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Perlen: Von der Antike bis heute

Sarah Hucal
21. August 2024

Vor rund 60 Jahren fand der Schotte William Abernethy eine große Süßwasserperle, die wahrscheinlich schon zu Zeiten von Königin Victoria existierte. Jetzt wird sie versteigert. Was ist so faszinierend an Perlen?

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Eine Schale voller Perlen
Perlen sind seit Jahrtausenden ein begehrtes Gut Bild: imagebroker/IMAGO

Sie ist eine der größten Süßwasserperlen, die in der Geschichte Schottlands je gefunden wurden. Kein Wunder also, dass man bei der Auktion in Edinburgh am 21. August auf einen hohen Erlös hofft. Man geht davon aus, dass die Abernethy-Perle einen Kaufpreis zwischen 40.000 und 60.000 Pfund (etwas 47.000 bis 70.000 Euro) erzielen wird.

Zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung wuchs sie bereits seit 80 Jahren in ihrer Muschel - also schon zu Regierungszeiten von Königin Victoria. Es war William Abernethy, der sie 1967 vom Grund des Flusses Tay holte. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Perlentaucher und galt als sehr geschickt in seinem Metier.

Man geht davon aus, dass nur eine von 5000 Muscheln in schottischen Flüssen eine Perle enthält. Abernethy, der 2021 im Alter von 96 Jahren verstarb, hat nie verraten, wo genau er das wertvolle Stück entdeckte. Die Perle, auch "Little Willie" genannt, hat ein Gewicht von 14,1 Karat und gehört dennoch zu den eher kleineren Exemplaren. 

Schwarz-Weiß-Foto eines Mannes, der vor einem Stein kniet, auf dem Perlen liegen, daneben steht ein Glas mit weiteren Perlen
Der schottische Perlentaucher William Abernethy hat einen legendären Ruf Bild: Keystone/ZUMA/IMAGO

Eine der bekanntesten Perlen ist die 50,56 karätige "La Peregrina". Diese war schon im Besitz von Königshäusern sowie der Schauspielerin Elizabeth Taylor. 2011 wurde die Perle für 11,8 Millionen Dollar (etwa 10,6 Millionen Euro) verkauft.

Selbstverteidigung der Muschel

Perlen sind die einzigen Edelsteine, die von einem Lebewesen geschaffen werden. Wenn ein hartes Teilchen in eine Muschel dringt und deren weiches Gewebe reizt, versucht sie sich zu verteidigen und überzieht das fremde Objekt mit Schichten aus Perlmutt - und schon wächst eine Perle heran. Salzwasserperlen entstehen in Austern, während die Abernethy-Perle aus einer Süßwassermuschel stammt.

Perlen sorgten schon immer für Aufsehen. Sie schmückten die Hälse und Ohren gekrönter Häupter, wurden mythisch verklärt und spielten auch eine dunkle Rolle - nämlich als wertvolle Ressource, für deren Besitz spanische Kolonialherren die Indigenen in der Neuen Welt gnadenlos ausbeuteten.

Aufgrund ihres Ursprungs werden Perlen oft als Symbol für die aus der Not geborene Schönheit angesehen. Der niederländische Maler Vincent Van Gogh sagte einst: "Das Herz des Menschen ist sehr ähnlich wie das Meer, es hat seine Stürme, es hat seine Gezeiten und in seinen Tiefen hat es auch seine Perlen."

Eine Perle liegt in einer Muschel.
Süßwasserperlen sind noch seltener als die von SalzwassermolluskenBild: Paulo de Oliveira/NHPA/Avalon/picture alliance

Die Tränen einer Göttin

Nicht zuletzt die Tatsache, dass Perlen von Lebewesen geformt werden, hat zu ihrem Mythos beigetragen. In vielen Kulturen symbolisieren sie Reinheit, Weisheit und Göttlichkeit. Aufgrund ihres aquatischen Ursprungs werden sie oft mit dem Mond und dem Wasser in Verbindung gebracht.

In der griechischen Mythologie gelten Perlen als Freudentränen der Liebesgöttin Aphrodite, die selbst aus Meeresschaum geboren wurde. Aphrodite oder Venus, wie sie in der römischen Mythologie genannt wird, wurde im Laufe der Jahrhunderte in Kunstwerken oft mit Perlen dargestellt - so auch 1751 auf dem Ölgemälde "Die Toilette der Venus" des französischen Malers François Boucher oder 1907 auf dem Bild "Die Perlen von Aphrodite" des englischen Neoklassizisten Herbert James Draper.

François Bouchers Werk: "Die Toilette der Venus" - Eine nackte Frau sitzt auf einem Divan, um sie herum  drei geflügelte Kinder
François Bouchers Werk: "Die Toilette der Venus" Bild: Liszt Collection/picture alliance

In der Hindu-Mythologie wird dem Gott Krishna die Entdeckung der ersten Perle zugeschrieben. Der Legende nach entnahm er sie dem Meer und schenkte sie seiner Tochter zur Hochzeit. Noch heute symbolisieren Perlen in der hinduistischen Kultur Liebe, Reinheit und Vereinigung.

In der chinesischen Mythologie werden Perlen oft mit Drachen in Verbindung gebracht, die die kostbaren Juwelen in ihrem Maul tragen oder bewachen. Die "Drachenperle" steht für Weisheit, Macht und Glück und soll das harmonische Gleichgewicht von Yin und Yang darstellen, indem sie sowohl männliche als auch weibliche Energien verkörpert. Anders hingegen in Japan: Dort gelten Perlen als Unglücksbringer. Der Legende nach werden sie aus den Tränen von Meerjungfrauen geformt und bringen nur Kummer.

Begehrtes und teures Gut

Erst mit dem Aufkommen der Perlenzucht in Asien im 19. Jahrhundert wurden Perlen erschwinglicher. Davor jedoch waren sie sehr selten und wurden vor allem von Eliten getragen, die ihren Reichtum und Status zur Schau stellen wollten.

Als älteste Aufzeichnung, in der Perlen erwähnt werden, gilt der folgende Satz aus dem Geschichtsbuch "Shu King: "Im Jahr 2206 v.Chr. erhielt König Yu Perlen als Tribut vom Fluss Hwai…". Der älteste bekannte Perlenschmuck wurde im Sarkophag einer persischen Prinzessin gefunden, die 520 v. Chr. starb.

Perlen werden bereits im Alten Testament, im Talmud und im Koran erwähnt. Im Alten Rom waren Perlen sogar wertvoller als Diamanten. Julius Cäsar erließ sogar ein Gesetz, wonach nur Aristokraten innerhalb der Grenzen Roms Perlen tragen durften.

Kleopatra steht mit einladender Geste vor einem Mann, hinter ihr weitere leicht bekleidete Damen, Gemälde
Kleopatra lädt Marc Anton zum exquisiten Dinner einBild: Gemini Collection/IMAGO

Und dann ist da noch die Geschichte der berühmten ägyptischen Königin Kleopatra, die der römische Gelehrte Plinius der Ältere in seiner "Naturalis historia" (deutsch: Naturgeschichte; eine Enzyklopädie in 37 Bänden, Anm. d. Red.) erzählt. Kleopatra hatte mit ihrem Liebhaber Marc Anton gewettet, dass sie 60 Millionen Sesterzen (Silbermünzen des alten Roms, heutiger Wert etwa sechs Millionen Euro) für ein einziges Essen ausgeben könnte. Sie ließ sich ein Schüsselchen mit Essiglösung bringen und versenkte ihre wertvollen Perlenohrringe darin. Die Perlen lösten sich in der säurehaltigen Lösung auf, Kleopatra trank und gewann so ihre Wette. 

Gelehrte haben lange darüber debattiert, ob Essigsäure eine Perle wirklich zersetzen kann. 2010 experimentierte eine Wissenschaftlerin der Montclair State University in New Jersey mit verschieden konzentrierten Essiglösungen und einer fünfkarätigen Perle und fand heraus, dass Kleopatra ihre Wette tatsächlich gewonnen haben könnte.

Kolonialer Raubbau

Wie vielleicht alle Edelsteine waren auch Perlen der Grund dafür, dass Menschen ausgebeutet wurden. Als Christoph Kolumbus die Neue Welt erreichte, galten Perlen als wichtige Beute. Sie standen ganz oben auf der Liste der Begehrlichkeiten der spanischen Krone, in deren Auftrag er seine Reisen unternahm.

Die Atlantikküste Venezuelas war reich an Perlen, daher errichten die spanischen Kolonialherren im frühen 16. Jahrhundert Perlenfischer-Siedlungen vor der Küste, berichtet Molly A. Warsh in ihrem Buch "American Baroque: Pearls and the Nature of the Empire, 1492-1700". Sie tauchten nicht selbst danach, sondern zwangen die Ureinwohner, die kostbaren Perlen heraufzuholen.

Besucher fotografieren mit Handys das Gemälde "Mädchen mit Perlenohrring" von Vermeer.
Vermeers geheimnisvolles "Mädchen mit Perlenohrring" ist weltberühmtBild: Bart Maat/EPA-EFE

"Die Siedlungen wurden schnell berüchtigt, weil sich inmitten heftiger Debatten über die Behandlung der Ureinwohner Amerikas ein brutales Arbeitssystem des Perlentauchens entwickelte“, schreibt Warsh.

Das England der Tudorzeit im 16. Jahrhundert werde oft "Perlenzeitalter" genannt, weil die Oberschicht häufig Perlen trug, um ihren Reichtum zu demonstrieren. Man braucht sich nur Porträts aus dieser Zeit anzuschauen, um den hohen Stellenwert der Perle nachzuvollziehen. Ihre Beliebtheit im damaligen Europa führte zu einem "extremen Angriff auf das marine Ökosystem der Region", bei dem viele Ureinwohner missbraucht wurden, so Warsh.

Und heute? Auch im 21. Jahrhundert wecken Perlen noch Begehrlichkeiten. Die Versteigerung der Abernethy-Perle ist nur das jüngste Kapitel einer langen Geschichte.

Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords