Stopp für russisches Gas in ukrainischen Leitungen
30. Dezember 2024Bis zum Jahreswechsel floss Gas aus Russland durch das ukrainische Pipeline-Netz in die EU. Moskau verdiente damit Geld und konnte der Union zeigen: "Ohne Russland geht bei Euch nichts!" Für die Ukraine bedeutete dieser sogenannte Gas-Deal: Der Aggressor aus Moskau, der das Land seit nun beinahe drei Jahren mit Krieg überzieht und zu erobern versucht, musste weiterhin Geld nach Kyjiw überweisen.
Doch die Ukraine hat den am 31. Dezember ausgelaufenen Transitvertrag für russisches Gas durch ihr Territorium nicht verlängert - das hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits am 19. Dezember in Brüssel verkündet. Die Ukraine werde es Moskau nicht erlauben, "zusätzliche Milliarden zu verdienen", während es seine Aggression gegen die Ukraine fortsetzt. Der russische Präsident Wladimir Putin bestätigte das Ende des Vertrags und äußerte sich zuversichtlich, dass der russische Staatskonzern Gazprom den Verlust verkraften könne. "Diesen Vertrag wird es nicht mehr geben. Alles ist klar", sagte Putin und fügte hinzu: "Wir werden überleben, Gazprom wird überleben".
Fraglich ist, wie sich die Gasversorgungslage in den östlichen Ländern der EU, die keine Küsten haben und daher kein Flüssiggas übers Meer importieren können, entwickeln wird. So bekamen Österreich, Ungarn und die Slowakei noch russisches Gas aus der Ukraine. Und vor allem die Regierungen in Bratislava und Budapest wollen weiterhin russisches Gas kaufen.
Eine lange Geschichte
Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges war Russland der größte Erdgasexporteur der Welt und Europa sein wichtigster Kunde. Für die Regierungen auf dem Kontinent überwog der Zugang zu billiger Energie alle Bedenken gegenüber Geschäften mit Präsident Wladimir Putin.
Mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor hatte die Sowjetunion dringend Geld und Ausrüstung gebraucht, um seine Gasfelder in Sibirien zu erschließen. Gleichzeitig brauchte die Bundesrepublik Deutschland billige Energie für seine wachsende Wirtschaft. 1970 unterzeichneten Moskau und Bonn den "Röhren für Gas"-Deal, im Rahmen dessen deutsche Fabriken Tausende Kilometer Rohre lieferten, um russisches Gas nach Westeuropa zu transportieren.
Diese Verflechtung auf dem Energiemarkt hält bis heute an, denn die europäischen Importeure sind oft an langfristige Verträge gebunden, aus denen sie nicht leicht heraus können. Eine Umstellung ist außerdem teuer, weil die verfügbaren Gasvorräte auf dem globalen Markt noch mindestens ein weiteres Jahr knapp bleiben würden, meint das US-Medienunternehmen Bloomberg: Ein Großteil des für den Import nach Europa verfügbaren Gases werde noch von Ländern beansprucht, die in den letzten Jahren ihre Kohle- und Atomkraftwerke geschlossen haben.
Langlebige Abhängigkeit
Nach Angaben der Brüsseler Denkfabrik Bruegel beliefen sich die Importe fossiler Brennstoffe aus Russland in die Europäische Union Ende 2023 auf rund eine Milliarde US-Dollar pro Monat - nach 16 Milliarden US-Dollar pro Monat Anfang 2022. Laut Angaben der EU-Kommission entfielen 2023 noch 15 Prozent der gesamten Gasimporte der EU auf Russland, hinter Norwegen und den USA mit 30 bzw. 19 Prozent und vor den nordafrikanischen Ländern mit 14 Prozent. Ein Großteil des russischen Gases gelangt über Pipelines durch die Ukraine und die Türkei.
Zu den größten Abnehmern zählen Österreich, die Slowakei und Ungarn. Große Energieverbraucher wie Spanien, Frankreich, Belgien und die Niederlande importieren außerdem noch immer russisches Flüssigerdgas auf Tankern. Ein Teil davon wird mit anderen Gasquellen im europäischen Pipelinenetz vermischt. Dadurch gelangt es möglicherweise auch nach Deutschland, obwohl dieses Land auf russisches Gas verzichten will.
Teures Gas
Die Energiepreise sind im Jahr 2022 gestiegen, zeitweise um mehr als das 20-fache, so der Think Tank Bruegel. Einige europäische Fabriken mussten die Produktion reduzieren, viele kleine Unternehmen sogar schließen. Die Preise sind seitdem wieder gefallen, liegen aber immer noch über ihrem Vorkrisenniveau, was die energiehungrigsten Industrien Europas - besonders jene in Deutschland - weniger wettbewerbsfähig macht.
Die teure Energie ist ein Grund, warum Unternehmen wie VW und BASF in Schwierigkeiten stecken. Haushalte, die von steigenden Energierechnungen betroffen sind, haben Wege gefunden, ihren Verbrauch zu senken. Für viele sind die zusätzlichen Kosten jedoch eine echte Belastung. Laut der Europäischen Kommission konnten im Jahr 2023 fast elf Prozent der EU-Bürger ihre Häuser nicht ausreichend heizen.
Brüsseler Gelassenheit
Die Verantwortlichen in der Europäischen Union sind offenbar nicht irritiert. Die Beendigung des Abkommens zwischen der Ukraine und Russland sei in den europäischen Gasmärkten bereits einkalkuliert, so eine Analyse der EU-Exekutive. Das berichtete Bloomberg News bereits Mitte Dezember. Die Analyse sollte die Mitgliedstaaten und Märkte vor dem Auslaufen des Ukraine-Russland-Gasabkommens beruhigen. Die Union werde in der Lage sein, alternative Versorgungsquellen zu finden.
"Bei einer weltweiten jährlichen Produktion von mehr als 500 Milliarden Kubikmetern LNG dürfte der Ersatz von rund 14 Milliarden Kubikmetern russischen Gases, das über die Ukraine transportiert wird, nur geringe Auswirkungen auf die Erdgaspreise in der EU haben", zitierte Bloomberg aus dem Dokument der Kommission. Man könne demnach davon ausgehen, dass "das Ende des Transitabkommens in den Gaspreisen für den Winter berücksichtigt wurde."
Die EU argumentiert schon lange, dass die Mitgliedsländer, die noch immer russisches Gas über die Ukraine-Route importieren - vor allem Österreich und die Slowakei - auch ohne diese Lieferungen auskommen können. Daher werde die Kommission keine Verhandlungen aufnehmen, um die Route offen zu halten.
Schließlich, so die Kommission, hätten die Mitgliedstaaten ihren Gasbedarf seit August 2022 im Vergleich zum Durchschnitt der letzten fünf Jahre um 18 Prozent senken können. Die USA würden im Laufe der nächsten zwei Jahre neue LNG-Kapazitäten schaffen, und diese Lieferungen könnten der EU helfen, mit etwaigen Störungen fertig zu werden. "Das realistischste Szenario ist, dass kein russisches Gas mehr durch die Ukraine fließt", heißt es in der Einschätzung. Die EU sei darauf "gut vorbereitet".
Osteuropäische Alleingänge
Dennoch sorgen sich vor allem die Regierungen Ungarns und der Slowakei um ihre Gasversorgung und auch um ihr jeweils besonders enges Verhältnis zu Russland. So werde Ungarn die Gaslieferungen über die Ukraine zu erhalten versuchen, obwohl die russischen Gasimporte derzeit über die Turkstream-Pipeline erfolgen, so Ministerpräsident Viktor Orban am 21. Dezember. Man wolle diese Route nicht aufgeben, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Reuters.
Dazu habe Orban eigenwillige Ideen entwickelt. Man könne russisches Gas auch kaufen, bevor es die Grenzen Russlands passiert. Laut Reuters sagte Orban: "Wir versuchen jetzt den Trick. Was wäre, wenn das Gas, wenn es das Territorium der Ukraine erreicht, nicht mehr russisch wäre, sondern bereits im Besitz der Käufer wäre? Das Gas, das in die Ukraine gelangt, wäre also kein russisches Gas mehr, sondern ungarisches Gas."
Fico fest an Putins Seite
Die Slowakei geht derweil weiter und droht Kiew mit Gegenmaßnahmen. Er denke darüber nach, die slowakische Notstromversorgung für die Ukraine nach dem 1. Januar einzustellen, sagt Premierminister Robert Fico in einem auf Facebook veröffentlichten Video. "Wenn es unvermeidlich ist, werden wir die Stromlieferungen, die die Ukraine während der Netzausfälle benötigt, stoppen. Oder wir werden uns auf ein anderes Vorgehen einigen."
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat Fico vorgeworfen, auf Anweisung Russlands zu handeln. Es sehe so aus, als habe der russische Präsident Wladimir Putin Fico befohlen, "auf Kosten der Interessen des slowakischen Volkes eine zweite Energiefront gegen die Ukraine zu eröffnen", erklärte Selenskyj auf der Online-Plattform X. Die Drohungen Ficos könnten nur so erklärt werden.
Fico ist in der EU einer der größten Gegner der militärischen Unterstützung für die Ukraine. Bei Ficos überraschendem Besuch in Moskau im Dezember soll Putin, so der slowakische Präsident, die Bereitschaft Russlands bestätigt haben, weiterhin Gas an die Slowakei zu liefern.
Dieser Beitrag wurde am 1. Januar in seinen Zeitbezügen aktualisiert.