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Republik Moldau: Sieg für Präsidentin Sandu - und für Europa

4. November 2024

Die amtierende moldauische Staatspräsidentin und Pro-Europäerin Maia Sandu gewinnt die Stichwahl klar, trotz russischer Manipulation und Stimmenkauf. Nun verspricht sie mehr Tempo bei Justizreformen und Demokratisierung.

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Die moldauische Präsidentin Maia Sandu nimmt lächelnd einen großen Strauß weißer Rosen in Empfang. Um sie herum stehen Anhänger und Journalisten, die applaudieren und fotografieren
Präsidentin Maia Sandu hat die Stichwahl gewonnen und bekommt von ihren Anhängern Blumen überreichtBild: Vadim Ghirda/AP/dpa/picture alliance

Es war ein Wahltag, wie ihn ein europäisches Land in der jüngeren Geschichte des Kontinents so noch nicht erlebt hat. Die entscheidende zweite Runde der Präsidentschaftswahl in der Republik Moldau am Sonntag (3.11.2024) war einerseits geprägt von einer Rekordbeteiligung, vor allem im Ausland, unter den Wählerinnen und Wählern der Diaspora. Und er war andererseits den gesamten Tag lang überschattet von massiven Störungs- und Betrugsversuchen. So gab es systematische Bombendrohungen gegen Wahllokale, die zeitweise geschlossen werden mussten und offenbar massenhafte organisierte Transporte von Wählern in Flugzeugen aus Russland in die Türkei und andere Länder. Dort, so der Vorwurf der Polizei, konnten sie in den moldauischen Vertretungen ihre Stimmen abgeben - und für den Moskau-freundlichen Kandidaten stimmen.

Nach einem anderthalbstündigen Auszählungskrimi stand dann jedoch das inoffizielle Wahlergebnis bereits kurz nach Mitternacht deutlich fest: Die amtierende Staatspräsidentin Maia Sandu, die proeuropäisch ausgerichtet ist und für durchgreifende rechtsstaatliche Reformen eintritt, gewann klar mit rund 55 Prozent der Stimmen. Ihr Herausforderer Alexandr Stoianoglo, ein ehemaliger, wegen Korruptionsvorwürfen abgesetzter Generalstaatsanwalt, der von prorussischen Parteien unterstützt wird, erhielt nur rund 45 Prozent.

Wahlkrimi in Moldau

Die massiven, aus Russland gesteuerten Einmischungs- und Wahlfälschungsversuche der vergangenen Wochen und Monate sind damit gescheitert. Die proeuropäische Perspektive des Landes ist vorerst gesichert. Allerdings dürfte das Ergebnis ohne die hybriden Attacken Russlands noch weitaus deutlicher zugunsten von Maia Sandu ausgefallen sein. Das EU-Referendum vor zwei Wochen war nur äußerst knapp, mit rund 10.000 Stimmen, zugunsten einer EU-Perspektive der Republik Moldau ausgegangen. Die Behörden gehen bei der Abstimmung vor zwei Wochen von massivem Stimmenkauf aus.

"Unser Land gerettet"

Die Wahlbeteiligung lag diesmal bei rund 52 Prozent, ein Rekord für die Republik Moldau, da sehr viele Wählerinnen und Wähler nur unter großen Schwierigkeiten zu einer Abstimmung gehen können - ein Teil der geschätzt 2,8 Millionen Einwohner lebt in der separatistischen prorussischen Region Transnistrien, hunderttausende Moldauerinnen und Moldauer leben im europäischen Ausland.

Die moldauische Präsidentin Maia Sandu in einem blauen Hosenanzug, umringt von Anhängern und Journalisten mit Kameras und Mikrofonen, klatscht in die Hände und lächelt.
Erleichterung in Chisinau: Präsidentin Maia Sandu freut sich über ihren WahlsiegBild: DANIEL MIHAILESCU/AFP

Bereits vor Mitternacht kam Maia Sandu kurz zu ihren Anhängern in die Zentrale der von ihr gegründeten Partei Aktion und Solidarität (PAS) und wurde als Wahlgewinnerin bejubelt. Nach Mitternacht trat dann eine völlig heisere Staatspräsidentin Maia Sandu vor die Presse und hielt eine sehr emotionale Dankesrede an ihr Land. Die moldauischen Wählerinnen und Wähler hätten Geschichte und "eine Lektion in Demokratie für die Lehrbücher" geschrieben, sie hätten "unser Land gerettet" und "vereint diejenigen besiegt, die uns in die Knie zwingen wollten", sagte Sandu. Sie wandte sich besonders an die Diaspora. "Ihr seid unglaublich", sagte sie. "Ihr habt gezeigt, dass euer Herz in unserem Land ist."

Selbstkritische Bemerkungen

Die Präsidentin sagte in ihrer Rede mehrmals, dass sie auch die kritischen Stimmen höre und die "Stimme derjenigen, die anders gestimmt haben". An einer Stelle wechselte sie von der Amtssprache Rumänisch kurz ins Russische und sagte, dass alle Bürgerinnen und Bürger des Landes ungeachtet der Ethnie und Sprache "in Frieden, Wohlstand und in einer Demokratie und einer vereinten Gesellschaft leben" wollten.

Die moldauische Präsidentin Maia Sandu in einem hellen Mantel steht vor Mikrofonen, die ihr entgegengestreckt werden und lächelt. Um sie herum Mitarbeiter und Journalistinnen und Journalisten
Die moldauische Präsidentin Maia Sandu spricht nach ihrer Stimmabgabe in Chisinau zu JournalistenBild: Vladislav Culiomza/REUTERS

Maia Sandu wiederholte auch ihre schweren Vorwürfe aus der ersten Wahlrunde und aus dem Wahlkampf der vergangenen zwei Wochen. Es habe einen "beispiellosen Angriff" auf das Land gegeben, den Versuch, Stimmen mit schmutzigem Geld zu kaufen", eine "Einmischung äußerer Kräfte und krimineller Gruppen". Sie bemerkte selbstkritisch, dass die Geschwindigkeit der rechtsstaatlichen Reformen bisher nicht ausreichend gewesen sei. "Wir müssen Reformen schneller durchsetzen und unsere Demokratie konsolidieren", forderte sie.

Baldige Regierungsumbildung

Die Präsidentin und die von ihr unterstütze Regierung stehen unter großem Druck und großer Erwartungshaltung im Land. Maia Sandu steht zwar seit vielen Jahren im Ruf, absolut unbestechlich und integer zu sein und gilt als entschiedene Reformerin. Allerdings hat sie als Präsidentin nur begrenzte Macht. Im kommenden Jahr findet in der Republik Moldau die Parlamentswahl statt. Wenn die Regierung des Ministerpräsidenten Dorin Recean, der ein Vertrauter Sandus ist, bis dahin keine bessere Sozialpolitik und mehr Justiz- und Antikorruptionsreformen vorlegt, ist der proeuropäische Kurs des Landes in Gefahr. In Kürze soll es nun erst einmal eine Regierungsumbildung geben, zahlreiche Minister sollen ausgetauscht werden.

Porträtaufnahme des moldauischen Präsidentschaftskandidaten Alexandr Stoianoglo mit ernstem Gesicht
Der ehemalige Staatsanwalt und Herausforderer von Maia Sandu, Alexandr StoianogloBild: Vadim Ghirda/AP Photo/picture alliance

Maia Sandus Kontrahent Alexandr Stoianoglo äußerte sich am Wahlabend nur zweimal sehr kurz gegenüber den Medien. Er sagte, er respektiere jede Stimme und rief dazu auf, "Ruhe zu bewahren" und für ein "Ende von Hass und Spaltung" einzutreten. Zum Zeitpunkt seiner Auftritte lag er noch sehr knapp in Führung, wirkte allerdings, als ob er ahnte, dass er nicht gewinnen würde. Die Parteizentrale der prorussischen Sozialisten (PSRM), die Stoianoglo unterstützt hatten, war bereits vor Mitternacht verwaist.

Geopolitische Wahl

Im moldauischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen sprachen Kommentatoren übereinstimmend davon, dass die jetzige Wahl eine "geopolitische" gewesen sei, in der die Republik Moldau zwischen Russland und einer Perspektive in einem demokratischen Europa habe entscheiden müssen. Die meisten waren sich auch einig, dass es "präzedenzlose kriminelle Aktionen" gegen die Republik Moldau gegeben habe.

"Russland und die kriminelle Gruppe von Ilan Shor haben eine Summe, die einem Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes entspricht, investiert, um diese Wahl zu beeinflussen, es gab gewaltigen Druck und eine enorme Quantität von Desinformation und Manipulation", sagte beispielsweise Valeriu Pasa, Vorsitzender der Zivilorganisation Watchdog. Es gebe nun aber auch "viele Lektionen für unsere Regierung und unser Land zu lernen", so Pasa, "im Justizsystem, beim Kampf gegen Korruption, aber auch im Umgang mit der Gesellschaft und vor allem mit den Rentnern, unter denen besonders viele anfällig für Desinformation seien". Er forderte, dass man "gegen Betrüger wie Shor nicht mit Samthandschuhen kämpfen dürfe, sondern härter durchgreifen müsse.

Denkzettel für europäische Partner

Der moldauisch-israelische Geschäftsmann Ilan Shor ist einer der Hauptverantwortlichen für den "Milliardenraub", den Diebstahl von rund einer Milliarde Euro aus drei moldauischen Banken in den Jahren 2012 bis 2014. Er hat sich seiner rechtskräftigen 15-jährigen Gefängnisstrafe durch Flucht nach Israel entzogen und lebt inzwischen in Russland. Er steht im Verdacht, den Wahlbetrug und Stimmenkauf bei den jetzigen Abstimmungen zusammen mit russischen Geheimdiensten organisiert zu haben. Es sollen bis zu 300.000 Stimmen gekauft worden sein.

Ein Mann, der israelisch-moldauische Geschäftsmann Ilan Shor, spricht in zwei Mikrofone und ballt die erhobene rechte Hand zur Faust
Der flüchtige israelisch-moldauische Geschäftsmann Ilan ShorBild: Alexey Filippov/SNA/IMAGO

Der Publizist Nicolae Negru sagte dazu, dass Russland die Republik Moldau in ein Testfeld für solche Manipulationsexperimente verwandelt habe, man aber auch fragen müsse, warum ein Betrug dieses Ausmaßes von den Behörden nicht verhindert worden sei, obwohl er seit langem bekannt war. Der Politologe Iulian Groza vom moldauischen Institut für Europäische Politik und Reformen (IPRE) sagte seinerseits, man dürfe das Ausmaß der Manipulation und die "ausgefeilten Instrumente Russlands", die dabei zum Einsatz kämen, nicht unterschätzen. "Russland wird in unserem Land nicht aufhören und auch nicht anderswo in Europa", so Groza. "Die jetzigen Praktiken und Erfahrungen in unserem Land müssen allen unseren europäischen Partnern zu denken geben."

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter