Uecker: "Meine Werke sind Liebesbriefe"
6. Februar 2015DW: Ihre aktuelle Ausstellung in der Kunstsammlung NRW zeigt mehr als 60 Werke aus 50 Jahren. Viele Werke wurden für die Schau aus Privatsammlungen ausgeliehen. Sie haben die Kunstwerke teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Waren die Werke so, wie Sie sie in Erinnerung hatten?
Ich bin ganz beglückt, einmal die Bereitschaft zu erleben, dass Sammler ihre Werke hierher geben und ich sie im Zusammenhang sehen kann. Die Bilder haben von mir so weit Abstand genommen, dass ich sie unbefangen betrachten kann, wie ein Besucher einer Ausstellung. Und da muss ich sagen: "Ach, das ist der Uecker! Und die Werke stecken gar nicht in der Vergangenheit, die sind so präsent, die sind so voller Energie!"
Andere Kunstwerke haben Sie immer wieder aufgebaut, zum Beispiel die "Sandmühle". Ändert sich über die Jahrzehnte etwas an der Intention, wenn ein Werk immer wieder neu aufgebaut wird oder hat es immer noch den gleichen Grundgedanken wie 1970?
Die "Sandmühle" - diese schleifende Zeit, die vergeht und die Spuren, die man hinterlässt und auch wieder auslöscht - ist ein Synonym für das Dasein. Die Vergänglichkeit gehört mit zu unserem Dasein. Das hat sich im Werk über die Jahre vertieft und gesteigert. Zum Beispiel in den sieben Sandmühlen, die einmal in der Nationalgalerie in Berlin gezeigt wurden. Das sind Geißelmühlen, wie die Geißel der Zeit, die uns die Vergänglichkeit jeden Tag bewusst machen, wenn wir uns da vertiefen.
Ihr Werk "Verletzungsworte" ist auch zu sehen. Wie schauen Sie auf Ihr Bild im Hinblick auf das aktuelle Zeitgeschehen, etwa im Hinblick auf die Terroranschläge von Paris?
Freiheit für den Andersdenkenden! Das gilt immer. Der Beweis, dass wir in solch einem menschlichen Zusammenhang leben, sind dann manchmal die Opfer. Das ist eine Tragödie, eine Schande. Aber, dass so etwas geschieht, vermittelt uns das Bewusstsein, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben und wir Stellung nehmen müssen, Zivilcourage befördern und uns auch fundamental verhalten müssen. Wir müssen wissen, woher wir kommen: Was bedeuten uns die Formulierungen aus der Thora, dem Talmud, der Bibel und dem Koran, die im Kern alle gleich lauten? Wenn wir das begreifen, macht es uns stabil gegenüber denen, die die Schriften radikal auslegen. Wir müssen erkenntnisfähiger werden, was unsere Herkunft betrifft und fundamentaler denken.
Iran, China, Kuba, USA - Sie haben in mehr als 60 Ländern ausgestellt. Wird ihre Kunst überall auf dieselbe Art und Weise wahrgenommen?
Was man mir oft sagt, ist, dass der humane Charakter, der in meinem Werk erkennbar wird, die Menschen berührt; meine Empathie, mein Gefühl und mein Mitgefühl für das, was in der Welt geschieht. Die Verletzung des Menschen durch den Menschen ist ein Grundthema in meinem Werk.
Sie haben für Ihre aktuelle Ausstellung auch eine neue Installation entwickelt: Besucher sollen unbekannten Briefe schreiben und diese aufhängen. Was steckt dahinter?
Das Thema der Arbeit ist: "Briefe an einen Unbekannten, zerrissen über einen Berg geweht und unerhalten". Es geht um das, was man, wenn man verliebt ist, aufschreibt und dann zerknüllt in der Tasche trägt und doch nicht abschickt, weil sich die Scham und Scheu vor der Geliebten vermehrt, die man nur von Weitem begehrt. Die Besucher können an einen Unbekannten schreiben. Es kann alles geschrieben werden. Die Aktion hat auch mit meinem Schaffen zu tun. Meine Werke sind Liebesbriefe. Das Begehren, das Sehnen nach einer Nähe zu anderen Menschen prägt mich in meinem Werk. Wenn ich eine Ausstellung besuche und sehe, wie die Menschen meine Bilder betrachten, dann lese ich in ihren Gesichtern, was Kunst bewirken kann. Das beglückt mich sehr und das inspiriert mich auch, mein Werk weiter voranzutreiben.
Günther Uecker (geb. 1930) wurde Anfang der 1960er Jahre mit der Künstlergruppe ZERO weltweit bekannt. 1970 bespielte er den deutschen Pavillion bei der Biennale in Venedig. Bekannt ist er vor allem durch seine reliefartigen Nagelbilder. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf. Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zeigt noch bis zum 10. Mai 2015 die Ausstellung "Uecker".
Das Gespräch führte Hans Joachim Hennig.