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"Newsweek" in der Klemme

17. Mai 2005

"Koranschändung auf Guantánamo", teilte eine kleine Meldung im US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" mit - und löste einen Flächenbrand in der islamischen Welt aus.

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Bild: AP


Nachdem "Newsweek" Anfang Mai 2005 berichtet hatte, Verhörspezialisten im Gefangenenlager Guantánamo hätten den Koran in die Toilette geworfen, brachen wütende Proteste in mehreren Ländern aus: In Afghanistan starben dabei mehr als 14 Menschen. Angesichts der Welle der Gewalt muss dem anonymen US-Regierungsmitarbeiter, den das Magazin als Quelle zitierte, ein furchtbarer Schreck in die Knochen gefahren sein - er sei sich inzwischen nicht mehr sicher, ob seine Geschichte mit der Koran-Schändung stimme, ruderte er auf erneute Nachfrage von "Newsweek" zurück. Das Magazin erklärte nun, die folgenreiche Meldung sei womöglich falsch und hat seinen Bericht vollständig zurückgezogen. Aber im Kern ist leider etwas Wahres dran: Die US-Armee hat den "falschen Umgang mit dem Koran" im Gefangenenlager von Guantanamo inzwischen eingeräumt.

In jedem Gerücht steckt ein Körnchen Wahrheit

"Newsweek" ruderte anfangs hin und her: Er bedauere die möglichen Fehler seiner Meldung und spreche den Opfern der Konfrontationen und den US-Soldaten, die in sie hineingezogen wurden, sein Mitgefühl aus, erklärte Herausgeber Mark Whitaker. "Newsweek" wisse nicht, ob die Story stimme oder nicht, sagte Whitaker der "New York Times". Das Magazin verwies auf angebliche Ungereimtheiten des Pentagon im Umgang mit der Skandalmeldung. Vor seiner Veröffentlichung sei der Artikel einem hohen Ministeriumsmitarbeiter vorgelegt worden. Dieser habe die Passage über den Koran unbeanstandet gelassen.

In der US-Regierung löste die Entschuldigung Wutanfälle aus. "Menschen sind wegen der Aussagen dieses Hurensohns gestorben", fluchte Pentagon-Specher Lawrence DiRita laut "Newsweek" über den anonymen Informanten. Das Problem ist nur: Brigadegeneral Jay Hood, der Kommandant von Guantanamo, hat nach dem "Newsweek"-Artikel ermitteln lassen: Von neun Berichten über einen "unangemessenem Umgang" mit dem Koran seien fünf bestätigt worden, hat er herausgefunden. Ein Aufseher spritzte Urin auf einen Koran, ein Soldat trat gegen einen Koran, und in einen Einband eines Korans wurde ein aus zwei Wörtern bestehendes englisches Schimpfwort geschrieben.

Proteste in der islamischen Welt

Die Wellen schlugen hoch: Proteste gab es in Ägypten und Indonesien, in den Palästinensergebieten und in Pakistan. In Afghanistan geriet die Regierung von Präsident Hamid Karsai durch die ausufernde Gewalt unter Druck. Washington bemühte sich vergeblich um Schadensbegrenzung. Außenministerin Condoleezza Rice verurteilte die Vorgänge auf Guantanamo als "abscheulich" und betonte, eine Missachtung des heiligen Buches werde von ihrer Regierung nicht toleriert. Erzürnt ist die Regierung in Washington aber nicht zuletzt auch über den gewaltigen Imageschaden, der den USA erneut in der islamischen Welt entstanden ist.

Wahr, halbwahr oder falsch?

Nach ursprünglichen Angaben des "Newsweek"-Informanten sollte die angebliche Koran-Schändung in einen Untersuchungsbericht des Südkommandos der US-Armee aufgenommen werden. Das heilige Buch soll demnach in der Toilette hinuntergespült worden sein, um Häftlinge psychisch zu zermürben. Über derartige Praktiken war schon zuvor immer wieder berichtet worden. So sagten im März 2004 drei britische Häftlinge nach ihrer Freilassung aus Guantánamo, US-Wärter hätten Koran-Ausgaben mit Füßen getreten, herumgeworfen und gelegentlich in Eimer versenkt, die als Abort dienten. "Newsweek" zitiert in seiner neuen Ausgabe einen der Anwälte von Guantánamo-Häftlingen, Mark Falkoff, mit dem Vorwurf, der Selbstmordversuch von 23 Gefangenen im August 2003 sei dadurch ausgelöst worden, dass ein Wärter auf einem Koran herumgetrampelt habe.

Die Berichte über angebliche Koran-Schändungen reihen sich zudem in eine lange Serie von Vorwürfen ein, wonach Soldaten in Abu Ghraib wie Guantánamo gezielt gegen Tabus des islamischen Glaubens verstoßen haben sollen, um Häftlinge für die Verhöre "weichzuklopfen". Nach Berichten von Gefangenen sollen etwa Soldatinnen ihre Körper gegen die Häftlinge gerieben, diese anzüglich berührt sowie vorgetäuscht haben, die Gefangenen mit Menstruationsblut zu bespritzen. Solche Berichte dürften alle Versuche erschweren, den Wirbel um "Newsweek" auf einen bloßen Medienskandal zu reduzieren. (arn)