EU leitet nächste Stufe gegen Polen ein
14. August 2018In der EU-Kommission rechnet nach Einschätzung von EU-Diplomaten niemand ernsthaft damit, dass die polnische Regierung ihre Meinung in den kommenden vier Wochen ändert und im Streit um das Pensionsalter der obersten Richter einlenken wird. Bis Mitte September hat die nationalkonservative PiS-Regierung Zeit, die von der EU-Kommission seit Anfang Juli angemahnten Änderungen am Gesetz zum Obersten Gericht vorzunehmen. Das steht in einem Schreiben, das die EU-Kommission an diesem Dienstag nach Warschau geschickt hat.
Eine erste Aufforderung der Kommission hatte die polnische Regierung ignoriert und in einem 36 Seiten langen Schreiben dargelegt, warum sie die Kritik der EU am polnischen Justizwesen im Allgemeinen und der Auswahl der obersten Richter insbesondere für falsch hält. "Der Ton, der dabei angeschlagen wurde, zeigt, dass Polen nicht nachgeben will", heißt es von EU-Beamten. Die polnische Regierung bestreitet, dass die Gestaltung des nationalen Gerichtswesens irgendetwas mit EU-Recht zu tun hätte.
Polen am Pranger
Anfang Juli hatte die regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" durchgesetzt, dass die obersten Richter in Polen statt mit 70 Jahren mit 65 Jahren in Rente gehen müssen. Damit wurden 27 Richter ausgetauscht, die der Regierungspartei offenbar nicht gefallen. Zwar können die Richter, eine Verlängerung ihrer Amtszeit beantragen. Das müsste aber vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda, der ebenfalls der PiS seine Karriere verdankt, genehmigt werden. Die Präsidentin des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, weigert sich in Rente zu gehen, weil ihre Amtszeit von der Verfassung garantiert sei. "Das ist ein Irrglaube", sagte dazu Pawel Mucha aus der Kanzlei des polnischen Staatspräsidenten.
Die EU-Kommission kritisiert, dass diese Methoden die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts gefährden. Der zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans will deshalb vor Gericht ziehen und Polen vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verklagen, wenn Warschau in den nächsten vier Wochen nicht einlenkt. Solche "Vertragsverletzungsverfahren" gibt es in der EU dutzendfach wegen mangelnder Umsetzung von EU-Richtlinien. Der Fall Polens sticht aber heraus, weil er sich vor dem Hintergrund eines anderen, noch viel umfassenderen Verfahrens abspielt.
Die EU-Kommission hat gegen Polen im Dezember ein Verfahren nach Artikel 7 der Lissabonner Grundlagenverträge der EU eingeleitet, weil sie die Rechtsstaatlichkeit in Polen systematisch bedroht sieht. Diese schärfste Waffe hatte die EU-Kommission zuvor noch nie gezogen. Im Moment stockt das Verfahren allerdings im Ministerrat, also der Vertretung der EU-Mitgliedsstaaten. Sie müssten eine Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen formal feststellen. Das kann nur einstimmig geschehen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat aber bereits angekündigt, dass er sein Veto zugunsten Polens einlegen würde. Ganz am Ende könnte das Artikel-7-Verfahren zum Entzug der Stimmrechte Polens im Ministerrat führen. Damit wäre die Mitgliedschaft quasi suspendiert.
Der Streit um das Oberste Gericht ist nur ein kleiner Teil des Tauziehens zwischen der EU und Polen. Die Kommission wirft der polnischen Regierung auch vor, die Besetzung der normalen Richterposten massiv zu steuern und die Unabhängigkeit der Judikative insgesamt einzuschränken. "Mitglied in der EU kann aber nur ein Rechtsstaat sein", warnt der zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans immer wieder.
Umsetzung des "Flüchtlings-Urteils" steht noch aus
Der Europäische Gerichtshof hat ebenfalls eine eher kritische Haltung gegenüber Polen. Die Regierung in Warschau ignoriert zum Beispiel ein Urteil des EuGH, wonach auch Polen, Tschechien und Ungarn umverteilte Flüchtlinge aus anderen EU-Staaten aufnehmen müssten. Um dieses Urteil aus dem letzten Jahr durchzusetzen, hat die EU-Kommission Polen erneut verklagt. In diesem Prozess wird ein Urteil im Herbst erwartet. Der Gerichtshof könnte eine empfindliche Geldstrafe festsetzen, die die EU-Kommission dann von den Hilfszahlungen aus der Brüsseler Kasse an Polen abziehen würde.
Der EuGH hat außerdem Ende Juli indirekt eine Gefährdung des Rechtsstaats in Polen anerkannt, weil er verlangt, dass vor Abschiebungen nach Polen geprüft werden muss, ob Beschuldigte dort ein faires Verfahren erwartet. Das gleiche gilt nach Ansicht des EuGH übrigens auch für Ungarn, das sich ebenfalls öfter mit der EU-Kommission anlegt. Im Fall Ungarn prüft das Europäische Parlament, ob Ministerpräsident Viktor Orban die Rechtsstaatlichkeit aushöhlt.