Ukraine-Krieg: Geflüchtete gründen Orchester
9. Mai 2022"Mriya" nennen sie sich - das heißt auf Deutsch "Traum" - denn sie träumen vom Musizieren jenseits des Krieges. Geflüchtete Ukrainerinnen haben das Exilorchester erst im März gegründet. Seitdem haben sich ihnen bereits 30 Musikerinnen und Musiker angeschlossen.
Gerade dazugestoßen ist Margaryta Grynyvetska. Die Dirigentin des Opern- und Ballett-Theaters in Odessa war direkt zu Beginn der Krieges geflohen. Mit zwei Freundinnen hatte sie sich verabredet, gemeinsam zu musizieren. "Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass unser erstes Zusammenspiel auf solch einer großen Bühne der Berliner Philharmoniker stattfinden würde", sagt sie im Gespräch mit der DW. Am 10. Mai tritt das "Mriya"-Orchester mit einem gemischten Programm deutscher Klassiker und ukrainischer Zeitgenossen in der Berliner Philharmonie auf.
Mit großem Netzwerk arbeiten
Gemeinsam mit dem Hilfsbündnis "Alliance4Ukraine" soll dabei unter anderem Helferinnen und Helfern gedankt werden, die sich für Geflüchtete einsetzen und in der Ukrainehilfe engagieren. Das Orchester arbeitet auch mit der Initiative der Berliner Philharmoniker zusammen, für die Vermittlung von Arbeitsmöglichkeiten von professionellen Künstlern und Künstlerinnen aus der Ukraine.
Wenn es um Unterbringung, die Suche von Proberäumen oder Konzertlocations geht, dann hilft ganz konkret der 2018 gegründete Kulturförderverein "Culture Connects" aus Hamburg. Roman Ohem, Vorsitzender des Vereins, veranstaltet schon seit sieben Jahren Kammerkonzerte mit ukrainischen Musikerinnen und Musikern in Deutschland. Mit Hilfe seines Freundes, dem Cellisten Lev Kucher, hat er die Website "Mriya.de" ins Netz gebracht.
Hilfe zur Selbsthilfe
"Für mich ist das Ganze eine sehr persönliche Angelegenheit", sagt Ohem im Interview mit der Deutschen Welle. "Wir haben einfach mit Hilfe unserer Kontakte eine Liste erstellt mit geflüchteten Profimusikern aus der Ukraine. Die haben sich eingetragen mit dem Ziel, dass wir ihnen helfen."
Roman Ohem hatte sich schon während des Syrienkrieges für Musiker und Musikerinnen engagiert und als Geiger im syrischen Exilorchester ausgeholfen. Auch jetzt hilft er den ukrainischen Musizierenden bei sämtlichen bürokratischen Angelegenheiten. "So können sich die Musiker frei entfalten und haben den Rücken frei", sagt er. Die Dramaturgie, die Programme und Probenpläne gestalten die Musikerinnen und Musiker dann selbst.
Hochkarätiges Programm in Berlin
Alle, die im Orchester mitspielen - mittlerweile sind auch Männer dabei - haben in ihrer Heimat als Profimusiker gearbeitet. Gründerin des Orchesters ist die bekannte Bratschistin Kateryna Suprun. Hanna Tsurkan, die im Philharmoniekonzert bei der "Karpatská Rapsodie" des ukrainischen Komponisten Myroslaw Skoryk die Sologeige spielt, ist Preisträgerin zahlreicher internationaler Wettbewerbe und Mitglied des Nationalen Sinfonieorchesters der Ukraine. Und Margaryta Grynyvetska hat vor ihrer Dirigentenstelle in Odessa unter anderem mit der bekannten ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv zusammengearbeitet; etwa an der Bayerischen Staatsoper in München oder auch in Ägypten, in Luxor.
Auf dem Programm in der Berliner Philharmonie steht neben Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für zwei Klaviere und Orchester in Es-Dur, gespielt von der ukrainischen Star-Pianistin Kateryna Titova und dem preisgekrönten Pianisten Artem Yasynskyy, auch Johann Sebastian Bachs bekanntes Violinkonzert in a-moll. Dazu kommt Musik ukrainischer Komponisten, wie dem Zeitgenossen Valentin Silvestrov. Sein Werk "Silent Music" wird in Deutschland gerade in vielen Konzerten gespielt. Bekannt ist auch der Komponist Myroslav Skoryk, der viel für Streichorchester komponiert hat.
Musik aus ihrer Heimat zu spielen, ist für Margaryta Grynyvetska sehr emotional. Das hat sie bei einem Konzert, dass sie in Vilnius in Lithauen dirigiert hat, gemerkt. "Ich war den Tränen nahe, als ich verstand, dass unser Leben, das wir in der Ukraine hatten, nie mehr dasselbe sein wird", erzählt sie. "Ich weiß nicht, wann ich in mein geliebtes Odessa zurückkommen werde, in mein Haus, mein Zuhause. Deshalb ist es für uns sehr wichtig, diese Musik zu spielen und diese Verbindung zu unserem Land zu haben."
Frauen sind in der Überzahl
Im Orchester sind hauptsächlich Streicherinnen und ein paar Holzbläser vertreten. Männer sind nur auf Zeit dabei, sagt Margaryta Grynyvetska: "Alle Männer sind jetzt Soldaten und wir kämpfen sozusagen an der kulturellen Front, das gehört also auch zu unserer Aufgabe." Roman Ohem setzt sich gerade dafür ein, dass Profimusiker eine Ausnahmegenehmigung bekommen, das sei aber sehr schwierig. "Sie dürfen nur ausreisen, wenn ihr musikalischer Dienst im Ausland dem Krieg mehr nützt, als selbst an der Waffe zu dienen." Das sei der einzige Grund, eine Ausreise zu genehmigen.
Margaryta Grynyvetska hat in Deutschland oft das Gefühl, als sei der Krieg allmählich schon zur Normalität geworden. "Deshalb ist es wichtig für uns, zu zeigen, dass der Krieg eine schlimme Situation ist und die Ukrainer dringend Hilfe und Unterstützung brauchen", sagt die Dirigentin.
Förderung mit Enthusiasmus
Wer denkt, die ukrainischen Musizierenden bekämen die Orte für ihre Auftritte alle kostenfrei, täusche sich, erklärt Roman Ohem. "Wir müssen in der Philharmonie 11.000 Euro Miete bezahlen, da gibt es keinen Rabatt. Und ich habe persönlich mit meinem deutschen Konto und dem Verein erst einmal 11.000 Euro Schulden aufgenommen."
Sein kleines Stipendium, das er in der Corona-Zeit als freischaffender Künstler bekommen hat, ist auch in die Hilfsprojekte geflossen. "Unsere Konzerte sind zu 100 Prozent gemeinnützig, das heißt alles, was an Überschuss übrig bleibt, geht sofort in die Ukraine." Das Konzert in der Berliner Philharmonie wird unter anderem unterstützt von der Deutschen Orchester-Stiftung. Der Erlös kommt der medizinischen Hilfe für Kriegsopfer zugute. Für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer ist das Konzert kostenlos.