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Neue Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien

6. Juni 2024

In Mannheim geht ein Mann aus Afghanistan mit dem Messer auf fünf Menschen los, ein Polizist stirbt. Seitdem wird in Deutschland wieder heftig über Abschiebungen auch in unsichere Herkunftsländer diskutiert.

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei einer Regierungserklärung vor dem Bundestag in Berlin
Olaf Scholz im Bundestag: "Schwerstkriminelle haben hier nichts verloren"Bild: Political-Moments/IMGAO

Der Schock der Gewalttat von Mannheim am vergangenen Freitag ist auch eine Woche später im Bundestag in Berlin noch zu spüren. Fassungslosigkeit, auch Wut,  zieht sich durch die Reden der Parlamentarier gleich beim ersten Tagesordnungspunkt. Der heißt lapidar "Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage", aber spürbar ist doch, wie hilflos die Politik angesichts solcher Gewalttaten ist:  Ein 25 Jahre alter Mann aus Afghanistan, verheiratet mit einer Deutschen, Familienvater, zuvor für die Polizei ein unbeschriebenes Blatt, verletzt  fünf Teilnehmer einer islamkritischen Kundgebung sowie den Polizisten Rouven L. mit einem Messer. So schwer, dass der 29 Jahre alte Beamte später seinen Verletzungen erliegt. 

Scholz: "Solche Straftaten empören mich!"

Die Gewalt auf öffentlichen Plätzen, bei Veranstaltungen, auch gegenüber Politikern in Deutschland, wird immer heftiger. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiß, dass die Regierung reagieren muss. "Lassen Sie mich klar sagen: Es empört mich, wenn jemand schwerste Straftaten begeht, der hier bei uns Schutz gesucht hat", sagt er. "Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen. Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren." Scholz verweist aber auch darauf, dass gut 20 Millionen Menschen in Deutschland, die eine Einwanderungsgeschichte hätten, ebenfalls erschüttert über die Tragödie von Mannheim seien. Als der Kanzler von Abschiebungen spricht, wird er von Zwischenrufen unterbrochen. "Die dürfen alle längst nicht mehr hier sein", ruft ein Abgeordneter erregt.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU, links im Bild, unscharf) vor Journalisten in Berlin
Nancy Faeser und Herbert Reul: "Ganz neu über Abschiebungen nach Afghanistan reden" Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Wieder Streit innerhalb der Regierung

Aber trotz der klaren Worte des Kanzlers, bleibt für die Bundesregierung, die aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen besteht, die stark emotionale Debatte heikel. Denn wieder werden auch beim Thema Abschiebungen die unterschiedlichen Auffassungen der drei Parteien deutlich. Innenministerin Nancy Faeser (SPD)  machte schon am Dienstag klar, dass sie sich durchaus Abschiebungen nach Afghanistan vorstellen kann, obwohl sie seit der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban im August 2021 ausgesetzt sind. Faeser sagte: "Ich lasse seit mehreren Monate sehr intensiv prüfen, ob Abschiebungen von schweren Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder möglich sind. Das ist nicht so banal in der tatsächlichen Überstellung. Und für mich ist klar, dass Personen, die eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit in Deutschland darstellen, schnell abgeschoben werden müssen."

Sicherheitskräfte der Taliban in der Stadt Herat im April 2024
Seit August herrschen die radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan, zu Deutschland gibt es keine Beziehungen Bild: Mohsen Karimi/AFP/Getty Images

Hohe Hürden für verschärfte Abschiebungen

Nicht banal in der Umsetzung: Damit meinte Faeser, dass Deutschland in Kriegsgebiete nicht abschiebt. Und, dass Abschiebungen in das Land am Hindukusch nur dann möglich sind, wenn Deutschland mit den Taliban ein entsprechendes Abkommen schließen würde. Aber die Bundesrepublik erkennt das Regime in Kabul nicht an. Auch nach Syrien, wo seit 2011 Bürgerkrieg herrscht,  werden selbst Straftäter derzeit nicht abgeschoben.

Reul: "Wer dort Urlaub macht, fühlt sich wohl sicher!"

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) kennt die Faktenlage, aber auch er meint, dass die Politik in Bund und Ländern noch einmal nachdenken muss. Er sitzt am Dienstag neben Nancy Faeser, beide wollen eigentlich über die Sicherheitsvorkehrungen bei der bald beginnenden Fußball-Europameisterschaft reden, jetzt ist auch er beim Thema Abschiebungen nach Afghanistan. "Wenn es richtig ist, dass Sicherheit vor Bleiberecht geht, dann müssen wir noch sehr viel sorgfältiger darauf schauen, was geht und was nicht", sagt er. "Und wenn Menschen in diese Gebiete reisen können, um sich mal von einem Aufenthalt in Deutschland zu erholen, dann können auch Menschen, die sich hier nicht benehmen, dahin geschickt werden, weil, dann scheint es ja da nicht gefährlich zu sein."

Mehrere Geistliche knieen in Mannheim vor einem Meer von Blumen und bekunden Trauer über den Tod eines Polizisten, der nach einer Messerattacke starb.
Ein Meer von Blumen: Wut und Trauer in Mannheim über den getöteten PolizistenBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

So denkt auch CDU-Chef Friedrich Merz, der Oppositionsführer im Bundestag:  "Ausreisepflichtige Asylbewerber müssen wir auch nach Afghanistan und Syrien ausweisen."

Die Grünen wollen die Taliban nicht aufwerten

Für den Regierungspartner der SPD, die Grünen, gibt es vor möglichen Abschiebungen hohe Hürden.  Grünen-Parteichef Omid Nouripour warnte vor einem Abkommen mit den Taliban. Er sagte im Sender MDR, die Taliban seien Steinzeitislamisten und würden sich eine Vereinbarung sicher bezahlen lassen: "Wenn wir Islamisten Geld geben, können sie damit Netzwerke aufbauen. Auch das ist kein Beitrag zu unserer Sicherheit."

Viele unsichere Länder und fehlende Pässe

Tatsächlich scheitert die Abschiebung von Gewalttätern oft daran, dass mit den Herkunftsländern keine Abkommen bestehen. Deutschland schiebt ohnehin nur in Länder ab, die als "sichere Staaten" gelten, also die Länder der EU etwa, dazu die Staaten des Balkan, Senegal und Ghana, seit vergangenem Dezember auch Georgien und Moldau. Zuletzt waren rund 280.000 Menschen ausreisepflichtig, die Hälfte von ihnen sind abgelehnte Asylbewerber. Etwa 80 Prozent von ihnen können allerdings nicht abgeschoben werden und erhalten eine Duldung, weil  sie keine gültigen Pässe vorweisen können.

Flucht-Organisationen warnen vor pauschalen Urteilen 

Organisationen wie Amnesty International (AI) warnen allerdings davor, alle Menschen aus Afghanistan unter Generalverdacht zu stellen: "Diese Trauer darf nicht politisch ausgenutzt werden für rassistische Hetze gegen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit", sagte Sophie Scheytt, AI-Expertin für Asylpolitik, dem Sender Radio Eins. Der Berliner Flüchtlingsrat warnte in einer Presseerklärung, Straftäter in Kriegsgebiete abzuschieben, sei ein Verstoß gegen fundamentale Menschenrechte und bedeute zudem eine Doppelbestrafung, die in Deutschland rechtswidrig sei. 

Derweil kommt Mannheim nicht zur Ruhe: Am Dienstagabend wurde Heinrich Koch, AfD-Kandidat für die Kommunalwahl, bei einem Messerangriff verletzt,  als er einen Mann verfolgte, der zuvor ein Wahlplakat gestohlen hatte. Der Täter wurde in einer Psychiatrie untergebracht.