Hätte Beethoven das Beethovenjahr anlässlich seines 250. Geburtstages gemocht? Wohl kaum. Denn er war ein eigensinniger, unangepasster Kopf. Er hatte nichts mit Mainstream und Popularisierung nach dem Motto "Melodien für Millionen" im Sinne. Auch nichts mit den Herrschenden, vor deren Thronen er mitnichten zitterte. Seine bevorzugte Sitzgelegenheit war die zwischen den Stühlen. Wenn er von der Politik jetzt als Friedensbringer, Kulturbotschafter und "nationale Aufgabe" vereinnahmt wird, wäre ihm das kalte Grauen gekommen.
Das Beethoven-Jahr würde also beim Meister selbst gewiss nicht die vielbesungene "Ode an die Freude" auslösen. Das zumindest hat er mit den hauptamtlichen Beethoven-Festkomitees in seiner Geburtsstadt Bonn und seiner Hauptwirkungsstädte Wien gemeinsam. Denn als dem Jubiläumsjahr der Aufruf vorauseilte, unbedingt Großes, Geniales, gar Gigantisches auf die Beine zu stellen, reagierte man dort nicht mit Freudengesängen, sondern mit Schweißausbrüchen. Der Erwartungsdruck war gewaltig und die Versuchung groß, den Titan mit einem gewissermaßen titanhaften Festprogramm noch überbieten zu wollen. 42 Millionen Euro gab es dafür allein in Deutschland extra aus der Staatskasse. Bedeutendes sollte dabei bitteschön herauskommen.
Viel Geld für das immer Gleiche
Doch der Blick in die Konzert- und Eventkalender des nächsten Jahres ist erst einmal ernüchternd. Viel Geld ist ins immer Gleiche und ins bemüht Außergewöhnliche investiert worden.
Größer, weiter, schöner, mehr: Unter diesem Motto scheinen die meisten der mehreren Tausend Jubiläumsveranstaltungen zu stehen. Drei Beispiele: Warum muss die ohnehin zum Überdruss gespielte "Neunte" jetzt noch häufiger auf die Bühne gebracht werden? Warum der erdrückende enzyklopädische Anspruch, immer gleich alle Sinfonien, alle Klaviersonaten aufzuführen? Und warum, so fragt man sich, bringt ein Unternehmen wie die Deutsche Telekom den Popstar Robbie Williams zum Beethoven-Jubiläum in dessen Geburtsstadt Bonn?
Zum Glück finden sich im Jubiläumsjahr auch andere Töne. Etwa die mehr als 800 Hauskonzerte, die unter dem Motto "Beethoven bei uns" seine Musik zu den Menschen bringt - in Seniorenheime, Yoga-Studios oder schlicht in Wohnzimmer. Ein Wagnis mit unbekanntem Ausgang ist das Projekt #bebeethoven, das jungen Künstlern die Chance gibt, sich und die Musik im Sinne Beethovens radikal neu zu erfinden. Sie experimentieren mit digitaler Technik und künstlicher Intelligenz, erproben ungewöhnliche Konzertformate und diskutieren, wie die Musik der Zukunft in einer digitalisierten und globalisierten Welt klingen könnte.
Herausragend: Der DW-Musikfilm über Beethovens Neunte
Gelungen ist die neu konzipierte Ausstellung in Beethovens Bonner Geburtshaus, die einen kenntnisreichen und zeitgemäßen Zugang zu Beethoven ermöglicht. Unter den vielen neuen Beethovenbüchern und -filmen ragt - und hier sei einmal erlaubt, den eigenen Sender zu loben - der DW-Musikfilm "Beethovens Neunte - Symphonie für die Welt" hervor. Wer sieht, mit welcher unerhörten Dringlichkeit die Bratscherin aus den Favelas von Sao Paulo oder der Dirigent aus Kinshasa über Beethoven und die Musik sprechen, der spürt: Diese Menschen haben vielleicht mehr von Beethoven verstanden als viele von uns. Derweil haben wir in Deutschland im nächsten Jahr mit einer drohenden Überdosis an Beethoven zu kämpfen. Da drängt sich fast die Frage des musikalischen Artenschutzes auf.
Wird Beethoven das ihm gewidmete Jubiläumsjahr überstehen? Wird er sich aus dem Würgergriff des "Seid umschlungen Millionen" wieder befreien können? Ja, Zuversicht ist angebracht - Beethoven wird das überleben! Sein Genius ist unverwüstlich und seine Musik "unkaputtbar". Wenn sogar der zerbrechliche Mozart schon das Mozartjahr überstanden hat, dann brauchen wir uns um den robusten Beethoven erst recht keine Sorgen machen. Und doch dürfen wir uns schon auf das Jahr 2021 freuen - wenn der ganze Trubel wieder vorbei ist.