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Tödliche Falschmeldung

Peter Philipp17. Mai 2005

"Newsweek" hat die Falschmeldung über angebliche Koranschändungen zurückgezogen. Aufgebrachte Gläubige werden sich dadurch kaum besänftigen lassen - denn Lügen haben ein zähes Leben, meint Peter Philipp.

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Es dürfte dem Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Newsweek" nicht leicht gefallen sein, einen Fehler einzugestehen, und noch weniger, tags drauf den fraglichen Artikel überhaupt "zurückzunehmen". Journalistische Glaubwürdigkeit stand hier auf dem Spiel, aber auch Auflage, verbunden mit Anzeigenkunden, Arbeitsplätzen und Geld. Der Rückzieher von Newsweek hatte freilich einen weitaus wichtigeren Grund: 17 Menschen waren umgekommen und über hundert verletzt worden, als es in der Folge der "Newsweek"-Veröffentlichungen in Afghanistan zu heftigen Demonstrationen und Ausschreitungen gekommen war.

In einer relativ kleinen Meldung hatte das Magazin berichtet, Aufseher im Gefangenenlager von Guantànamo-Bay hätten Ausgaben des Koran in Toiletten ausgelegt und in einem Fall sogar hinuntergespült. Dies habe eine interne Untersuchung des Pentagon ergeben. Der Bericht, der von einem der prominentesten "Newsweek"-Mitarbeiter kam, basierte auf der Aussage eines einzelnen anonymen Informanten, der sich bisher aber immer als zuverlässig erwiesen habe.

Die Redaktion hatte damit gegen eine wichtige Regel verstoßen, nach der Informationen aus nur einer Quelle nur mit allergrößter Zurückhaltung behandelt werden dürfen. Wichtiger aber: "Newsweek" wurde, wie so viele weltweit, Opfer einer ganz anderen - und viel gravierenderen - Erscheinung: Man hielt die Information für durchaus denkbar.

Nach den Exzessen in Abu Ghraib und vor dem Hintergrund des selbstherrlichen Umgangs Washingtons mit dem internationalen Völkerrecht in Guantànamo und anderswo auf der Welt musste man ja förmlich denken, dies sei nur ein weiteres Kapitel in einer ebenso unappetitlichen wie endlosen Geschichte. Zumal es ja immer wieder schon Berichte freigelassener Häftlinge gegeben hatte, die Herabwürdigung ihrer Religion und auch des Koran sei fester Bestandteil des Psychoterrors gewesen, dem die Amerikaner sie ausgesetzt haben.

Wenn schon gestandene Journalisten wie die von "Newsweek" solches für möglich hielten, wie sehr trifft das dann für die Demonstranten von Jalalabad und Kabul oder auch Islamabad zu. Sie hatten den Bericht zwar alle nicht gelesen, aber es bedurfte nur eines kleinen Anstoßes, um ihr latentes Gefühl der Frustration und Hilflosigkeit umzudrehen in gewaltsamen Protest gegen die vermeintlichen Verursacher dieses Elends: In erster Linie die USA, in zweiter deren örtliche Statthalter: die Präsidenten Karzai und Musharraf. Der Anstoß wurde von oppositionellen Kräften gegeben, die billigend in Kauf nahmen, dass bei den Demonstrationen Menschen umkamen. Je mehr Opfer, desto angeschlagener das Image Washingtons - so lautet ihr menschenverachtendes Kalkül.

Diese Kräfte werden sich durch den Rückzieher von "Newsweek" kaum besänftigen lassen. Lügen haben nun einmal ein zähes Leben, wie die verschiedenen Verschwörungstheorien nach dem 11. September gezeigt haben. Eine Entschuldigung und auch der Rückzieher des Nachrichtenmagazins werden den Argwohn nicht beseitigen. Vor allem: Sie können keine Toten wieder lebendig machen. Das kann das offizielle Washington auch nicht. Es kann – ja, es sollte – nun aber endlich rigoroser eben die Prinzipien hochhalten, für die es in den Krieg zieht. Verstöße dagegen dürfen nicht mehr die Regel zu sein scheinen, sondern sie müssen ebenso undenkbar wie inakzeptabel sein.