Schuldsprüche im Mordfall Malcolm X gekippt
19. November 2021Mehr als 55 Jahre nach der Ermordung des US-Bürgerrechtlers Malcolm X ist die Verurteilung zweier Männer wegen Mordes aufgehoben worden. Die New Yorker Richterin Ellen Biben erklärte die Schuldsprüche gegen den heute 83-jährigen Muhammad Aziz und den 2009 verstorbenen Khalil Islam für ungültig. Beide Männer waren 1966 zu lebenslanger Haft verurteilt und Mitte der 1980er Jahre nach rund zwei Jahrzehnten Gefängnis freigelassen worden.
"Ich bedauere, dass dieses Gericht die schweren Justizirrtümer nicht rückgängig machen und Ihnen die vielen verlorenen Jahre zurückgeben kann", sagte Biben an die Adresse von Aziz und die Familie Islams.
"Wir können es nicht wiedergutmachen"
Der New Yorker Staatsanwalt Cyrus Vance, der die Überprüfung eingeleitet hatte, entschuldigte sich für eine "jahrzehntelange Ungerechtigkeit". Im Zuge 22-monatiger Ermittlungen sei klar geworden, dass die beiden Männer nach der Ermordung von Malcolm X im Jahr 1965 "keinen gerechten Prozess erhalten haben". "Wir können nicht wiedergutmachen, was diesen Männern und ihren Familien weggenommen wurde", sagte der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan. Zumindest aber müsse die Geschichte richtiggestellt werden.
Malcolm X war am 21. Februar 1965 bei einem Auftritt im New Yorker Stadtteil Harlem von drei Angreifern erschossen worden. Die wenig später festgenommenen Aziz und Islam beteuerten ihre Unschuld und konnten Alibis vorweisen. Sie wurden dennoch im folgenden Jahr zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein dritter Verurteilter, Mujahid Abdul Halim, hatte in dem Prozess die Tat gestanden, die beiden anderen Männer aber als unschuldig bezeichnet. Der Schuldspruch gegen ihn bleibt bestehen.
"Klassisches Beispiel für Voreingenommenheit"
Der Washingtoner Rechtsanwalt Gene Rossi, der vormals für das US-Justizministerium tätig war, sagte der Deutschen Welle, der Fall sei ein "klassisches Beispiel" für Voreingenommenheit von Strafverfolgungsbehörden. "Sie hatten drei Personen: Halim, Aziz und Islam. Sie konzentrierten sich darauf wie mit einem Laserstrahl - und ignorierten einen anderen Verschwörer namens William Bradley. Dies resultierte aus der fehlenden Kultur, auch entlastende Beweise zu liefern."
Die Staatsanwaltschaft von Manhattan hatte gemeinsam mit Anwälten von Aziz und Islam sowie der Organisation Innocence Project fast zwei Jahre lang die Akten durchforstet. Die Untersuchung ergab, dass Ankläger, die Bundespolizei FBI und die New Yorker Polizei nach der Ermordung von Malcolm X Beweismittel zurückhielten, die damals vermutlich zu einem Freispruch für Aziz und Islam geführt hätten.
Eingeschleuste Undercover-Agenten
Laut der "New York Times" wiesen unter anderem zahlreiche FBI-Dokumente auf andere Verdächtige hin. Zudem verheimlichten die Staatsanwälte seinerzeit, dass sich zum Zeitpunkt des Mordes eingeschleuste Undercover-Agenten in dem Saal aufhielten. Im Zuge der neuerlichen Untersuchung bestätigte ein damaliger Zeuge das Alibi von Aziz.
Aziz wurde 1985 aus dem Gefängnis entlassen. Islam kam 1987 frei und starb 2009. Der heute 80-jährige Halim kam 2010 auf freien Fuß. Die drei Männer hatten der muslimischen Schwarzenbewegung Nation of Islam angehört, mit der Malcolm X gebrochen hatte.
These eines Hobby-Historikers
Dass der Fall überhaupt neu aufgerollt wurde, dürfte auch der Netflix-Dokumentation "Who Killed Malcolm X?" ("Wer hat Malcolm X umgebracht?") zu verdanken sein. Darin wird die These des Hobby-Historikers Abdur-Rahman Muhammad vertreten, wonach Aziz und Islam unschuldig sind und Halim bei der Ermordung des Bürgerrechtlers gemeinsam mit vier anderen Mitgliedern von Nation of Islam handelte, die einer Moschee-Gemeinde im westlich von New York gelegenen Newark angehörten.
Malcolm X war eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre. Er war jedoch umstritten, unter anderem, weil er einen Einsatz von Gewalt unter gewissen Umständen als rechtmäßig ansah. Regisseur Spike Lee setzte ihm 1992 mit dem Drama "Malcolm X" mit Denzel Washington in der Hauptrolle ein filmisches Denkmal.
jj/fab (dpa, afp, DW)