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Ukraine: Ruhe vor dem Sturm?

Roman Goncharenko, z.Zt. in Kiew23. Januar 2014

In Kiew herrscht gespannte Ruhe. Kurz vor Gesprächen mit den Oppositionsführern schlug Präsident Janukowitsch vor, das Parlament in die Lösung der Krise einzubeziehen. Die Polizei rüstete unterdessen auf.

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Demonstranten in Kiew vor dem Dynamo-Stadion (Foto: DW)
Bild: DW/R. Goncharenko

Es klingt fast wie ein Zugeständnis. Das Parlament solle in die Suche nach einer Lösung der politischen Krise einbezogen werden, sagte am Donnerstag (23.01.2014) der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch. Er bat den Parlamentsvorsitzenden, eine Sondersitzung des Parlaments einzuberufen. Sie könnte aber frühestens in der kommenden Woche stattfinden. Die Ankündigung kam unmittelbar vor einem erneuten Treffen des Präsidenten mit den drei Oppositionsführern.

Zu diesem Zeitpunkt herrschte in der ukrainischen Hauptstadt Kiew seit einigen Stunden Ruhe auf der Hruschewski-Straße, auf der sich seit Sonntag radikale oppositionelle Demonstranten heftige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert hatten. Die Sicherheitskräfte versperren ihnen dort den Weg zum Regierungsgebäude und dem Parlament. Nach ersten Todesopfern am Mittwoch gab es bislang keine weiteren Toten.

Opposition droht mit Marsch auf Regierungsviertel

Vitali Klitschko bei einer Demonstration in Kiew (Foto: ANATOLIY STEPANOV/AFP/Getty Images)
Vitali Klitschko will einen friedlichen Ausweg aus der Krise findenBild: Anatoliy Stepanov/AFP/Getty Images

Vitali Klitschko von der Oppositionspartei UDAR (Schlag) hatte um Ruhe für die Zeit der Verhandlungen mit Präsident Janukowitsch gebeten. Sie galten als ein letzter Versuch, einen friedlichen Ausweg aus der Krise zu finden. Um 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MEZ) ist das Ultimatum abgelaufen, das Klitschko und andere Oppositionsführer dem Staatschef gestellt hatten. Sie verlangen den Rücktritt der Regierung, Neuwahlen von Parlament und Präsident sowie die Annullierung der umstrittenen Gesetze, die das Demonstrationsrecht massiv einschränken.

Sollte Janukowitsch nicht einlenken, hat die Opposition mit einem Marsch auf das abgesperrte Regierungsviertel gedroht. "Wir gehen in die Offensive", sagte Klitschko am Mittwochabend (22.01.2014) vor den Demonstranten auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Arseni Jazenjuk, Fraktionschef der Oppositionspartei "Batkiwschtschina" (Vaterland) sagte sogar, er sei bereit zu sterben: "Eine Kugel in den Kopf? Dann ist es eben so."

Polizei bereitet sich auf neue Gewaltwelle vor

Das sind Töne, die noch vor Tagen unmöglich schienen. Jazenjuk warnte die Demonstranten mehrmals vor Gewalt: "Man muss einen kühlen Kopf bewahren." Nun scheint es, als hätten die Oppositionsführer unter dem Druck radikaler Protestler ihre Ansichten geändert. Viele Demonstranten kritisieren die Oppositionsführer, in zwei Monaten friedlicher Proteste nichts erreicht zu haben. Ausgelöst wurde die politische Krise in der Ukraine durch einen Kurswechsel des Präsidenten, der sich statt der EU Russland zugewandt hatte.

Ein Marsch auf das Regierungsviertel wäre schon aufgrund der örtlichen Gegebenheiten kein leichtes Unterfangen. Der Spruch "die da oben, wir hier untern" hat für die ukrainische Opposition eine direkte Bedeutung. Die Demonstranten stehen unten auf dem Unabhängigkeitsplatz, das Regierungsviertel befindet sich aber oben auf dem steilen Petscherski-Hügel. Präsidialamt, Parlament und Regierungsgebäude werden wie eine Festung bewacht. Mehrere Reihen aus Polizeibussen und schweren LKWs versperren die Zufahrtswege. Tausende Polizisten und Spezialeinheiten sind einsatzbereit.

Am Donnerstag fuhren schwere Militärfahrzeuge auf und es gab deutlich mehr Polizisten als bislang im Regierungsviertel. Dutzende Kisten mit Gasmasken wurden dort entladen. Möglichweise ist das ein Zeichen dafür, dass sich die Polizei auf eine neue Welle der Gewalt vorbereitet.

Anhänger des Präsidenten wollen politische Lösung

Die Regierungsanhänger versammeln sich im Kiewer Mariinski-Park am Parlament (Foto: DW)
Die Regierungsanhänger versammeln sich im Kiewer Mariinski-Park am ParlamentBild: DW/R. Goncharenko

Bislang machte Janukowitsch kaum Zugeständnisse an die Opposition. Im Gegenteil: Mit neuen Gesetzen und Polizeigewalt wurden Demonstranten in den letzten Wochen immer stärker unter Druck gesetzt. Der Präsident solle sich nicht einschüchtern lassen, sagen seine Anhänger. Tausende von ihnen demonstrieren seit Wochen im Mariinski-Park, direkt am Parlament. Einer von ihnen heißt Oleh Kalaschnikow, ein Mann Anfang 50. Seit Wochen feuert der Ex-Armeeoffizier und Mitglied der regierenden Partei der Regionen die Präsidentenanhänger an. Die oppositionellen Demonstranten sind für ihn "Radikale und Terroristen". "In Kiew wird versucht, einen Staatsstreich durchzuführen", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Regierung reagiere darauf "sehr klug". Sie wolle eine politische Lösung durch Verhandlungen. "Wollten wir es anders, hätten wir die Proteste längst mit Gewalt aufgelöst", sagt Kalaschnikow.

Doch der Eindruck, die Polizei stehe uneingeschränkt hinter dem Präsidenten, täuscht. An einer Straßensperre hundert Meter vom Parlament entfernt lassen sich zwei Polizisten auf ein Gespräch mit Oppositionellen ein. Sie tragen schwarze Helme und Masken, so dass man nur die Augen sehen kann. "Wie soll die Krise gelöst werden?", fragt ein Mann. Die Opposition solle einen Anführer benennen, der mit dem Präsidenten verhandelt, erwidert einer der Polizisten. Ein Satz, der fast schon oppositionell klingt. Offenbar befürchtete der Polizist, zu viel gesagt zu haben. Er schaute sich um und ging schnell weg.