US-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist tot
19. September 2020Auf die Frage, wie viele der neun Richter am US Supreme Court weiblich sein sollten und wann es denn genug Frauen seien, hatte Ruth Bader Ginsburg eine einfache Antwort: "Wenn es neun sind." Ein komplett weiblicher Supreme Court? Warum nicht, so die Richterin. "Neun Männer, das war bis 1981 ja auch zufriedenstellend." 1981 wurde Sandra Day O'Connor die erste Richterin am höchsten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Die zweite war zwölf Jahre später Ruth Bader Ginsburg, die am 10. August 1993 vereidigt wurde.
Der demokratische Präsident Bill Clinton hatte sie für die Position nominiert. Clinton war 1993 auf der Suche nach einem neuen Supreme-Court-Richter. Bader Ginsburg war zu diesem Zeitpunkt 60, eigentlich schon ein wenig zu alt für eine solche Ernennung auf Lebenszeit. Aber eine Vielzahl von Unterstützern setzte sich für die Frauenrechtlerin ein, allen voran ihr Ehemann, der Jurist Martin Ginsburg. Als Clinton sich für ein erstes Gespräch mit ihr traf, ging es recht schnell. "Innerhalb von 15 Minuten hatte ich mich dafür entschieden, sie zu nominieren", sagte er Jahre später.
Ihr bei der Nominierung vergleichsweise hohes Alter war bald vergessen. Bader Ginsburg ging ihrer Arbeit - wie immer - mit Leidenschaft nach. "Das Recht ist eine ausfüllende Liebe für mich", bekannte sie 2018 in dem Dokumentarfilm "RBG", der sie porträtiert.
Jurastudium mit Familie
Joan Ruth Bader wurde am 15. März 1933 in Brooklyn, New York, geboren und war die erste in ihrer Familie, die zum College ging. Auf ihre Ankündigung, Anwältin werden zu wollen, reagierte ihre Familie zunächst skeptisch. Aber, so erzählt es Bader Ginsburg in "RBG", als sie nach ihrem Abschluss an der renommierten Cornell University Martin Ginsburg heiratete, waren die Verwandten beruhigt. Ruth könne es ja mal mit dem Recht versuchen - sollte das nicht klappen, hätte sie immer noch einen Ehemann.
Bader Ginsburg folgte ihrem Mann an die Harvard Law School, wo sie kurze Zeit nach ihm ebenfalls ihr Jurastudium begann - 14 Monate, nachdem sie die gemeinsame Tochter Jane zur Welt gebracht hatte. Später sollte noch Sohn James folgen. Sie war eine von neun Frauen unter mehr als 500 Studenten ihres Jahrgangs. Der Dekan fragte die Studentinnen, was sie sich einbildeten: Jede von ihnen habe einen Platz belegt, den ein Mann hätte bekommen können. Ihr eigener Ehemann hatte dagegen nie Probleme mit der kleinen starken Frau an seiner Seite - im Gegenteil: Er unterstützte sie von Beginn an. Ruth und "Marty" waren 56 Jahre lang verheiratet, bis er 2010 starb. "Dass ich Marty getroffen habe, war bei weitem das Beste, was mir je passiert ist", sagte Bader Ginsburg in "RBG".
Im zweiten Studienjahr an der Harvard Law School gehörte die junge Studentin zu den 25 Besten ihres Jahrgangs und durfte für die hochangesehene rechtswissenschaftliche Zeitschrift "Harvard Law Review" schreiben. Und das in einer Zeit, in der Bader Ginsburg nicht nur ihr eigenes Studium bewältigen musste: Als ihr Mann an Krebs erkrankte, versorgte sie ihn und kümmerte sich allein um ihre Tochter.
"Ich verlange keine Privilegien für mein Geschlecht"
Marty Ginsburg überwand die Krankheit und trat als Steuerrechtsanwalt in eine große Kanzlei in New York ein, wo Bader Ginsburg 1959 ihren Abschluss an der Columbia University Law School machte. In den folgenden Jahren kämpfte sie als Juristin gegen Geschlechterdiskriminierung und für die Gleichstellung der Frau vor dem Gesetz.
1973, in ihrem ersten Fall vor dem Supreme Court, vertrat sie eine Air-Force-Soldatin, die nicht die gleichen Sozialleistungen bekam wie ihre männlichen Kollegen. Bader Ginsburg zitierte Sarah Grimké, eine Aktivistin aus dem 19. Jahrhundert: "Ich verlange keine Privilegien für mein Geschlecht. Alles, was ich von unseren Brüdern verlange, ist, dass sie ihre Füße von unserem Nacken nehmen." Sie gewann.
Insgesamt siegte sie in fünf der sechs Fälle, die sie vor dem Supreme Court vertrat. Ihre Argumentation vor den Richtern sah sie als Möglichkeit, den Männern die Lebenswirklichkeit außerhalb der hohen Hallen des Obersten Gerichtshofs näherzubringen: Dass Frauen noch immer benachteiligt wurden. Sie tat dies auf ihre eigene ruhige, aber bestimmte Art - Bekannte beschrieben sie als höflich, ruhig, reserviert, mit einer leisen Stimme. Aber vor dem Supreme Court wählte sie klare Worte: "Männer und Frauen sind Personen gleicher Würde und sie sollten vor dem Gesetz gleich zählen."
Nachdem sie Richterin am Supreme Court geworden war, trat sie weiterhin vehement für die Gleichberechtigung von Frauen ein. Schon in der Senatsanhörung vor ihrer Ernennung im Sommer 1993 betonte sie, eine Frau müsse selbst entscheiden dürfen, ob sie ein Baby behalten oder abtreiben möchte. Selbst nach dieser klaren Aussage zu einem hoch kontroversen Thema wurde sie vom Senat mit 96 zu 3 Stimmen bestätigt - im heutigen politischen Klima unvorstellbar.
"Notorious RBG"
Bader Ginsburgs Begründungen zu den Urteilen des Supreme Court wurden immer mit Spannung erwartet. Wenn sie sich öffentlich der Mehrheitsmeinung des Gerichts anschloss, trug sie einen bestimmten Jabot (Kragen) über ihrer Robe - wenn sie eine abweichende Meinung vortrug, einen anderen. Gerade für diese "Dissents", in denen Bader Ginsburg detailliert darlegte, warum sie das - häufig konservative - Urteil des Gerichts für falsch hielt, wurde sie berühmt. Ihr Konterfei mit der markanten Brille, dem Spitzenkragen und den Worten "I dissent" ist auf Tassen, Buttons, Magneten und anderen Artikeln zu finden.
Ihre klaren Worte und ihr Engagement für Frauenrechte bis ins hohe Alter machten Ruth Bader Ginsburg zu einer Kultfigur linksgerichteter politisch Interessierter und brachten ihr den Spitznamen "Notorious RBG" ("Berüchtigte RBG") ein, in Anspielung auf den Rapper Notorious BIG. Bader Ginsburg wusste den Titel sehr zu schätzen, obwohl ihre musikalische Leidenschaft der Oper galt.
Es gab aber auch Liberale, die Bader Ginsburg heftig kritisierten - und zwar vor allem wegen ihres langen Festhaltens am Richterstuhl. Denn wäre sie während der Amtszeit von Präsident Barack Obama zurückgetreten, hätte der beizeiten einen weiteren liberalen Richter oder eine liberale Richterin ernennen können. Doch Ruth Bader Ginsburg hatte immer wieder gesagt, dass sie den Job so lange machen werde, wie sie ihn noch "mit Vollgas" ausführen könne. Ein Rücktritt aus politisch-taktischen Gründen kam für sie nie in Frage. Bis zuletzt blieb sie ihren Prinzipien treu.
Nachdem bei Bader Ginsburg schon in den Jahren zuvor mehrfach bösartige Tumore gefunden worden waren, teilte sie im Juli 2020 mit, dass sie erneut an Krebs erkrankt sei und sich einer Chemotherapie unterziehe. Die 87-Jährige ist nun an den Folgen ihres Bauchspeicheldrüsenkrebses im Beisein ihrer Familie gestorben.