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PolitikFrankreich

Parlamentswahl in Frankreich: Linke holt überraschend Sieg

7. Juli 2024

Sensationelle Wende in der zweiten Wahlrunde: Marine Le Pens Rechtsnationale landen nur auf Platz drei. Im Parlament droht nun ein Patt - und Frankreich politischer Stillstand.

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Jean-Luc Melenchon ballt die Faust
Einer der "Volksfront"-Wahlsieger: der altlinke Politiker Jean-Luc MélenchonBild: Arnaud Journois/dpa/MAXPPP/picture alliance

Die Parlamentswahl in Frankreich hat überraschend das Linksbündnis gewonnen. Die rechtsnationale Partei Rassemblement National (RN) errang nur Platz drei - hinter dem Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron, wie Hochrechnungen in der Nacht zum Montag zeigten. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen erreicht demnach keines der politischen Lager.

Nach der ersten Wahlrunde vor einer Woche sahen Prognosen den Rassemblement National noch knapp unter der absoluten Mehrheit und damit möglicherweise in der Lage, die nächste Regierung zu stellen. Der Rechtsruck fällt nun geringer aus als erwartet. Deutlich zugelegt hat der RN dennoch: Im aufgelösten Parlament hatte die Partei von Marine Le Pen lediglich 88 Sitze.

Eine Zweckallianz gegen rechts

Linke und Macrons Mitte-Kräfte hatten vor der zweiten Wahlrunde eine Zweckallianz gebildet. Um sich in Wahlkreisen, in denen drei Kandidaten in die zweite Runde kamen, nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen und dem RN so lokal zum Sieg zu verhelfen, zogen sich etliche Kandidaten der Linken und der Liberalen zurück. Ihre Wählerschaft riefen sie dazu auf, in jedem Fall gegen RN-Bewerber zu stimmen.

Menschenschlage in einem Wahllokal der Hauptstadt Paris
Die Wahlbeteiligung war am Sonntag so hoch wie seit langer Zeit nicht mehrBild: Sarah Meyssonnier/REUTERS

Die linken Parteien der Neuen Volksfront hatten sich erst vor wenigen Wochen für die Parlamentswahl zusammengeschlossen. Bei der Europawahl am 9. Juni waren sie noch einzeln angetreten.

Wie könnte es nun weitergehen?

Mit dem Wahlausgang ergeben sich verschiedene Zukunftsszenarien. Die Linken könnten versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen - entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Großen Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte. Auch hatte etwa der amtierende Premier Gabriel Attal eine Regierungszusammenarbeit mit der Linkspartei La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon explizit ausgeschlossen.

Unklar ist, ob Staatschef Emmanuel Macron in einem solchen Szenario politisch gezwungen wäre, einen Premier aus den Reihen der Linken zu ernennen. Dann müsste Macron die Macht teilen - der Regierungschef würde wichtiger. Attal kündigte inzwischen an, er werde seinen Rücktritt am Montag bei Macron einreichen. Es steht dem Präsidenten offen, den Rücktritt anzunehmen oder nicht.

Präsident Emmanuel Macron bei der Stimmabgabe in Le Touquet
Präsident Emmanuel Macron und seine Gattin bei der Stimmabgabe in Le TouquetBild: Sebastien Jarry/MAXPPP/IMAGO

Linke erheben Regierungsanspruch

Spitzenvertreter der Neuen Volksfront machten bereits klar, dass sie Macron trotz des Zweckbündnisses in der zweiten Wahlrunde keine politischen Zugeständnisse machen werden. Der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, betonte: "Wir haben nur einen Kompass: das Programm der Neuen Volksfront." Dies bedeute, dass die Politik Macrons nicht fortgesetzt werden dürfe. Dies gelte vor allem für die Rentenreform mit der Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre. Linkspopulist Mélenchon forderte, Macron solle seine Niederlage eingestehen und die Neue Volksfront mit der Regierungsbildung beauftragen.

"Die Frage ist, wer regieren und wer eine Mehrheit bilden kann", teilte der Élysée-Palast in Paris mit. Der Präsident sei der Garant der staatlichen Institutionen und werde darauf achten, "dass der Wählerwille respektiert werde". Die Franzosen hätten "die extreme Rechte nicht gewollt". Wichtig sei nun die "Einheit der Nation".

"Bündnis der Schande"

RN-Chef Jordan Bardella teilte angesichts des unerwarteten Wahlausgangs heftig gegen seine politischen Gegner aus. Er sprach von einem "Bündnis der Schande" und schimpfte auf "Wahlabkommen", die Frankreich "in die Arme der extremen Linken werfen". Marine Le Pen ergänzte: "Die Flut steigt. Sie ist dieses Mal nicht hoch genug gestiegen, aber sie steigt weiter und deshalb ist unser Sieg nur aufgeschoben", sagte Le Pen im Fernsehsender TF1. 

Marine Le Pen spricht in ein Mikrofon
Wagt schon einen Blick in die Zukunft: Marine Le Pen (RN) Bild: Louise Delmotte/AP/picture alliance

Ohne Mehrheit droht Stillstand

Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand, zumal eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen erst im Juli 2025 wieder möglich wären.

Für Deutschland und Europa hieße das, dass Frankreich als wichtiger Akteur in Europa und als Teil des deutsch-französischen Tandems nicht mehr tatkräftig zur Verfügung stehen würde. Das Amt von Staatschef Macron bleibt von der Wahl zwar unangetastet, doch ohne handlungsfähige Regierung könnte auch er seine Projekte nicht durchsetzen.

wa/HF/MM (dpa, afp, rtr)