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PolitikFrankreich

Frankreich: Linke Volksfront will Rechtsruck stoppen

6. Juli 2024

Die linke "Neue Volksfront" könnte bei den französischen Wahlen am Sonntag eine Menge Mandate holen. Den Premier wird sie trotzdem nicht stellen. Präsident Macron mag die Linken noch weniger als die Rechten.

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Parlamentswahl in Frankreich 2024 | Paris | Demonstranten mit Nationalflaggen gegen Rassemblement National
Proteste von linken und bürgerlichen Wählerinnen und Wählern gegen die rechte "Nationale Versammlung" nach dem ersten Wahlgang am 30.06. in ParisBild: Fabrizio Bensch/REUTERS

"Klar und direkt: Keine Stimme für den RN, keinen Sitz für den RN", ist die simple Botschaft der Linken in Frankreich zur Eindämmung des rechtsnationalen Rassemblement National. Der linksextreme Chef der Partei "Aufsässiges Frankreich", Jean-Luc Melenchon, wiederholte diesen kleinsten gemeinsamen Nenner des "Nouveau Front populaire", der "Neuen Volksfront", im kurzen Wahlkampf vor der zweiten Runde der Parlamentswahl immer wieder. Linksextreme, Sozialisten, Sozialdemokraten und Grüne hatten sich nach der überraschenden Auflösung der Nationalversammlung vor vier Wochen in Windeseile zu dem Bündnis zusammengeschlossen. Sie einigten sich darauf, nur einen Kandidaten pro Wahlkreis aufzustellen und konnten so 28 Prozent der Stimmen erreichen - und damit Platz zwei, nur knapp hinter den Rechtsnationalen von Marine Le Pen mit 29,3 Prozent.

Parlamentswahl in Frankreich 2024 | Paris | Jean-Luc Mélenchon hält Rede nach ersten Ergebnissen
Sechs linke und grüne Parteien bilden eine populistische Front gegen rechtsBild: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images

"Ein linkes Wunder"

Die linke Volksfront war eigentlich ein kaum vorstellbares Bündnis, so der Soziologie-Professor Eric Fassin von der Universität Paris, weil die linken Parteien untereinander sehr zerstritten waren. Die Vorsitzenden der drei größten Gruppen hätten es aber geschafft, sich zu einigen und die Wahlkampfauftritte unter sich aufzuteilen, ohne sich Konkurrenz zu machen. "Die Parteien haben die Politik ganz neu organisiert und dadurch das Wunder der linken Einigung vollbracht. Damit hat niemand gerechnet. Das ist direkt der völlig neuen Situation geschuldet", sagte Eric Fassin der DW. Die empfundene Bedrohung durch die Rechtsnationalen in einer Parlamentswahl, die nach den Europawahlen völlig überraschend von Präsident Emmanuel Macron angesetzt wurde, habe gewirkt.

Taktischer Rückzug

Für die zweite entscheidende Runde der Wahl am Sonntag hat sich das linke Ad-hoc-Bündnis aus vielen der Wahlkreise zurückgezogen, damit stärkere Kandidaten bürgerlicher Parteien den Kandidaten der rechtsnationalen RN schlagen können. Das Mehrheitswahlrecht in Frankreich macht diese Taktik nötig. Schon bei vorangegangenen Wahlen wurde so ein kräftiger Zugewinn an Mandaten für die RN verhindert. Diesmal jedoch ist die Lage anders. Die RN ist nach allen Umfragen stärker als jemals zuvor und wird wohl die größte Fraktion im französischen Parlament stellen. Die linke Volksfront wird die zweitgrößte Gruppe sein. Weit abgeschlagen wird die liberal-zentristische Partei "Ensemble" von Präsident Macron enden.

Jean-Luc Mélenchon gibt seine Stimme ab
Der ultralinke Jean-Luc Melechon hat bereits dreimal für das Präsidentenamt kandidiert - mit Macron verbindet ihn eine herzliche AbneigungBild: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images

Rivalen im linken Lager

Der 71 Jahre alte Jean-Luc Melenchon, der oft mit anti-israelischen Thesen und Verschwörungstheorien provoziert, will nach der Wahl Premierminister werden. Er ist aber wegen seiner radikalen und oft aggressiven Rhetorik im linken Volksfront-Lager nicht unumstritten. Im Europawahlkampf hatte sich Melenchon oft mit dem sozialistischen Europaabgeordneten Raphael Glucksmann (44) gestritten. Er wurde als "Komplize" des Staates Israel beschimpft. Glucksmann warf Melenchon vor, die Politik zu "brutalisieren". Auch Raphael Glucksmann  gehört mit seiner Partei "Öffentlicher Platz" der eilig gebildeten Volksfront gegen die Rechtsnationalen an. Glucksmann sagte, es gehe nicht mehr um das Parlament, sondern um eine Volksabstimmung über die Frage, ob Frankreich das erste Mal in seiner Geschichte von Rechtsnationalen regiert werden soll. 

Emmanuel Macron
Präsident Macron hat politisch gezockt und alles auf eine Karte gesetzt - seine Partei wird wohl verlierenBild: Stephane Lemouton/Bestimage/IMAGO

Kein Premier Melenchon

Theoretisch könnte es möglich sein, mit einer Koalition aus linker Volksfront und Zentristen eine Regierung der rechtsnationalen RN zu verhindern. Praktisch aber wohl kaum, denn Präsident Emmanuel Macron hält die Linken für "viermal schlimmer" als die Rechten. "Sie wollen keinen Säkularismus. Sie lehnen die Einwanderungsgesetze ab, die uns ein besseres Management erlauben. Und sie wollen groteske Dinge wie den Wechsel der geschlechtlichen Identität durch einen Gang zum Rathaus", sagte Macron in einem Interview mit der Zeitung "Le Parisien". Ein Bündnis seiner Partei mit der Volksfront komme überhaupt nicht in Frage, bekräftigte der Präsident am Mittwoch noch einmal nach einer Kabinettssitzung.

Leon Blum und Maurice Thorez 1936
Volksfront 1936 mit Premier Leon Blum (M.): das linke Bündnis hielt drei JahreBild: akg-images/picture alliance

Soziale Wohltaten

Die linke Volksfront erinnert mit ihrem Namen an einen ähnlichen Zusammenschluss von Sozialisten und Kommunisten in Frankreich, die 1936 erstmals eine Regierung bildeten. Eine Reaktion auf den Vormarsch von Nationalisten und Faschisten in Europa. Das heutige Bündnis aus linksextremen, sozialdemokratischen und grünen Parteien fordert die Einführung eines Mindestlohns von 1600 Euro und die Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre und andere Sozialleistungen, die hohe Kosten verursachen würden. Die Linke fordert die sofortige Anerkennung Palästinas als Staat und will die Ukraine weiter mit Waffen im Kampf gegen Russland beliefern. Öffentlich-rechtliche Medien sollen weiterarbeiten. Die RN fordert die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Europa blickt skeptisch auf Frankreich

"Parlament in Frankreich gewinnt an Gewicht"

Die Wahlen könnten auch die politischen Gewichte in der französischen Republik neu ordnen, meint der Soziologie-Professor Eric Fassin von der Universität Paris. Bislang sei der Präsident, der starke Mann an der Spitze der fünften Republik, relativ mächtig gegenüber dem Parlament gewesen. "Mit seiner politischen Wette hat Macron eine Situation geschaffen, die seine eigene Position untergräbt. Die mündet in ein Präsidentenamt, das nicht mehr so wichtig ist." Wenn jetzt das Parlament bei der Regierungsbildung wichtiger werde, so Eric Fassin, brauche man keinen starken Mann mehr. 

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union