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Olympia-Nachlese: Warum Deutschland im Sport hinterherhinkt

Mathias Brück
14. August 2024

Deutschland belegt in der Nationenwertung von Paris 2024 mit Platz zehn die schlechteste Platzierung seit der Wiedervereinigung. Das schwache Abschneiden löst mal wieder eine Debatte um die Sportförderung aus.

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Laura Lindemann und Max Rendschmidt tragen während der Abschlussfeier der Spiele in Paris die deutsche Fahne an einer überdimensionalen Medaille vorbei
Die Medaillenausbeute des deutschen Teams bei den Olympischen Spielen in Paris war eher mau Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Wie funktioniert die Sportförderung in Deutschland?

Die meisten deutschen Spitzenathletinnen und -athleten werden über die Deutsche Sporthilfe unterstützt. Die Stiftung fördert pro Jahr etwa 4000 Aktive, jeweils nach Leistung, Status und Potenzial. Im Schnitt werden monatlich Beträge zwischen 300 und 800 Euro ausgezahlt - dies jedoch nur an Sportlerinnen und Sportler aus olympischen und paralympischen Sportarten, die aktuell für den Bundeskader nominiert sind, sowie an ausgewählte Athletinnen und Athleten nicht-olympischer Sportarten.

Über Jahre entschied der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) alleine, wohin die abgesegneten Fördermittel im Spitzensport fließen. Nach deutlicher Kritik des Bundesrechnungshofs wurde jedoch 2016 eine Leistungssportreform beschlossen. Dazu gehörte das umstrittene sogenannte "Potenzialanalyse-System" (PotAS). Damit wurde die Förderung der einzelnen Sportarten an deren angenommene Erfolgsaussichten. Langfristig sollten so Top-5-Platzierungen bei Olympischen Sommerspielen sichergestellt werden. 

Eine geplante unabhängige Sportagentur, die die Steuerung und die finanzielle Förderung des Spitzensports unter einem Dach vereinen soll, sorgt derweil für einen Machtkampf zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Innenministerium. Bund, Länder und der organisierte Sport sollen in den Gremien vertreten sein, um unabhängig über die Verteilung von Fördermitteln zu entscheiden. Allerdings will das Bundesinnenministerium das letzte Wort über die Fördermittel haben, da es sich um Steuergelder handelt. Der DOSB kritisierte dies als "vom Bund angelegte Fesseln".

Welche Rolle spielen Sportförderstellen?

Fakt ist: Allein von der Sporthilfe zu leben ist unmöglich. Deswegen braucht es andere Mittel und Wege der Finanzierung. Ein Weg geht über Sportförderstellen des Bundes, sprich einen Job bei der Bundeswehr, der Polizei oder dem Zoll. Bei der Bundeswehr wird den Athletinnen und Athleten zugesichert, sich nach der Grundausbildung komplett auf ihren Sport konzentrieren zu können, und das bei einem festen Gehalt und der Garantie, im Kriegsfall nicht eingezogen zu werden.

So verwundert es kaum, dass mehr als ein Drittel der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen 2024 Sportsoldatinnen und -soldaten der Bundeswehr waren.

Mit insgesamt 20 Medaillen haben die Aktiven sogar über 60 Prozent aller deutschen Medaillen errungen. Das Problem: Sportförderprogramme bei Bundeswehr, Polizei und Zoll werden nur denen angeboten, die ohnehin bereits einem Nationalkader angehören und gewisse sportliche Erfolge vorzuweisen haben. Zudem wird häufig kritisierte, dass die Bundeswehr über die Zeit als Sportsoldatin oder Sportsoldat hinaus wenig Perspektive biete.

Was machen andere Länder besser als Deutschland?

Besonders die USA dominieren den Spitzensport, in einigen Disziplinen gar nach Belieben. Auch viele deutsche Athletinnen und Athleten haben deshalb Deutschland den Rücken gekehrt, um in den USA zu trainieren. Der Zehnkämpfer Leo Neugebauer, der in Paris Silber gewonnen hat, gehört ebenso dazu wie Sprint-Europameisterin Gina Lückenkemper, Bronzemedaillen-Gewinnerin mit der deutschen 4x100-Meter-Staffel der Frauen.

Leo Neugebauer hält die deutsche Flagge bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris
Zehnkämpfer Leo Neugebauer trainiert bereits seit 2019 in den USABild: Roger Buerke/Eibner/IMAGO

Vor allem die Vereinbarkeit von Ausbildung oder Beruf mit dem Sport hat in den USA - anders als in Deutschland - höchste Priorität. "Im College hat man den Vorteil, dass man die Uni und den Sport richtig gut zusammenbringen kann", sagte Leo Neugebauer gegenüber dem NDR. Zudem gebe es keine Studiengebühren, beste Trainingsbedingungen, eine kostenlose Unterkunft und sogar ein kleines Gehalt. Neugebauers Uni investiert etwa 200 Millionen Euro im Jahr in die verschiedenen Sportprogramme. Die 300 Millionen Euro des Bundesinnenministeriums pro Jahr für den gesamten deutschen Sport erscheinen dem gegenüber geradezu mickrig.

Eine von der Deutschen Sporthilfe beauftragten Studie von 2021 belegt die Sorgen der Athletinnen und Athleten. 35 Prozent der Befragten gaben an, ihre finanzielle Lage "habe es ihnen nicht ermöglicht, sich hinreichend auf den Sport zu konzentrieren". Leichtathletin Lückenkemper kritisiert außerdem, dass es in Deutschland "kein wirkliches Fördersystem, sondern ein Belohnungssystem" gebe. "Wer schon oben angekommen ist, wird gefördert. Wie er dahin kommt…?", schrieb die Sprinterin auf ihrem Instagram-Kanal und fügte ein Ratlos-Emoji hinzu.

Auch die im Vergleich zu Deutschland kleinen Niederlande schoben sich im Medaillenspiegel von Paris 2024 auf Platz sechs und damit vor den deutschen Nachbarn. Das Erfolgsrezept: Zentralisierung. In Papendal, dem größten von vier Elite-Sportzentren des Landes, trainieren täglich 400 Sportlerinnen und Sportler aus zwölf Verbänden. In Deutschland hingegen sind die Aktiven in Stützpunkten über das ganze Land verteilt. Die niederländischen Sportzentren erlauben im Training außerdem auch bewusst internationale Konkurrenz, während im deutschen Sportfördersystem solche internationalen Trainingsgruppen nicht erwünscht sind.

Femke Bol sprintet bei Olympia 2024 als Schlussläuferin der niederländischen 4x400-Meter-Mixed-Staffel zu Gold
Könnte das niederländische System - hier Femke Bol, Olympiasiegerin mit der 4x400-Meter-Mixed-Staffel ein Vorbild für Deutschland sein?Bild: Ulrik Pedersen/ZUMA Press Wire/IMAGO

Wie viel Geld bekommt man als Prämie für einen Olympiasieg?

Während Goldmedaillengewinner etwa aus Hongkong fast 700.000 Euro erhalten und die Philippinen ihre Champions mit kostbaren Geschenken überhäufen, müssen sich deutsche Olympiasieger mit einer Prämie von 20.000 Euro anfreunden. In vielen Fällen geht davon mehr als die Hälfte für die Steuer ab.

Die Gold-Prämie in Deutschland sei viel zu niedrig, findet die frühere Bahnradfahrerin Kristina Vogel. "Ich fordere eine Million Euro für Olympiasieger, steuerfrei", sagte die 33-jährige der "Bild"-Zeitung. "Das hätte Strahlkraft und man hätte länger ausgesorgt. Und es hätte den Reiz, dass du mit einem Olympiasieg Millionär werden kannst."

Ein weiteres Problem für einige Sportlerinnen und Sportler besteht darin, dass die Deutsche Sporthilfe Mehrfach-Gold bei einer Olympia-Veranstaltung nur einmal belohnt. "Doppelte Leistung zählt in Deutschland nicht", sagte Kajak-Olympiasieger Max Rendschmidt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 

Was sagen die Athletinnen und Athleten?

Deutliche Kritik an der Sportförderung hagelte es vor allem von Seiten der Kanuten, die mit sechs Medaillen - je zweimal Gold, Silber und Bronze - im Gegensatz zu den Aktiven in anderen Sportarten in Paris überzeugt hatten. Ihre Aussagen schlugen so große Wellen, dass sich sogar die Bundesregierung zu einer Stellungnahme gezwungen sah. "Klar ist, Sport ist ein wichtiger Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens - das gilt für den Breiten- und Leistungssport gleichermaßen. Der Bundesregierung ist es deshalb wichtig, Sport und damit die Athletinnen und Athleten zu fördern", teilte ein Regierungssprecher mit.

Max Rendschmidt (l.) und Tom Liebscher-Lucz im Zweier-Kajak bei den Olympischen Spiele 2024
Max Rendschmidt (l.) und Tom Liebscher-Lucz kritisieren die Sportförderung in DeutschlandBild: Memmler/Eibner-Pressefoto/IMAGO

Zuvor hatte Tom Liebscher-Lucz, Mitglied des Gold-Vierers und Partner Rendschmidts im Kajak-Zweier, am Rande des Stade Nautique in Vaires-sur-Marne minutenlang auf Bundeskanzler Olaf Scholz eingeredet, der bei den Olympischen Spielen zu Gast war. Es soll dabei vor allem um die Streichung von Fördermitteln und die schwierigen Trainingsbedingungen in Deutschland gegangen sein. Anschließend sagte Liebscher-Lucz, er würde den Kanzler "gern nicht nur bei Olympia sehen, sondern auch mal bei einer WM oder DM [Deutsche Meisterschaft - Anm. d. Red.]. Stattdessen wird uns das Geld weiter gekürzt, wenn wir Erfolge feiern."

"Wichtig ist nicht, dass Politiker nur fürs nächste Wahlergebnis hier sind", ergänzte Rendschmidt mit Blick auf den Besuch von Scholz. "Er soll lieber Entscheidungen für den Sport treffen. Die Liebe zum Sport wird immer dann entdeckt, wenn es Medaillen gibt."