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In Deutschland bricht die Konjunktur ein

30. März 2022

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dämpft das Wachstum, lässt die Preise steigen und führt zu hoher Unsicherheit. Das sagen die Wirtschaftsweisen und warnen vor "drastischen" Folgen für Deutschland.

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Deutschland Wirtschaftsweisen aktualisieren Konjunkturprognose
Monika Schnitzer, Achim Truger, Volker Wieland und Veronika Grimm (v.l.) bilden aktuell den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen EntwicklungBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Eine Gruppe führender Wirtschaftswissenschaftler, eine Prognose pro Jahr: Seit 1963 steht der sogenannte Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Dienst der Bundesregierung und teilt ihr in der Regel im November mit, wie die wirtschaftlichen und konjunkturellen Aussichten sind und was in der deutschen Wirtschaftspolitik besser laufen könnte. Einzig in Krisenzeiten wird dieses Schema durchbrochen und die Wirtschaftsweisen aktualisieren ihr Gutachten.

Das haben sie nun getan und warnen vor einer "drastischen Verschlechterung" der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und im Euro-Raum. Es sei ihnen angesichts des russischen Angriffskriegs und der humanitären Katastrophe in der Ukraine nicht leicht gefallen, "routiniert zum Prognosegeschäft" überzugehen, sagte Achim Truger, Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen bei der Vorstellung des aktualisierten Gutachtens in Berlin. "Aber es hilft ja nichts, das ist unser gesetzlicher Auftrag."

Wachstum bricht ein

Gingen die Wirtschaftsweisen im November noch davon aus, dass die Konjunktur in diesem Jahr um 4,6 Prozent wachsen könnte, werten sie diese Prognose nun auf 1,8 Prozent ab. "Durch den Krieg werden die wegen der Corona-Pandemie bereits angespannten Lieferketten zusätzlich beeinträchtigt. Gleichzeitig belasten die nochmals kräftig gestiegenen Preise für Erdgas und Erdöl die Unternehmen und den privaten Konsum," so Truger.

Deutschland sollte umgehend alle Hebel in Bewegung setzen, um sich gegen einen Stopp russischer Energielieferungen zu wappnen und die Abhängigkeit von Russland zu beenden. Eine Empfehlung, der die Bundesregierung bereits folgt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist seit Wochen auf der Suche nach alternativen Gas-Lieferquellen. Außerdem hat er die "Frühwarnstufe des Notfallplans Gas" ausgerufen, was heißt, dass nun ein Krisenteam kontinuierlich die Versorgungslage bewertet. Habeck appellierte zudem an alle Gasverbraucher, Gas zu sparen. Jede eingesparte Kilowattstunde Energie helfe.

Steigende Inflation

Deutlich gedämpfte Erwartungen im Vergleich zur November-Prognose des Sachverständigenrats gibt es auch bei der Industrieproduktion und mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Einen Lichtblick bietet das Gutachten erst für das Sommerhalbjahr, wenn "der Konsum kontaktintensiver Dienstleistungen zunehmen und positiv zur Entwicklung des BIP beitragen" werde. Die Corona-Pandemie stelle aber auch weiterhin ein Risiko für das Wachstum dar.

Deutlich steigen dürfte die Inflation. Der Sachverständigenrat rechnet mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent in diesem Jahr. Wie außergewöhnlich ein solcher Anstieg ist, zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher. Vergleichbare Preissteigerungen gab es zuletzt vor mehr als 40 Jahren in Folge der Ölkrise. 

Lohn-Preis-Spirale droht

Preissteigerungen wird es vor allem bei Lebensmitteln und Energie geben. Letztere dürften langfristiger Natur sein, meint Sachverständigenratsmitglied Veronika Grimm, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. Bisher habe Deutschland billiges russisches Gas bezogen. "Die Diversifikation der Energieimporte wird auch Kostensteigerungen nach sich ziehen, die natürlich auch dauerhaft bleiben werden, wenn wir weiterhin die Energiesicherheit ausbauen wollen."

Leere Supermarkt Regale-Hamsterkaeufe von Speiseoel.
Die Deutschen hamstern derzeit Öl und Mehl, in den Supermärkten leeren sich die RegaleBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

2023, so sagen die Wissenschaftler, dürfte die Inflationsrate auf 3,4 Prozent zurückgehen. "Die hohe Inflation und die steigenden Inflationserwartungen werden voraussichtlich die Tarifverhandlungen beeinflussen. Die Dynamik für Lohnforderungen dürfte ab dem zweiten Halbjahr 2022 zunehmen. Damit steigt das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale," sagte Grimm.

Die deutsche Industrie fordert bereits staatliche Hilfen. Die Bundesregierung müsse die wirtschaftliche Stärke der Unternehmen bewahren und ihnen helfen, die Krise abzufedern, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. "Die deutsche Industrie sieht die Gefahr, dass Unternehmen wegen der Energiepreise oder aufgrund eines russischen Exportstopps von Energierohstoffen in existenzielle Schwierigkeiten geraten." Schon jetzt seien einige energieintensive Unternehmen gezwungen, ihre Produktion wegen der hohen Kosten für Gas und Strom zu drosseln. 

Kein Beifall für Benzinpreis-Senkungen

Finanzielle Entlastungen sind bislang für die Bürger beschlossen. Die Wirtschaftsweisen werten das als positiv. Allerdings gibt es auch kritische Anmerkungen zum Energie-Entlastungspaketder Bundesregierung. Man dürfe den Benzinpreis nicht künstlich niedrig halten und damit Preissignale verzerren, warnte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer, Professorin für Wirtschaftsforschung an der Universität München. 

Symbolfoto Benzinpreis | Tankstelle München
Die Benzinpreise sind unvermindert hoch Bild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Das wäre kontraproduktiv, weil es darum gehe, Energie zu sparen. "Die Menschen müssen jetzt weniger verbrauchen, sie sollen Fahrgemeinschaften bilden, sie sollen langsamer fahren." Zudem sollten sie versuchen, wo möglich den öffentlichen Personen- und Nahverkehr und weniger das Auto zu nutzen.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hielte es für sinnvoll, die Laufzeiten der drei noch betriebenen Kernkraftwerke zu verlängern. Sie sehe aber auch, dass dies mit großen Herausforderungen verbunden sei.

"Sehr große Unsicherheit"

Die Wirtschaftswissenschaftler warnen davor, die Prognose als endgültig zu betrachten. Sie sei vielmehr mit "sehr großer Unsicherheit" behaftet. Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ließen sich aktuell nur schwer abschätzen: Insbesondere eine weitere Verschärfung des Konfliktes sowie eine Ausweitung der Sanktionen können die deutsche und europäische Wirtschaft deutlich stärker belasten.

"Deutschland ist stark von russischen Energielieferungen abhängig. Ein Stopp dieser Lieferungen birgt das Risiko, dass die deutsche Volkswirtschaft in eine tiefere Rezession abrutscht und die Inflation noch stärker zunimmt", so Monika Schnitzer.