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Politik

"2G-Regel kann Wachstum beschleunigen"

10. November 2021

Das Corona-Virus wütet weiter, die Wirtschaft hat ohnehin Probleme. Wie kann die neue Bundesregierung gegensteuern und welche finanziellen Spielräume hat sie? Die Wirtschaftsweisen sind sich nicht in allem einig.

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Berlin | Sachverständigenrat | Wirtschaftsweise Gutachten für Merkel und Scholz
Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

"Transformation gestalten: Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit" - so ist das aktuelle Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung überschrieben. Das Gremium berät die Bundesregierung, Wirtschaftsweise werden die Wissenschaftler daher umgangssprachlich auch genannt.

Der Blick auf die Konjunktur fällt mit nur noch 2,7 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr gedämpft aus. "Insbesondere die weltweiten Liefer- und Kapazitätsengpässe treffen die stark in globale Wertschöpfungsketten eingebundene deutsche Industrie", heißt es im Gutachten. Steigende Energie-, Rohstoff- sowie Transportkosten würden die Gewinnspannen der Unternehmen belasten, die Folge seien auch höhere Preise für die Verbraucher.

Inspiration für die Verhandler

Viel hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. In Deutschland sind die Infektionszahlen so hoch, wie noch nie. Ein neuer Lockdown würde die Wirtschaft enorm treffen. Würden die Einschränkungen schnell wegfallen, dann könnte das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr hingegen auf 4,6 Prozent steigen. "Die Unsicherheit über die kommende wirtschaftliche Entwicklung ist hoch", räumte der Sachverständige Volker Wieland bei der Vorstellung des Gutachtens in Berlin ein.

Wie soll die neue Bundesregierung damit umgehen? "Das Gutachten kommt zu einem richtigen Zeitpunkt, um noch Inspiration zu geben für die, die jetzt verhandeln", sagte die noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie muss sich mit den Ratschlägen der Wirtschaftswissenschaftler nicht mehr auseinandersetzen - ihr wahrscheinlicher Nachfolger Olaf Scholz (SPD) umso mehr. Als amtierender Bundesfinanzminister war er bei der Übergabe des Gutachtens anwesend. Anfang Dezember will Scholz mit einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Amtsgeschäfte übernehmen. Derzeit arbeiten mehr als 300 Politiker der drei Parteien in 22 Arbeitsgruppen am neuen Regierungsprogramm.

Neue Kredite oder Sparprogramme?

Allerdings ist das Gutachten in diesem Jahr alles andere als ein stringenter Leitfaden für die Politik. Zum ersten Mal in ihrer rund sechzigjährigen Geschichte ist sich das Gremium nicht einig. Differenzen gibt es ausgerechnet in der auch zwischen den künftigen Koalitionären strittigen Haushaltspolitik. Gemessen an den absehbaren Steuereinnahmen wird in den kommenden Jahren der Etat nicht ausreichen, um die Vorhaben der neuen Regierung zu finanzieren. Für den nötigen tiefgreifenden Umbau zu einer klimaneutralen und digitalen Wirtschaft und Gesellschaft fehlt es schlicht an ausreichend Geld.

Pressekonferenz nach Ampel-Sondierungsgesprächen
Die führenden Köpfe der künftigen Koalition: Robert Habeck und Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP) (v.l.)Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Weiteren Krediten steht die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse entgegen, die die Ampel-Parteien einhalten wollen. Diskutiert werden daher Umwege über sogenannte Nebenhaushalte. Zusätzliche Kredite könnten über Fonds oder öffentliche Unternehmen wie beispielsweise die Deutsche Bahn aufgenommen und so aus dem Bundeshaushalt ausgelagert werden. Eine Idee, die nur zwei der vier Sachverständigen gut finden. "Das ist riskant und könnte verfassungsrechtlich gesehen von Gerichten wieder einkassiert werden", warnte die Sachverständige Veronika Grimm. Das Parlament habe keine Kontrolle über Ausgaben, die ausgelagert würden.

Keine ökonomische Klarheit

Mit ihrem Kollegen Volker Wieland ist Grimm der Meinung, dass die künftige Bundesregierung besser Ausgaben kürzen, also in anderen Politikbereichen sparen sollte. Zu nennen seien hier beispielsweise umweltschädliche Subventionen und Entschädigungszahlungen für den Kohleausstieg. Grundsätzlich müssten öffentliche Mittel im Wesentlichen für Investitionen und für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. Die staatliche Finanzierung der Rentenkasse dürfe nicht wichtiger sein als der Klimaschutz.

Die Wirtschaftsweisen Achim Truger und Monika Schnitzer sehen das etwas anders. Sie warnen vor Ausgabenkürzungen, aber auch vor Steuererhöhungen, um die Konjunkturerholung nach der Corona-Krise nicht zu gefährden. Die Uneinigkeit des Sachverständigenrates sei aber verständlich, betont Achim Truger. "Wenn man wichtige Ausgaben hat, die irgendwie finanziert werden müssen, kann man Steuern erhöhen, Ausgaben senken oder etwas mehr Defizite in Kauf nehmen. Man kann diese Frage ökonomisch nicht eindeutig klären."

Internationaler Klimaschutz

Weitaus einiger sind sich die Wissenschaftler in anderen Themenbereichen. Beim Klimaschutz plädieren sie für viel mehr internationale Zusammenarbeit, wobei auch die privaten Unternehmen eingebunden werden müssten. Ziel müssten klimafreundliche Wertschöpfungsketten sein. "Gelingt es, durch Lastenausgleich und technologische Kooperationen den Entwicklungs- und Schwellenländern nachhaltige Wachstumsperspektiven zu eröffnen, so könnte global der Klimaschutz beschleunigt und die Kosten für die Vermeidung von Emissionen könnten verringert werden", heißt es im Gutachten.

Einigkeit besteht zwischen den Wirtschaftsweisen auch beim Blick auf das weitere Pandemie-Management. Die Einführung einer bundesweiten 2G-Regel, also nur noch Geimpften und Genesenen den Zutritt zu Restaurants, Museen, Fitnessstudios und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens zu erlauben, sei zu empfehlen. Die Erfahrung in anderen Ländern zeige das. "Ich würde schon sagen, dass das sogar das Wachstum beschleunigen kann", so Volker Wieland.