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Politik

Putin erneuert Erdogans Liebe zur NATO

2. März 2020

Der russische Präsident mag seinen türkischen Gegenspieler in Syrien überlistet haben - doch dabei ging auch ihre Freundschaft zu Bruch. Diesmal könnten Putins Pläne nach hinten losgehen, meint Konstantin Eggert.

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Treffen Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin in Sotschi
Bild: Reuters/S. Chirikov

Wladimir Putin ist in Eile. So schnell wie möglich will der russische Präsident den Sieg im Syrien-Krieg verkünden. Der Kreml hat das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad vor einer Niederlage gerettet - auf Kosten vieler Menschenleben. Doch die letzte Hürde steht noch: Die syrische Provinz Idlib wird nach wie vor von Anti-Assad-Kräften kontrolliert. Und das bremst Putins Pläne aus - auch die im eigenen Land.

Zum einen muss der Kremlchef noch ein sehr wichtiges innenpolitisches Projekt abschließen: die Verfassungsreform, über die das russische Volk am 22. April abstimmen wird. Die Änderungen - an denen derzeit noch gefeilt wird - sollen sicherstellen, dass Putin weiter die Kontrolle über das politische System und wichtige politische und personelle Entscheidungen behält - und zwar auch nach dem Ende seiner vierten Amtszeit im Jahr 2024. Doch Umfragen zeigen, dass die Russen von den Kriegen des Kreml im Ausland nicht begeistert sind. Putin hat bereits mindestens zweimal den Rückzug der russischen Truppen aus Syrien angekündigt - ein "endgültiger" Sieg dort käme ihm deshalb sehr gelegen.

Zweitens freut sich der russische Machthaber auf eine allmähliche Entspannung der Beziehungen zur EU, wenn nicht sogar auf eine vollständige Normalisierung. Die Annäherungsversuche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron während der Münchner Sicherheitskonferenz haben ihn dazu ermutigt.

Das könnte klappen, wenn Putin die Europäer davon überzeugt, Druck auf die Führung der Ukraine auszuüben. Das Land soll - wenn es nach Putin geht - die Bedingungen Russlands für die Beendigung des Ukraine-Konflikts akzeptieren.

Riskantes Geschäft

Doch um seine Ziele zu erreichen, muss Putin den syrischen Sumpf hinter sich lassen. Sein - nicht ganz unbegründetes - Kalkül lautet: Der Westen wird seine Vorwürfe der Kriegsverbrechen gegen die russischen Streitkräfte vergessen, wenn in Syrien zumindest ein relativer Frieden herrscht.

von Eggert Konstantin Kommentarbild App
Konstantin Eggert ist russischer Journalist

Aber diese Rechnung birgt Risiken. Denn Putins Pläne für eine schnelle Lösung in Syrien haben ihm Ärger mit jemandem eingehandelt, der noch vor wenigen Wochen zu seinen Verbündeten zählte: der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan. Nun stehen die beiden Länder an der Schwelle zu einer direkten militärischen Konfrontation, besonders seit am Donnerstag 33 türkische Soldaten bei einem Luftangriff getötet wurden. Die offizielle Version in Damaskus und Moskau lautet zwar, dass es Syrer waren, die das türkische Militär in der Provinz Idlib angegriffen haben. Es besteht jedoch der Verdacht, dass die türkischen Soldaten von der russischen Luftwaffe - die den Bodentruppen Assads Rückendeckung und Unterstützung bietet - getroffen wurden.

Ankara will Moskau nicht die Schuld geben, weil die Türkei keine militärische Konfrontation mit Putin riskieren möchte. Auch die NATO - zu deren strategisch wichtigen Mitgliedern die Türkei gehört - will das nicht.

Wer blinzelt zuerst?

Erdogan hat die vergangenen zwei Jahre damit verbracht, seine Unabhängigkeit innerhalb des NATO-Bündnisses zur Schau zu stellen - indem er russische Luftabwehr-Raketensysteme kaufte und Mitveranstalter der Syrien-Friedensgespräche im russischen Ferienort Sotschi war, während er die USA und andere westliche Verbündete ignorierte. Jetzt braucht Erdogan mehr als nur Solidaritätsbekundungen des NATO-Hauptquartiers in Brüssel, um Putins Schritten entgegenzuwirken. In einem verzweifelten Versuch, westliche Unterstützung zu gewinnen, öffnete Erdogan die Grenzen der Türkei, um mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien und von anderswo in die Europäische Union einreisen zu lassen. Für Erdogan ist die Drohung, die Flüchtlingskrise von 2015 könne sich wiederholen, ein Druckmittel, um die Staatschefs europäischer Länder zu schnellem Handeln zu zwingen und Druck auf Putin auszuüben.

Die Ironie, dass Erdogan so viel Zeit und Mühe investiert hat, um sich von der NATO und der EU zu distanzieren, und jetzt nach ihrer Hilfe schreit, wird den Russen nicht entgangen sein. Dennoch könnte die Strategie des Kreml nach hinten losgehen, wenn Erdogan beschließt, eine Bodenoffensive gegen Assads Armee zu starten und die türkische Luftwaffe einzusetzen. Es ist nicht klar, wer das Spiel "Wer blinzelt zuerst?" gewinnen wird.

Der Konflikt könnte zu Gunsten Putins ausgehen, wenn er in Syrien schnell genug handelt, um jeder türkischen Aktion zuvorzukommen. Ein massiver Bombenangriff auf Idlib würde dies erreichen - zivile Opfer waren für Putin und seine Generäle nie ein Thema. Vielleicht wurde aber auch ein wackeliger Kompromiss zusammengeschustert, nachdem Putin am Freitag mit Erdogan telefonierte.

Doch auf lange Sicht könnte Putin sich selbst neue Probleme geschaffen haben. Erdogan wird die Demütigung durch Russland nie vergessen. Sie hat ihn innenpolitisch und in den Augen der NATO-Verbündeten geschwächt. Er könnte jetzt damit beginnen, die Beziehungen zum Bündnis zu reparieren. Was er aber sicher nicht tun wird, ist, Frieden mit dem Assad-Regime zu schließen. Und das bedeutet, dass Putins Traum, Syrien hinter sich zu lassen, möglicherweise zerplatzt.