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Sierens China: Eine globale Pflicht

Frank Sieren14. September 2015

Selbst in China wird über die europäische Flüchtlingskrise berichtet. Allerdings mit großer Distanz. Peking könnte mehr tun, um zu helfen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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China: Nagelhäuser Shanghai (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Carlos Barria

Die Flüchtlingskrise ist nicht nur ein europäisches Problem. Die Syrienkrise, der Sturz von Muammar Gaddafi oder die Massendemonstrationen in Ägypten haben alle Großmächte beschäftigt - die Russen ebenso, wie die Amerikaner und die Chinesen. Und alle hatten ihre Position. Nun jedoch schweigt das offizielle Peking erstaunlicherweise weitgehend. Man äußert sich zur weltpolitischen Lage, aber nicht zum Flüchtlingsproblem selbst. Peking zeigt mit dem Finger auf die USA. Ihre verfehlte Politik habe die Syrienkrise erst ausgelöst. Deshalb sollten die Amerikaner zuerst und am meisten helfen. Das hilft den Europäern wenig.

Gleichzeitig wird das Thema im chinesischen Netz diskutiert. Die Meinungen sind dabei allerdings stark gespalten. Viele Stimmen solidarisieren sich natürlich mit den Menschen auf der Suche nach Asyl. Ihre Forderung: Vor zwei Wochen noch hat die chinesische Regierung sich bei ihrer großen Militärparade für den Frieden und die Sicherheit aller Menschen ausgesprochen. Jetzt solle sie ihr Wort auch halten. Auf der anderen Seite haben viele Angst, dass China - sollte es erst einmal anfangen, Europa zu helfen - in Zukunft auch mit Flüchtlingsströmen konfrontiert werden könnte. Sie sind dagegen, Flüchtlinge aufzunehmen, die "außerdem sowieso nicht nach China kommen wollen, wenn sie die Chance sehen, nach West- und Nordeuropa zu gelangen".

Wenig Hilfe für Syrien

Es gibt auch noch einen anderen Grund als den weiten Weg. China ist per se kein Einwanderungsland. Ausländer, die ihr ganzes Leben in China gearbeitet haben, müssen das Land verlassen, wenn sie in Pension gehen. Eine Greencard wie in den USA gibt es nur für ganz wenige. Insofern kennen die Chinesen die Probleme von Einwanderungsgesellschaften nur aus dem Internet. Wobei es aber gigantische Wanderungsbewegungen im Land selbst gibt. China hat zwar 1982 die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das Genfer Protokoll von 1967 unterzeichnet. Die Regierung fühlt sich jedoch nicht zuständig. China steht, was die humanitäre Hilfe in Syrien betrifft, nur auf dem 32. Platz der Weltrangliste. Seit 2012 hat das Land mit etwa 14 Millionen US-Dollar nur etwa 0,1 Prozent zur weltweiten finanziellen Hilfe in Syrien beigetragen.

Dabei hat China durchaus eine positive Geschichte, wenn es um Hilfe für Flüchtlinge geht. Schon im Zweiten Weltkrieg suchten 30.000 Juden aus ganz Europa in Shanghai Zuflucht. Und ihnen wurde Asyl gewährt. Den Verfolgten der Alliierten der japanischen Invasoren halfen die Chinesen gerne. Zum Beispiel He Fengshan: Als Generalkonsul in Wien vergab er damals unerlaubt Shanghai-Visa an Juden, damit diese ausreisen konnten. Für seine Taten wurde ihm 2001 in Israel der Titel "Gerechter unter den Völkern" verliehen. In den 1970ern nahm China im Zuge des Vietnamkriegs etwa 265.000 Vietnamesen aus dem westlich besetzten Südvietnam auf und versprach ihnen uneingeschränkt Asyl.

Peking könnte aktuell mehr tun

1979 kamen um die 60.000 Menschen während der sowjetischen Intervention aus Afghanistan ins Reich der Mitte. Mit Russland standen die Chinesen damals auf Kriegsfuß. In den Achtzigern half Peking etwa 2000 Menschen aus Indien und Sri Lanka. Im Süden Chinas werden derzeit 60.000 chinesisch-stämmige Flüchtlinge aus Myanmar geduldet. Es ist allerdings nicht geplant, dass sie auf Dauer bleiben. Peking verhält sich so neutral wie irgend möglich: Der Konflikt mit den Aufständischen der chinesisch-stämmigen Volksgruppe, der Kokang im Nordosten Myanmars, sei eine innere Angelegenheit des Nachbarlandes. Es gebe keinerlei Intervention von chinesischer Seite. China pflege freundschaftliche Beziehungen zu Myanmar und respektiere dessen Souveränität und territoriale Integrität.

Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich in der aktuellen Krise gegen Hilfsleistungen aus. Der Grund: In ländlichen Gebieten sei China selbst noch sehr unterentwickelt. Man solle sich lieber auf diese Regionen konzentrieren. Das Eine sollte das Andere aber nicht ausschließen. Ein wenig mehr Flexibilität bei dem Thema würde Peking gut tun. Schon allein aus Gründen der "soft diplomacy" würde es China gut anstehen, wenigstens so viele Flüchtlinge aufzunehmen wie die USA. Das sind derzeit 5.000.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.