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Der Weltraumvertrag ist veraltet

12. Oktober 2022

Im Kalten Krieg war der Weltraumvertrag eine Garantie für Frieden und Sicherheit im Wettlauf um den Weltraum. Seitdem hat sich viel verändert - nur nicht der Vertrag selbst, findet Zulfikar Abbany.

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Astronaut John Young auf dem Mond 1972
Astronaut John Young auf dem Mond 1972Bild: Charles Duke/Heritage Images/picture alliance

Denken Sie einmal nur einen Moment an die Weiten des Weltraums. Und dann fragen Sie sich, ob es überhaupt möglich ist, all das, was wir Menschen im Weltraum tun wollen, in einem nur wenige Seiten umfassenden Dokument zusammenzufassen.

Im Oktober 1967, als der Weltraumvertrag in Kraft trat, war das noch möglich. Der Vertrag bildet einen Rechtsrahmen, der 55 Jahre lang Bestand hatte - und noch immer gilt. Nur: Unsere Nutzung des Weltraums und unsere Ambitionen im All haben sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten so stark verändert, dass diese paar Seiten einfach nicht mehr ausreichen.

Die "Provinz der gesamten Menschheit"

In den 1960er Jahren gab es zwei Hauptakteure im Weltraum: die USA und die UdSSR. Wir befanden uns in einem Kalten Krieg der Ideologien, der Technologie, des Welthandels, der Ressourcen, mit Kämpfen um die geografische Vorherrschaft zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Aber nicht im Weltraum.

Der Kalte Krieg hätte sich auf das All ausdehnen können, doch die beiden Supermächte verpflichteten sich, den Weltraum von militärischen Konflikten freizuhalten. Sie reservierten den Weltraum für Forschung und Wissenschaft und bezeichneten ihn als "Provinz der gesamten Menschheit". Ohne den Weltraumvertrag hätten wir wohl keine 20 Jahre währende wunderbare Zusammenarbeit bei der Internationalen Raumstation ISS gehabt.

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DW-Wissenschaftsredakteur Zulfikar Abbany

In Artikel V des Vertrages heißt es: "Die Vertragsparteien betrachten die Astronauten als Abgesandte der Menschheit im Weltraum und gewähren ihnen jede erdenkliche Hilfe" - auch und vor allem, wenn es um ihre Rückkehr zur Erde geht. Der Geist dieser Worte wurde selbst in den ersten Monaten des laufenden Krieges zwischen Russland und der Ukraine noch in die Tat umgesetzt, als Russland den NASA-Astronauten Mark Van de Hei auf der ISS hätte sitzen lassen können, ihm aber stattdessen erlaubte, an Bord eines von Russland gebauten Sojus-Raumschiffs zusammen mit zwei russischen Kosmonauten zur Erde zurückzukehren.

Also, alles gut? Nicht ganz. Denn Geist und guter Wille werden uns nicht mehr lange erhalten bleiben. Die Dinge haben sich seit 1967 zu sehr verändert.

Eine Weltraumverfassung - oft missachtet

Es gab zahlreiche andere Weltraumverträge und Richtlinien. Aber der Weltraumvertrag ist nach wie vor das Fundament, auf dem alle anderen Weltraumgesetze ruhen, quasi eine Art feierliche Verfassung.

Das Problem ist, dass der Vertrag bewusst vage formuliert und selbst praktisch nicht durchsetzbar ist. Wer hätte in den 1960er Jahren vorhersagen können, dass wir einmal Tausende von aktiven Satelliten in der Umlaufbahn unseres Planeten haben würden, die alle durch zehnmal so viel Weltraumschrott bedroht sind? Die Satelliten müssen von der Erde aus so gesteuert werden, dass sie dem Weltraumschrott ausweichen, und das passiert häufiger, als uns allen lieb sein kann.

Wer hätte damals gedacht, dass China Fortschritte auf dem Mond oder auf Asteroiden machen würde, an denen alle anderen Nationen gescheitert sind? China war das erste Land, das eine Landung auf der Mondrückseite vollbrachte.  Zusammen mit Japan ist China auch ein Pionier bei dem, was Wissenschaftler "Probenrückführungsmissionen" nennen - Roboter, die Gesteine und Mineralien bergen, die wir alle für unser Überleben auf der Erde brauchen.

Und wer hätte gedacht, dass heute einige der neueren Akteure im Weltraum, darunter Indien, einmal Raketen von der Erde aus abfeuern würden, um ihre eigenen Satelliten aus der Umlaufbahn zu schießen - obwohl der Weltraumvertrag dies verbietet? Zumal es nur ein kleiner Schritt ist vom Abschuss eines eigenen Satelliten zur Zerstörung eines Himmelskörpers anderer Staaten oder gar zum Rammen eines Asteroiden mit einer Raumsonde (siehe die jüngste DART-Mission der NASA).

Erste Bilder des LICIACube-Satelliten der italienischen Weltraumbehörde
Explosion im All - die DART-Mission veränderte erstmals erfolgreich die Flugbahn eines Asteroiden im Weltraum Bild: ASI/NASA

Jegliche Forschung und Innovation kann sowohl zum Guten als auch zum Schlechten genutzt werden, und "die gesamte Menschheit" hat schon so oft gezeigt, dass wir gute Dinge gerne zum Schlechten nutzen.

Wer hätte das vorhersehen können? Nun: Wir alle hätten das tun können.

Überarbeitung dringend notwendig

Aber wir können den Vertrag noch retten. Wir können das Blatt noch wenden. Wir können uns stärker dafür einsetzen, dass Länder wie China oder Indien "internationale Verantwortung" übernehmen, wenn ihre Raketen - die zu Weltraumschrott geworden sind - auf die Erde zurückfallen und in unseren Ozeanen landen und diese verschmutzen. Und wir können unsere Ambitionen im Weltraum transparenter machen. Wir können auf Erdbeobachtungsprogrammen aufbauen, die in unserer derzeitigen Klimakrise wirklich allen Menschen zugutekommen sollen.

Wem gehört das Weltall?

Eine Sache können wir jedoch nicht in Ordnung bringen, und das ist der Wunschtraum aus den 1960er Jahren, dass es uns jemals gelingen könnte, den Frieden im Weltraum zu erhalten. Die USA betrachten den Weltraum offiziell als einen weiteren Kriegsschauplatz, und Russland wäre dumm, dies nicht auch zu tun. Und wie wir alle derzeit live an unseren Bildschirmen nachverfolgen können, sind diese alten Feinde immer noch alte Feinde. Wenn man also bedenkt, wie schwer wir uns auf der Erde mit der Einhaltung des Völkerrechts tun, vor allem im Krieg, welche Chance haben wir dann im Weltraum?

Aus dem Englischen adaptiert von Thomas Latschan.

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Zulfikar Abbany Wissenschaftsredakteur