlungBild: Maxim Guchek/BelTA/REUTERS

Dem Entwurf zufolge soll die Volksversammlung zum höchsten Repräsentationsorgan des Landes werden. Dieses soll befugt sein, Entscheidungen anderer Machtorgane aufzuheben, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten, die Mitglieder der Zentralen Wahlkommission sowie die Richter des Obersten Gerichts und des Verfassungsgerichts zu ernennen und dem Parlament Gesetze vorzulegen, aber auch Volksabstimmungen einzuberufen, Verfassungsänderungen vorzuschlagen, den Notstand und das Kriegsrecht zu verhängen sowie die Legitimität von Wahlen zu prüfen.

Darüber hinaus soll laut Entwurf dem Präsidenten untersagt werden, Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen. Die Legislaturperiode des Parlaments soll von vier auf fünf Jahre verlängert, die Befugnisse des Premierministers etwas erweitert und die Institution eines Menschenrechtsbeauftragten geschaffen werden. Außerdem soll in der Verfassung festgeschrieben werden, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau erlaubt ist.

Zwei weitere "Amtszeiten" für Lukaschenko?

Wie aus dem Entwurf hervorgeht, kann ein und dieselbe Person eine Präsidentschaft in Belarus nicht mehr als zwei Amtszeiten innehaben. Allerdings soll diese Regel erst in Kraft treten, wenn ein neu gewähltes Staatsoberhaupt sein Amt antritt. Mit anderen Worten, Lukaschenkos sogenannte jetzige "Amtszeit" läuft 2025 aus, danach könnten dann weitere zehn Jahre hinzukommen. Für Ex-Präsidenten sieht der Verfassungsentwurf besondere Sicherheitsgarantien vor. So sollen sie nicht wegen Handlungen während der Ausübung ihres Amtes belangt werden. Zudem ist ihnen ein Sitz in der Volksversammlung garantiert.

Alexander Lukaschenko und Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Fertigstellung des Entwurfs der neuen Verfassung
Alexander Lukaschenko und Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Fertigstellung des Entwurfs der neuen VerfassungBild: Nikolay Petrov/BelTA/AP/dpa/picture alliance

Gleichzeitig kann niemand - außer Lukaschenko - mehrere Ämter zugleich bekleiden. Lukaschenko kann auf Vorschlag der Volksversammlung sowohl Präsident als auch Vorsitzender der Versammlung bleiben. Und Präsidentschaftskandidaten müssen, um als solche zugelassen zu werden, die letzten 20 Jahre in Belarus gelebt haben und dürfen keine Aufenthaltserlaubnis im Ausland haben, was viele Oppositionelle, die Belarus wegen drohender Repressionen verlassen haben, direkt betrifft.

Im Entwurf der neuen Verfassung gibt es keinen Hinweis darauf, dass Belarus weiterhin Neutralität anstrebt und sein Territorium atomwaffenfreie Zone bleiben soll.

Warum findet das Referendum ohne OSZE-Beobachtung statt?

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) betont, das Abhalten eines Referendums in Belarus sei ein Verbrechen. Sie macht darauf aufmerksam, dass es im Land mehr als 1000 politische Gefangene gibt, Hunderte von Bürgern wegen Teilnahme an den Protesten verurteilt sind, alle unabhängigen Medien liquidiert sind und mehrere Hundert Internetquellen als extremistisch eingestuft wurden.

Außerdem weisen Oppositionelle darauf hin, dass die Bürger kein Vertrauen in das Referendum und die Auszählung der Stimmen haben. Kein einziger Vertreter oppositioneller Parteien könne ihnen beiwohnen. Die Namen der Mitglieder der Kommissionen würden von der Zentralen Wahlkommission geheim gehalten. Zudem werde die Abstimmung nicht geheim verlaufen, da angeblich wegen "hoher Ansteckungsgefahr" mit dem Coronavirus die Wahlkabinen keine Vorhänge haben werden.

Was die Beobachtung des Referendums betrifft, haben es die demokratischen Kräfte abgelehnt, überhaupt eine zu organisieren. Sie verwiesen auf die Verfolgung und Einschüchterung von Aktivisten, die an der Beobachtung der Präsidentschaftswahl 2020 teilgenommen hatten. Belarus hat sich auf Beobachter aus der GUS und Ländern der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit beschränkt, ohne Vertreter der OSZE oder ihrer Menschenrechtsorganisation ODIHR einzuladen.

Opposition und der Westen halten das Referendum für undemokratisch

Die Strategie der Koalition demokratischer Kräfte zielte darauf, das Referendum zum Scheitern zu bringen und es in ein Misstrauensvotum gegen die Staatsmacht zu verwandeln. Darauf hatten sich das Büro von Swetlana Tichanowskaja, das Nationale Anti-Krisen-Management, der Koordinierungsrat der Opposition sowie die Plattformen "Golos" (Stimme), "Zubr" (Bison) und "Ehrliche Menschen" geeinigt.

Straßburg EU-Parlament Rede Swetlana Tichanowskaja Belarus
Swetlana TichanowskajaBild: Julien Warnand/REUTERS

Sie forderten die Belarussen auf, zu den Wahllokalen zu kommen, auf den Stimmzetteln beide Antwortoptionen durchzustreichen und so den Stimmzettel ungültig zu machen. Diese sollten sie dann an "Golos" schicken, wo man, wie schon während der Präsidentschaftswahl, die ungültigen Stimmzettel auszählen will. Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja bezeichnete das Referendum als illegitim. Es helfe nicht, die politische, wirtschaftliche und humanitäre Krise in Belarus zu überwinden. Die Menschen hätten keine Wahl zwischen "dafür" und "dagegen", sondern nur "zwischen Lukaschenko und Lukaschenko".

In Brüssel sieht man das Referendum ebenfalls kritisch. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten der Vorsitzende der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Belarus, Robert Biedron und der ständige Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Belarus, Petras Auštrevičius, die Volksabstimmung als "Fake". Der Bundestagsabgeordnete der in Deutschland regierenden SPD, Nils Schmid, versicherte bei einem Treffen mit Tichanowskaja, dass der Bundestag nicht beabsichtige, das Ergebnis des Referendums anzuerkennen, da es unter undemokratischen Umständen organisiert worden sei, in einer Zeit, in der die politische Opposition unterdrückt werde.

Nach belarussischem Recht tritt das Ergebnis des Referendums zehn Tage nach der offiziellen Bekanntgabe in Kraft und ist bindend. Beobachter haben keinen Zweifel, dass die Behörden ein Abstimmungsergebnis veröffentlichen werden: eines, das sie selbst brauchen.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk