Migration bleibt "größte Herausforderung"
12. September 2018Die Umfragewerte der klassischen Volksparteien in Deutschland sinken, die der Rechtspopulisten steigen. Auf der Straße eskalierte in den vergangenen Wochen rechtsextreme Gewalt. Diese Situation überschattete auch die Generaldebatte, die im Bundestag traditionell zur Verabschiedung des Haushalts geführt wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel vermied es, Öl ins Feuer der Debatte zu gießen.
Sie betonte die Stärke des Rechtsstaates und plädierte einmal mehr für einen sachlichen und pragmatischen Politikstil. "Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden", sagte Merkel. Das sei der Grundsatz des Rechtsstaates. Damit dieser auch durchgesetzt werden könne, kündigte Merkel unter anderem an, mit den zuständigen Bundesländern über mehr Polizisten und Richter zu reden.
Kanzlerin zieht klare Kante gegen Rechtsextremismus
Zu den "Regeln" gehöre die konsequente Verfolgung von Straftätern, betonte Merkel, ebenso wie Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Deshalb werde der Staat keine "menschenverachtenden Demonstrationen" zulassen. Es dürfe keine Entschuldigung für Hetze, Gewalt und Nazi-Parolen oder Anfeindungen von Andersaussehenden geben. "Dem stellen wir uns entgegen", sagte Merkel: "Juden und Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten zu unserer Gesellschaft."
Damit nahm die Kanzlerin Bezug auf rechtsextreme Ausschreitungen in Chemnitz, die seit Wochen für Schlagzeilen in Deutschland sorgen.
Eine Folge der Ereignisse ist eine Debatte über den Vorsitzenden des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. Dieser hatte in einem Interview mit einer Boulevard-Zeitung die Echtheit eines Videos mit Übergriffen auf Ausländer in Chemnitz angezweifelt. Merkel selbst nahm dazu nicht Stellung. Aus den Reihen der Opposition kamen Rücktrittsforderungen an Maaßen.
Appell an Sachlichkeit - und gegen Populismus
Zu den "Emotionen" zählt Merkel auch pauschale Aussagen in der Chemnitz-Debatte. "Pauschalurteile über ganze Landstriche sind falsch und völlig unangebracht", sagte die CDU-Chefin und spielte auf abwertende Bemerkungen über die Bewohner Sachsens an.
Die Bundeskanzlerin zeigte Verständnis für die Empörung darüber, dass mutmaßliche Gewalttäter vorbestraft und eigentlich ausreisepflichtig gewesen seien. Der Staat sei sich seiner Aufgabe bewusst, diese Missstände zu beheben, sagte sie. Explizit erwähnte sie den Migrationsplan von Innenminister Horst Seehofer (CSU).
"Migration ist größte Herausforderung"
Wie zentral das Thema Migration für die deutsche Politik ist, wird in der Generaldebatte mehr als deutlich. Innenminister Seehofer hatte die Migration als "Mutter aller Probleme" bezeichnet. Alexander Gauland, Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion im Bundestag, der "Alternative für Deutschland" (AfD), warf Merkel vor, sie "verbarrikadiere" sich vor der Wirklichkeit und sei der Herausforderung des Amtes nicht mehr gewachsen. Die AfD plädiert in der Migrationspolitik für eine nationale Abschottung.
Merkel konterte und betonte zugleich, welcher Weg ihrer Meinung nach der richtige sei. Migration sei die derzeit "größte Herausforderung", noch größer als es die Finanz- und Eurokrise gewesen sei - und zwar für Europa. Nur national sei das nicht zu bewältigen, warnte Merkel. Das würde "schief gehen". Die Frage der Solidarität in Europa im Umgang mit der Migration bleibe allerdings der wunde Punkt der EU, es gebe noch keine Lösung. "Deutschland ist bereit, sich in diese Solidarität einzureihen", sagte Merkel. Bisher weigern sich vor allem osteuropäische, aber zunehmend auch andere EU-Staaten, in Europa ankommende Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen.
SPD: "Faschismus"-Vorwurf gegen die AfD
Von den Sozialdemokraten, Teil der Regierungskoalition, kamen in der Debatte scharfe Angriffe gegen die AfD. Der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende, Martin Schulz, bat um eine Wortmeldung und warf Gauland vor, er bediene sich der "Mittel des Faschismus". Die Reduzierung auf ein einziges Thema sei ein bekanntes Stilmittel. "Die Migranten sind an allem schuld. Eine ähnliche Diktion hat es schon einmal gegeben", warnte Schulz in Anspielung auf den Nationalsozialismus. Gauland gehöre auf den "Misthaufen" der deutschen Geschichte.
Ähnlich ungewöhnlich in Ton und Inhalt griff auch der SPD-Politiker Johannes Kahrs die AfD an. "Rechtsradikale in diesem Parlament sind unappetitlich", sagte er an die Adresse der AfD. "Hass macht hässlich, schauen Sie mal in den Spiegel." Daraufhin verließen die AfD-Abgeordneten vorübergehend das Plenum. SPD und AfD sind in den Meinungsumfragen derzeit gleichauf, was solche Angriffe erklären könnte. Jedenfalls scheint die Polarisierung nun auch den Bundestag erreicht zu haben.
Streit um möglichen Syrien-Einsatz
Kanzlerin Merkel betonte mit Blick auf die Migration, wie wichtig die Bekämpfung von Fluchtursachen sei, wie etwa die wirtschaftliche Not in Afrika. Geschehe nichts, würden sich viele Menschen auf den Weg nach Europa machen. Die Entwicklungszusammenarbeit dürfe sich nicht auf eine Berufsausbildung vor Ort beschränken. Sie müsse auch die wirtschaftliche Entwicklung beinhalten, also die Schaffung von Arbeitsplätzen. China gehe da einen klaren Weg, sagte Merkel, Peking habe eine Investition von 60 Milliarden Dollar in die afrikanische Infrastruktur angekündigt.
Die AfD hält diesen Weg für falsch. Der Fall Afghanistan zeige, sagte Gauland, dass je länger der Bundeswehr-Einsatz dort andauere, umso mehr Flüchtlinge kämen. So würden Fluchtursachen nicht bekämpft. Ein konstruierter Zusammenhang: Der Bundeswehreinsatz läuft seit 17 Jahren, begann also lange vor den Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre.
Auch im Konfliktherd Syrien würde ein Einsatz der Bundeswehr, der von der Verteidigungsministerin vor einigen Tagen ins Gespräch gebracht wurde, weitere Fluchtursachen liefern, sagte Gauland.
Auslöser könnte ein befürchteter Giftgas-Einsatz im Syrien-Krieg sein. Auch die Sozialdemokraten sind gegen einen solchen Bundeswehr-Einsatz. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles erinnerte an das Völkerrecht, das ein "Recht auf militärische Vergeltung" nicht vorsehe. Ihre Fraktion werde - ohne Zustimmung der Vereinten Nationen - keinem gewaltsamen Eingreifen zustimmen.
Merkel hatte sich zuvor für einen Einsatz ausgesprochen. Ein "Wegsehen" könne nicht die Antwort sein, sollten Chemiewaffen zum Einsatz kommen. Von vornherein immer Nein zu sagen, könne nicht die deutsche Haltung sein.