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Kulturleben - der AfD ein Dorn im Auge

16. September 2024

Nach dem Erstarken der Rechtspopulisten in Ostdeutschland droht ein Kulturkampf. Ist die Arbeit von Theatern, Museen und Jugendclubs bedroht?

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Ein Schauspielensemble posiert auf einer Bühne.
Bild: Michael Helbig

Sie werfen die Arme in die Luft und springen wie entfesselt zum stampfenden Beat. Wenn die elf Tänzerinnen der Jugendtanzkompanie des Piccolo Theaters Cottbus über die Bühne wirbeln, springt der Funke über. "Move on Move Over" handelt - frei nach Michael Endes Buch "Momo"- vom Umgang mit der Zeit, von Krieg und Migration. Für Theaterchef Reinhard Drogla ist die Inszenierung das Highlight der bevorstehenden Spielzeit. Er hat sie unter das Motto "Vermehrt Gutes!" gestellt. "Die Jugend", sagt er, "ist unsere Hoffnung." Für Zuversicht gebe es viele Gründe, trotz der politischen Lage im Land.

Ein Mann sitzt in den Zuschauerreihen eines Theaters.
Leitet das Piccolo-Theater in Cottbus: Reinhard DroglaBild: Clemens Schiesko

Cottbus ist eine mittelgroße Stadt in Brandenburg. In dem Bundesland nahe Berlin wird am 22. September ein neuer Landtag gewählt. Die in Teilen rechtsextreme Partei AfD könnte Umfragen zufolge mit 27 Prozent stärkste Partei werden. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen waren die Rechtspopulisten am 1. September auf jeweils mehr als 30 Prozent gekommen. In Thüringen wurde die AfD stärkste Kraft. Was das für die Kulturlandschaft bedeutet? Kulturmanager Drogla macht sich, wie er zugibt, Sorgen. Aber er sagt auch: "Bange machen gilt nicht!"

Die AfD warnt vor einem Zerfall des Staates

Längst ist die AfD im Bundestag, in Deutschlands Länderparlamenten, aber auch in vielen Kreis- und Kommunalparlamenten vertreten. AfD-Politiker sitzen in wichtigen Ausschüssen, entscheiden über die Besetzung von Posten und die Vergabe oder Streichung von Fördergeldern mit, auch im Kultursektor. "Multi-Kulti" lehnt die AfDerklärtermaßen ab. Sie warnt, als Folge von Einwanderung, vor einem Zerfall des Staates und davor, dass Deutschland aus "falsch verstandener Toleranz sein kulturelles Gesicht verliert".

Ein Rednerpult mit dem AfD-Logo im Hintergrund
Die AfD auf dem VormarschBild: Frank Hoermann//SvenSimon/picture alliance

Der Karlsruher Zeithistoriker Rolf-Ulrich Kunze sieht in dieser Haltung eine große Gefahr für das Miteinander: "Die AfD nimmt Kultur nicht wahr als etwas, das Menschen verbindet, sondern sie missbraucht und benutzt Kultur, um Menschen voneinander zu trennen und gegeneinander auszuspielen", so Kunze im Interview der Deutschen Welle. Zwischen dem kulturellen Leitbild der AfD und dem der NSDAP im Dritten Reich sieht Kunze deutliche Parallelen. "Der Kulturbegriff der NSDAP war rassistisch, autoritär und identitär. Und alle diese Merkmale finden wir eins zu eins - in zeitgemäßer Form - auch bei der AfD."

Ausstellung über das Kommen und Gehen

Arnold Bischinger leitet die Burg Beeskow in brandenburgischen Beeskow. Die aktuelle Ausstellung im Regionalmuseum Oder-Spree heißt "Vom Kommen und Gehen". Sie erzählt Geschichten von Menschen, die das Schicksal hierher verschlagen oder von hier zum Aufbruch bewogen hat - Geflüchtete, Spätaussiedler, DDR-Vertragsarbeiter, Rückkehrer aus Westdeutschland und viele andere. Zu sehen gibt es Fotos, viele Artefakte, und ein "Kursbuch" zum Nachlesen. Dass die Ausstellung AfD-Kulturpolitikern nicht gefällt, davon geht Bischinger aus. Möglich wären Etat-Kürzungen durch den Kreistag, der das Museum finanziert oder der Entzug der Gemeinnützigkeit des Trägervereins.

Zwei Personen stehen auf einem Balkon und blicken auf eine Burganlage.
Arnold Bischinger, Leiter der Burg Beeskow, blickt mit seiner Kollegin Nicole Abraham auf die mittelalterliche Burganlage Bild: Stephanie Lubasch

"Alles, was nicht urdeutsch ist", sagt Bischinger, "hat bei der AfD keine Chance." Ihr Kulturbegriff sei identitär, soll heißen: völkisch und rassistisch. Doch wenn es die Partei ernst meine mit der von ihr geforderten "Remigration", müsse "jeder Zweite gehen". Vor der Landtagswahl in Brandenburg ist der Museumschef besorgt. Immerhin werde die Kultur im ländlichen Raum "nicht so hart verhandelt" wie in den Städten, wo den Populisten ein Blick in die Spielpläne genüge, um tätig zu werden. "Kultur bringt Menschen zusammen", sagt Bischinger. Sie schaffe Gelegenheit zur öffentlichen Debatte. "Wenn das nicht mehr möglich ist, verarmt unsere Gesellschaft!"

Angst vor rechten Schlägertrupps

Ein Teegeschirr und weitere Gegenstände, sowie ein blauer Anzug in einer Ausstellung.
Teegeschirr und Arbeitskleidung eines vietnamesischen Vertragsarbeiters in der Ausstellung "Kommen und Gehen"Bild: René Arnold

Kunst und Kultur, die sich kritisch mit Rassismus, Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus auseinandersetzt, wird häufig von rechts attackiert, beobachtet die Soziologin Ute Karstein von der Uni Leipzig. So gehe die AfD gegen Kulturzentren und Einrichtungen vor, die ihr zu kritisch sind. Ein Kulturkampf: "Es wird behauptet, dort werde Linksextremismus propagiert. Mit dem Vorwurf gehen die dann in die Gemeinderäte und fragen, warum diese Einrichtungen noch gefördert werden, das verstoße gegen das Neutralitätsprinzip. Und da lassen sich erfahrene Gemeinderäte manchmal derart verunsichern, dass sie die Fördergelder streichen", so Karstein im DW-Gespräch.

Die AfD hat gewonnen - Was nun?

In Thüringen, wo derzeit die Regierungsbildung läuft, berät man in Kulturinstitutionen bereits, wie auf eine Einflussnahme der Rechtspopulisten reagiert werden soll, berichtet die Schriftstellerin Daniela Danz. Dunkle Wolken sieht die Vizepräsidentin der Mainzer "Akademie der Wissenschaften und der Literatur" zum Beispiel über dem von Bund und Land gemeinsam finanzierten Demokratieprojekt "Denk Bunt" aufziehen. "Nutzt die AfD ihre Sperrminorität, steht das Projekt auf der Kippe", so Danz im Deutschlandradio. Der Hintergrund: Erlangt die AfD mehr als ein Drittel der Landtagssitze, wie in Thüringen geschehen, kann sie wichtige Mehrheitsbeschlüsse blockieren.

Einstweilen setzt die AfD auf die Pflege von Brauchtum und Heimatgefühl. Modernes wird verteufelt. In ein solches Kulturbild passen weder kritisches Theater noch multikulturelle Orchester, und erst recht nicht linke Nachtclubs wie der "Kalif Storch"in Erfurt. Hier treten Drag-Künstler auf. Es gibt queere Workshops. Junge Leute zwischen 18 und 30 kommen zum Tanzen auf das Gelände des ehemaligen Eisenbahndepots. "Klar, dass wir den Rechten ein Dorn im Auge sind", sagt Clubchef Hubert Langrock. Überfälle von rechten Schlägertrupps, wie zuvor schon am Autonomen Jugendzentrum Erfurt, hält er auch am "Kalif Storch" für möglich. Langrock wartet ab, was passiert.

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online