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Gefährlicher Spagat zwischen Zocken und Handeln

Nicolas Martin
26. August 2020

Was in den USA begann, setzt sich in Deutschland nun fort: Menschen handeln Aktien zunehmend auf dem Smartphone - fast wie im Spiel. Doch ein Selbstmord hat eine Schwäche der neuen Anbieter bereits offengelegt.

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Deutschland Corona |
Bild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

Es ist so einfach: Ein paar Berührungen auf dem Smartphone und schon kann man bei Robinhood Aktien handeln. Das Ganze läuft so intuitiv und spielerisch wie flirten auf Tinder, Videos hochladen auf TikTok oder die Selbstdarstellung auf Instagram.

Wie spekulativ die Geldanlage ist, das kann sich der Kleininvestor bei Robinhood erspielen. Je erfahrener er wird, desto mehr Möglichkeiten hat er. Und wer das Monatsabo nimmt, der kann sogenannte ″Margin-Trades″ abschließen. Dabei verleiht der Strumpfhosenkämpfer das Geld direkt. Dadurch können Anleger mehr investieren als sie besitzen und eben auch mehr verlieren. Mittlerweile nutzen mehr als 13 Millionen US-Anleger die Robinhood-App. Die Corona-Krise scheint diesen Trend zu beschleunigen. So kamen allein in diesem Jahr bisher drei Millionen Kunden hinzu.

Mit Kampfpreisen gegen die Großbanken

Der freiheitsliebende Strumpfhosen tragende Bogenschütze aus dem Mittelalter mischt im 21. Jahrhundert den Kapitalismus auf und schlägt ihn sozusagen mit den eigenen Waffen: über den Preis. So bereitet die Plattform Robinhood den US-Tradingplattformen ernsthaft Konkurrenz. Und auch in Deutschland stellen sich die Nachahmer auf: "Das alte Kapital, das seit Jahren auf Girokonten, Sparbüchern und Tagesgeldkonten versauert, will und muss bewegt werden", sagt Christian Hecker im Gespräch mit der DW.

Trade Republic-Mitgründer Christian Hecke
Trade Republic-Mitgründer Christian HeckerBild: Trade Republic

Der 30-Jährige hat mit zwei Freunden die Plattform Trade Republic gegründet. Auf den Sozialen Medien trommelt Trade Republic Kleininvestoren zusammen. Auf Werbeplakaten wird der "Beginn eines neuen Kapitals" heraufbeschworen. "Das Modell, das wir bei Robinhood in den USA sehen, spielt sich nun auch in Deutschland ab", sagt Julian Grigo, Leiter für Digital Banking und Financial Services beim Branchenverband Bitkom. Insgesamt 150.000 Menschen nutzen nach eigenen Angaben bereits die Plattform von Trade Republic. Insgesamt gibt es in Deutschland laut dem Deutschen Aktieninstitut etwas mehr als vier Millionen Direktanleger. Doch Trade Republik ist nicht allein.

"Raum für Innovationen"

Einen Euro für jeden Transaktion nimmt die Plattform von Firmengründer Hecker. Ähnliche Angebote gibt es auch bei Gratisbroker oder Smartbroker. Bei Scalable Capital sind bei einem Monatsabo von drei Euro alle Transaktionen umsonst. Zum Vergleich: Bei den etablierten Handelsabwicklern fängt eine Transaktion bei mehreren Euro an und kann bis zu 20 Euro kosten. "Die Tradingpreise der 'Neuen' sind eine Kampfansage an die etablierte Konkurrenz", sagt Bitkom-Experte Grigo im DW-Gespräch.

Sceenshot der Trading App Robinhood
Ganz grün kommt Robinhood daherBild: robinhood.com

Sein Unternehmen wolle die Menschen befähigen, ihre Altersvorsorge selbst in die Hand zu nehmen, sagt Hecker. "Die hohen Gebühren halten viele Menschen vom Handeln ab." Trade Republic und andere sogenannte Neo-Broker werden für die etablierten Banken zur Gefahr. Das zeigt sich in den USA. Dort haben viele der alteingesessenen Anbieter ihre Preise bereits massiv nach unten angepasst, um die Abwanderung zu Robinhood zu stoppen. Das könnte auch in Deutschland passieren. "In einer Industrie, die sich seit 20 Jahren nicht verändert hat, ist sicherlich Raum für Innovation", kommentiert Hecker.

Achillesferse des Geschäftsmodells

Die Attraktivität der neuen Plattformen entstehe auch durch die einfache und unterhaltsame Bedienung, sagt Grigo von Digitalbranchenverband Bitkom. "Die Produkte konnten nach den neuesten Standards für Nutzerfreundlichkeit aufgebaut werden, und das spüren die Kunden auch."

Doch wer bei einem günstigen Broker handelt, der hat auch Nachteile. Wertpapiere werden bei Trade Republic beispielsweise nur an einer Börse gehandelt und auch das Angebot von Indexfonds (sogenannte ETF) ist auf wenige Anbieter begrenzt.

Anders als beim Handel bei den meisten etablierten Brokern setzten die Neo-Broker auf den sogenannten Payment for Order-Flow. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich ein Anreiz-System, das im Hintergrund abläuft. Dabei stellt eine Bank einem sogenannten Market Maker die Transaktionen der Kunden zur Verfügung. Dieser kann darüber verfügen und vermittelt sozusagen Käufer und Verkäufer. Für die Transaktionen der Kunden zahlt der Market Maker der Bank eine Provision.

Screenshot Handeslplattform Trade Republic
Unschuldig weiß hingegen die Plattform Trade RepublicBild: traderepublic.com

Die EU schaut deshalb kritisch auf diese Praxis, denn es drängt sich ein Verdacht auf: Der Market Maker handelt wirtschaftlich im eigenen Sinne und könnte so ein Interesse daran haben, nicht immer für den Kunden das beste Handelsergebnis zu erreichen. Auf DW-Anfrage bei der deutschen Finanzaufsichtsbehörde BaFin heißt es, dass man diese Geschäftsmodelle beobachte, "da sie ein erhöhtes Potential für Interessenkonflikte haben".

Das Geschäftsmodell könnte für so manchen der neuen Broker zur Achillesferse werden. So ist der Payment for Order-Flow in Großbritannien und in den Niederlanden beispielsweise nicht erlaubt. Das Thema ist laut BaFin "durch die unterschiedlichen europäischen Ausgestaltungen und Interessenlagen im Fluss".

Zockerei versus Jugendschutz

Und noch ein Risiko wird deutlich: Durch die spielerische Handhabe der Apps könnten vor allem junge Menschen mit dem Traden anfangen, ohne sich dem Risiko bewusst zu sein. Der Fall des 20-jährigen Alex Kearns hat zumindest für die USA dieses Problem offenbart. Mitte Juni warf sich Kearns vor einen Zug, weil er glaubte, beim Zocken 750.000 Dollar verloren zu haben. Später stellte sich heraus, dass es ein Irrtum war. Doch in seinem Abschiedsbrief verweist Keams explizit auf seine Schulden bei Robinhood.

Einen Vergleich mit der US-Plattform Robinhood weist Trade-Republic-Gründer Hecker von sich. Man wolle keine Zocker-App sein. "Wir geben keine Anreize, damit der Kunde mehr handelt." Anders als bei Robinhood könnte man "maximal  den Totalverlust erleiden, aber auch nicht mehr", so Hecker. Nach eigenen Angaben kommen die meisten Trader des vor fünf Jahren gegründeten Fintechs in ihrer Altersstruktur aus der "Mitte der Gesellschaft".

Für den 30-jährigen Gründer und andere Nachahmer von Robinhood wird der Jugendschutz und ihr Geschäftsmodell wohl die größte Herausforderung sein. Zur Gefahr könnte ihnen auch noch das Original werden. So dürfte Hecker Ende Juli wohl aufgeatmet haben: Da verschob Robinhood seinen Start in Großbritannien und in Deutschland erstmal auf unbestimmte Zeit.