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Großer Sport vor Minimalkulisse

Sebastian Saam
14. September 2020

Als eines der ersten großen Sport-Events seit Beginn der Corona-Krise durfte das ISTAF wieder Zuschauer zulassen. Funktioniert ein Leichtathletik-Meeting mit internationalen Stars vor nur 3.500 Besuchern?

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Leichtathletik: Istaf Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Wie ein Leichtathletik-Meeting von internationaler Bedeutung sieht es nicht gerade aus. In geordneten Reihen wie in der Schule und mit Sicherheitsabstand werden die Zuschauer ins Berliner Olympiastadion eingelassen, zumindest die, die an diesem Tag kommen dürfen. Wo normalerweise Menschenmengen den Durchgang versperren, geht es an diesem Tag recht übersichtlich zu. Eine Frau mit blauem Ordner-Leibchen hat eine Leiter bestiegen und sagt per Megaphon durch: "Bitte vergessen Sie nicht Ihre Masken!" Das kümmert Ariana und Laurée aber nicht, die beiden jungen Berliner Frauen sind überzeugt: "Es ist schon ein echtes Event hier." Die beiden, selbst Stabhochspringerinnen, wissen, warum sie gekommen sind: "Es ist die Weltspitze hier."

Das trifft zwar vielleicht nicht auf jeden der Wettbewerbe in vollem Umfang zu, aber dennoch: Hier sind Weltmeister, Olympiasieger und Weltrekordhalter. Insgesamt haben 3.500 Glückliche für das 99. ISTAF, das steht für Internationales Stadionfest, ein Ticket im Internet erhalten. In Corona-Zeiten hat das ISTAF es geschafft, als eines der ersten wichtigen internationalen Sport-Events wieder Zuschauer zulassen zu dürfen. Dahinter steht ein ausgefeiltes 50 Seiten starkes Hygiene-Konzept, sowie ein finanzieller Zuschuss des Berliner Senats in sechsstelliger Höhe, um den Einnahmeverlust durch fehlende Zuschauer kompensieren zu können. Normalerweise kommen 40.000.

Funktioniert ein zu 95 Prozent leeres Stadion?

"Wir wurden alle auf Corona getestet bei unserer Ankunft", sagt die deutsche Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo. Keiner der 130 Teilnehmer war positiv, der letzte potentielle Stolperstein damit vor dem Event aus dem Weg geräumt. Im Stadion selbst herrschen am Wettkampf-Tag strenge Abstandsvorschriften, nur jede zweite Sitzreihe ist besetzt. Zwischen Menschen, die nicht aus einem Haushalt kommen, sind vier Plätze zur Seite frei. Aber alle haben Klatscher erhalten, und auf der Laufbahn animiert Bär "Berlino" zum Mitmachen.

Leichtathletik: Istaf Berlin
Malaika Mihambo: Negativer Coronatest, dafür positive Eindrücke vom ISTAF - trotz besonderer Umstände Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Nur: Können 3.500 Zuschauer in einer Arena, die 70.000 Menschen Platz bietet, Stimmung entfachen? Niemand im weiten Rund des Olympiastadions weiß so genau, was das werden soll, als die ersten Athleten an Flammenwerfern vorbei zur Vorstellung einlaufen. Noch wirkt es surreal, noch sieht es irgendwie wie eine Übung aus. Doch der Stadionsprecher gibt sich reichlich Mühe, und bekommt bald Unterstützung von den Sportlern. US-Dreisprung-Olympiasieger Christian Taylor und sein deutscher Konkurrent Max Heß beginnen eine Battle, an deren Ende eine neue Weltjahresbestleistung steht. Taylor springt 17,57 Meter im letzten Versuch, zuvor hatte er das Publikum immer wieder auf rhythmisches Klatschen eingeschworen. "Ich mache gerne eine Show", sagt Taylor, "und das Stadion ist echt laut."

"Endlich wieder Normalität"

Während Taylor noch seine Ehrenrunde dreht, hat der Stabhochsprung begonnen. Kurz vor Beginn der Pandemie hatte der Schwede Armand Duplantis mit 6,18 Meter einen neuen Weltrekord aufgestellt. Jetzt genießt er es sichtlich, wieder von den Zuschauern hochgeputscht zu werden. Als er den Wettkampf längst gewonnen hat, lässt er optimistische 6,15 Meter auflegen. Minuten lang wartet er günstigere Windverhältnisse ab, während das Publikum ihn frenetisch anfeuert. Schließlich läuft er an und scheitert an der Höhe, kommt noch nicht einmal zur Stange hoch. Aber egal. "Endlich wieder Normalität", jubelt er danach schwer begeistert in die Reportermikros und klatscht dabei Norwegens Ausnahmeläufer Karsten Warholm ab, der gerade den 40 Jahre alten ISTAF-Rekord über 400 Meter Hürden gebrochen hat, einst aufgestellt von Edwin Moses.

Leichtathletik: Istaf Berlin
Endlich wieder vor Publikum auf Höhenjagd gehen: Stabhochspringer Armand DuplantisBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Spätestens da ist das Stadion voll da, wie es vor Corona noch so schön hieß. Auch wenn es nur zu fünf Prozent ausgelastet ist an diesem Tag. Als dann auch noch Deutschlands Speerwurf-Ass Johannes Vetter, der erst am 6.September den seit 24 Jahren bestehenden Weltrekord in seiner Disziplin um nur 72 Zentimeter verpasst hatte, in den Wettkampf einsteigt, gibt es die ersten Standing Ovations. Das Publikum will insgeheim den Weltrekord, doch auch wenn der nicht fällt, wird es immer dann am lautesten, wenn Vetter an der Reihe ist. "Ich wusste gar nicht, wieviel Bambule 3.500 Zuschauer machen können", wundert sich der 27-jährige Dresdner am Ende.

Ein Zeichen an die Sportwelt

"Ein Leuchtturm der Leichtathletik" wolle man sein, so ISTAF-Direktor Martin Seeber vor dem Event. Am Ende sind alle dankbar: Veranstalter, Zuschauer und vor allem auch die Sportler. In diesem doch recht gebrauchten Jahr 2020, in dem die Olympischen Spiele verschoben wurden und in dem es fast keine Wettkampfpraxis gab, haben sie beim ältesten Leichtathletik-Meeting der Welt endlich auch wieder mal so etwas wie Begeisterung spüren dürfen. Und wenn die ehrlich ist, dann ist auch die Zuschauerzahl egal.

Leichtathletik: Istaf Berlin
Zwei "Fans" des ISTAF: Speerwerfer Johannes Vetter (l.) und Maskottchen BerlinoBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

"Ich begeistere lieber 3.500 mit meiner Leistung, als dass es 40.000 egal ist", kommentiert der deutsche Stabhochspringer Raphael Holzdeppe fast schon philosophisch. Da ist es fast schon unerheblich, dass er selbst in seinem Wettbewerb nur Zehnter und damit Letzter wird.