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Schock für deutsche Unternehmen

24. Februar 2022

Der russische Angriff auf die Ukraine schreckt die deutsche Wirtschaft auf. Kein Wunder, ist sie doch in Russland vergleichsweise stark engagiert. Die beiderseitigen Handelsbeziehungen sind jedoch überschaubar.

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Russland Metro-Markt in Vladikavkaz
Bild: Anton Novoderezhkin/ITAR-TASS/imago images

Der Angriff Russlands auf die Ukraine wird auch die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern stark belasten. Insbesondere für Russland ist Deutschland ein wichtiger Handelspartner. Deutschland wiederum bezieht primär Gas und Erdöl aus Russland. 

Russland ist wichtiger Absatzmarkt

Russland ist immer noch ein wichtiger Absatzmarkt für deutsche Unternehmen, auch wenn er an Bedeutung verloren hat. Unter den Außenhandelspartnern rangierte 2020 das Riesen-Land an 15. Stelle bei den deutschen Exporten, heißt es beim Statistischen Bundesamt. Mit 23 Milliarden Euro lag der Anteil Russlands an den gesamten deutschen Ausfuhren bei damals knapp zwei Prozent. Zu den bevorzugten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Autos und Autoteile, chemische Produkte und Elektrotechnik.

Umgekehrt liefert Russland vor allem Rohstoffe, Erdöl, Gas und Nichteisenmetalle nach Deutschland. Gut zwei Prozent der gesamten deutschen Importe steuert Russland bei. Unter den Außenhandelspartnern liegt das Land damit auf Platz 14 Besonders beim Erdgas ist Deutschland auf Russland angewiesen. Gut die Hälfte des Erdgases, das Deutschland bezieht, stammt von Gazprom & Co.

Deutschland | Nord Stream 2
Anlandeterminal der Ostseepipeline Nord Stream 2 in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern)Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Deutsche Wirtschaft "erschüttert" 

Die deutsche Wirtschaft reagiert entsetzt auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian äußerte sich gegenüber der DW: "Die wirtschaftlichen Folgen dieser Invasion sind noch nicht absehbar, sie sind aber ganz sicherlich schwer wiegend. Als DIHK-Präsident denke ich heute ganz besonders an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Unternehmen und der Auslandshandelskammer in der Ukraine. Auch auf die Beschäftigten der deutschen Unternehmen und der Auslandshandelskammer in Russland kommen jetzt erhebliche Unsicherheiten zu."

"Wir sind zutiefst erschüttert über den russischen Überfall auf die Ukraine", sagte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Oliver Hermes, am Donnerstag in Berlin. "Dies ist ein durch nichts zu rechtfertigender Angriff auf einen souveränen Staat, seine Bürgerinnen und Bürger und auf den Frieden in Europa und der Welt insgesamt. Auch dieser Krieg wird nur Verlierer kennen."

Der Ausschuss forderte Präsident Wladimir Putin auf, die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Zugleich appellierte Hermes "an unsere vielen russischen Freunde und Partner: Erheben Sie Ihre Stimme und helfen Sie mit, diesen Krieg zu beenden". Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft habe sich seit 70 Jahren um den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen mit Osteuropa bemüht. "Wir haben uns dabei immer auch als Brückenbauer gesehen, der zur politischen und gesellschaftlichen Verständigung und Aussöhnung mit der Region beiträgt", sagte Hermes. Aus Geschäftspartnern seien dabei vielfach Freunde geworden.

Auch der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) verurteilte den russischen Angriff. "Der VDMA und seine Mitglieder sind fassungslos, dass Russland in Europa einen Krieg begonnen hat", sagte VDMA-Präsident Karl Häusgen. Der VDMA unterstütze die Entscheidung, die Aggression hart zu sanktionieren. Diese Sanktionen würden auch Auswirkungen auf den Maschinen- und Anlagenbau haben, deren Umfang laut Häusgen aktuell nicht abgeschätzt werden könne.

Deutsche Unternehmen haben nach Angaben der Bundesbank 24 Milliarden Euro in Russland investiert und beschäftigen dort knapp 280.000 Mitarbeiter. 

Ukraine Odessa Hafen
Der Hafen von Odessa - ein Betreiber ist HHLA aus HamburgBild: picture alliance/robertharding

Metro beschäftigt 10.000 Mitarbeiter, HHLA stellt Betrieb in Odessa ein

Der Hamburger Hafen- und Logistikkonzern HHLA hat wegen der russischen Angriffe auf die Ukraine den Betrieb seines Containerterminals in Odessa eingestellt. Alle 480 Mitarbeiter seien in Sicherheit, sagte ein Sprecher. Das Unternehmen habe einen Krisenstab gebildet, der in Kontakt mit den lokalen Behörden und der Bundesregierung sei. Zwei Schiffe lägen noch dort, die bereits abgefertigt seien. Es sei unklar, ob sie den Hafen verlassen könnten. Die HHLA betreibt am Schwarzen Meer im Süden der Ukraine seit 2001 einen großen Containerterminal.

Der stark in Russland und der Ukraine engagierte Großhändler Metro gab seiner großen Sorge Ausdruck: "Unsere Verantwortung als Unternehmen in Russland liegt vor allem bei unseren rund 10.000 Mitarbeitern und 2,5 Millionen Kunden", betonte ein Metro-Sprecher am Dienstag. Bei den Kunden handele es sich um selbstständige Unternehmer vor allem aus Gastronomie und Handel, "die Treiber des russischen Mittelstands und für eine kulturell vielfältige Gesellschaft wichtig sind". Metro hatte im vergangenen Geschäftsjahr 2020/21 in Russland mit 93 Märkten einen Umsatz von rund 2,4 Milliarden Euro eingefahren. Der Konzern beschafft dort seine Lebensmittel vor allem aus heimischer Produktion. In der Ukraine betreibt Metro 26 Märkte und kam dort zuletzt auf rund 800 Millionen Euro Umsatz.

Wirtschaft in Ostdeutschland | Partzsch Unternehmensgruppe
Russland-Sanktionen haben der Wirtschaft geschadet: Mitarbeiterin der Partzsch Unternehmensgruppe in SachsenBild: Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/picture alliance

Gipsplattenhersteller Knauf schließt Werk 

Der Baustoffhersteller Knauf reagiert mit der Schließung seines Werks im Donbass auf die russische Invasion in die Ukraine. Man habe sich am Donnerstagmorgen "rein vorsorglich" dazu entschlossen, die dortige Gipsplattenfabrik "bis auf Weiteres zu schließen" und "die Mitarbeiter nach Hause geschickt", hieß es am Donnerstag vom Unternehmen. Allen Mitarbeitern und ihren Familien gehe es gut. Stand Ende 2021 hatte das Werk laut Knauf 589 Mitarbeiter, unter denen sich keine deutschen Staatsangehörigen befanden. Die Unternehmensgruppe Knauf mit Sitz im unterfränkischen Iphofen stellt mit rund 40 000 Mitarbeitern Baustoffe und Bausysteme her. Vergangenes Jahr erwirtschaftete sie einen Jahresumsatz von 12,5 Milliarden Euro. 

Produktionslinie von Knauf im Werk bei Moskau (Archivbild von 2004)
Produktionslinie von Knauf im Werk bei Moskau (Archivbild von 2004)Bild: picture-alliance/dpa/Belousov

Allianz und Deutsche Bank sind vorbereitet

Auch Unternehmen aus der Finanzbranche äußerten sich. Die Allianz hält derzeit nur einen sehr geringen Anteil russischer Staatsanleihen. Schon vor Wochen sei das Geschäft mit russischen Papieren eingefroren worden, teilte der Versicherer am Donnerstag mit. Grundsätzlich stellten die Anlagekriterien sicher, dass die Staaten, in denen Konflikte drohten, untergewichtet würden. Das Unternehmen sei auf Sanktionen vorbereitet. "Die Situation und ihre Auswirkungen ändern sich rapide, und wir beobachten das genau", hieß es in einer Mitteilung.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die Deutsche Bank in einer ersten Reaktion auf eigene Notfallpläne verwiesen. Das Geldhaus sei zutiefst besorgt angesichts des Angriffs auf ein souveränes europäisches Land und darüber, dass die Grenzen in Europa in Frage gestellt werden, erklärte ein Bank-Sprecher am Donnerstag auf Anfrage von Reuters. Selbstverständlich halte sich das Institut an politische Entscheidungen und Sanktionen. "Wir haben uns auf verschiedene Szenarien vorbereitet und Notfallpläne erstellt", sagte der Sprecher. Die Deutsche Bank betreibt in Russland ein Technologiezentrum und kommt daher auf eine vergleichsweise hohe Zahl von etwa 1500 Mitarbeitern in dem Land. Dazu kommen knapp 40 in der Ukraine.

Mercedes-Benz-Chef besorgt, Telekom denkt über Verlagerung nach

Wegen des russischen Angriffs hat sich auch Mercedes-Benz-Vorstandschef Ola Källenius besorgt gezeigt. "Ich hoffe, der Konflikt lässt sich deeskalieren, um diese Situation zu entschärfen", sagte der Manager am Donnerstag in Stuttgart bei der Bilanzpressekonferenz. "Es ist eine Situation, die wir sehr genau betrachten werden." Källenius sagte, er denke zunächst an die Menschen. "Die Menschen kommen zuerst, dann alles Geschäftliche." Einer Unternehmenssprecherin zufolge hat der Autobauer keine Mitarbeiter in der Ukraine, allerdings ein Werk in der Nähe von Moskaumit rund 1000 Beschäftigten.

Russland Yesipovo - Mercedes-Benz Fabrik - Eröffnung mit Vladimir Putin, Peter Altmeier und Marcus Schaefer
April 2019: Russlands Präsident Putin besucht das Mercedes-Benz-Werk bei Moskau mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (2.v.r.) Bild: picture-alliance/Russian Look

Die Deutsche Telekom trifft angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine Maßnahmen für die rund 2000 Mitarbeiter am Softwareentwicklungsstandort in St. Petersburg. "Wir müssen uns überlegen, wie wir mit den Menschen in der Region umgehen", sagte Firmenchef Tim Höttges am Donnerstag zu Journalisten. Dazu gehöre auch die Frage, ob die Telekom Visa anbiete. Laut Finanzchef Christian Illek geht es zudem um die künftige Bezahlung und Versorgung mit Soft- und Hardware. Die Mitarbeiter in St. Petersburg arbeiten unter anderem für die IT-Tochter T-Systems und sind für die Planung und Dokumentation des Glasfaserausbaus zuständig. Da müsse jetzt überlegt werden, wie diese Aufgaben gegebenenfalls verlagert werden könnten, sagte Höttges. Nach Telekom-Angaben gibt es keine Mitarbeiter in der Ukraine und auch keine Geschäftsbeziehungen dorthin.

Deutsche Wirtschaftsbeziehungen zu Russland im Wandel

Fast die Hälfte der ursprünglich 6300 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung hat sich seit 2011 vom russischen Markt zurückgezogen. Nach Angaben der Auslandshandelskammer (AHK) in Moskau sind aktuell nur noch etwa 3651 deutsche Unternehmen vor Ort aktiv. Die Unternehmen beschäftigten 2019 mehr als 277.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Umgekehrt wurden zuletzt 164 russisch geführte Unternehmen in Deutschland gemeldet, die mehr als 8100 Mitarbeiter beschäftigen und einen Umsatz von 31,6 Milliarden Euro erwirtschaften. 1,9 Prozent des Umsatzes aller auslandskontrollierten Unternehmen in Deutschland erwirtschafteten 2019 jene mit Hauptsitz in Russland. Zum Vergleich: Auf Unternehmen mit Hauptsitz in den USA entfielen 17,9 Prozent.

Starke deutsche Investitionen in Russland

Durch den Trend zur Lokalisierung stiegen in den vergangenen Jahren die deutschen Direktinvestitionen in Russland. Sie betrugen rund 25 Milliarden Euro. Deutsche Unternehmen gehören damit zu den aktivsten ausländischen Investoren in Russland. Neben dem hohen Modernisierungsbedarf und dem guten Image der Marke Made in Germany locken vor allem die vergleichsweise hohen Gewinnmargen, so der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Auch der erweiterte Binnenmarkt der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) mit 180 Millionen Verbrauchern gehört demnach zu den Pluspunkten.

Ukraine ist der wesentlich kleinere Handelspartner

Rund 2000 aktive Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung gibt es aktuell in der Ukraine. Die zählen etwa 50.000 Mitarbeiter. Investitionen Deutsche Direktinvestitionen in der Ukraine betrugen 2019 laut Deutscher Bundesbank 3,6 Milliarden Euro.

Die Handelsbeziehungen entwickeln sich nach dem pandemiebedingten Einbruch 2020 wieder positiv. 2021 legten die deutschen Exporte dorthin um 17,2 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro zu. Die deutschen Importe wuchsen sogar 22,9 Prozent auf 3,1 Mrd. Euro. Das Handelsvolumen lag damit bei 8,5 Milliarden Euro, knapp ein Fünftel mehr als 2020. Die Ukraine befindet sich damit aktuell auf Rang 41 der wichtigsten deutschen Handelspartner.

ul/hb (rtr, dpa, afp, tagesschau.de, VDMA)