Europas Casting-Show: EU-Parlament prüft neue Kommissare
3. November 2024Von diesem Montag an bis zum 12. November werden in Brüssel 26 Politikerinnen und Politiker auf den heißen Stuhl gesetzt. Das EU-Parlament befragt die Kandidatinnen und Kandidaten für die neue EU-Kommission, die höchsten Ämter in der EU-Zentrale mit 38.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Drei Stunden lang muss sich jeder Anwärter öffentlich den bohrenden Fragen aus den acht Fraktionen des EU-Parlaments stellen. Erst wenn die Abgeordneten im Plenum der neuen EU-Kommission als Ganzes zustimmen, kann die neue Mannschaft unter Führung der alten und neuen Präsidentin, Ursula von der Leyen, am 1. Dezember anfangen zu arbeiten.
Von der Leyen selbst wurde bereits vom EU-Parlament auf Vorschlag der Mitgliedsstaaten bestätigt und muss sich keiner Befragung mehr stellen.
Was darf gefragt werden?
Im Prinzip alles. Die Abgeordneten bereiten Fragen zum beruflichen Werdegang, zu finanziellen Interessen, zu dunklen Punkten im Lebenslauf, zu moralischen und politischen Einstellungen vor.
Es geht darum, Schwachstellen der Kandidatinnen und Kandidaten herauszuarbeiten. Bewertet wird auch das Auftreten während der Befragung: Souveränität, Aufregung, Stottern oder klare Aussagen.
Die Befragung läuft nach strengen Regeln und mit zugewiesenen Redezeiten ab. Nach der Befragung entscheiden die Abgeordneten des zuständigen Fachausschusses mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit sofort, ob der Test bestanden wurde oder nicht.
Was passiert, wenn jemand patzt?
Die Abgeordneten fordern den Heimatstaat des durchgefallenen Kandidaten auf, einen neuen Bewerber oder eine Bewerberin nach Brüssel zu schicken. Auch dieser oder diese würde dann drei Stunden in einer weiteren Anhörung durchgescheckt.
Seit 2004 hat das Parlament als Machtdemonstration gegenüber der EU-Kommission sechs Mal Bewerber abgelehnt. 2004 traf es den erzkonservativen Italiener Rocco Buttiglione, der Homosexuelle nicht als "Verbrecher, aber als Sünder" brandmarkte.
2019 musste neben anderen die Französin Sylvie Goulard gehen, wegen ihrer ethisch zweifelhaften Beteiligung an einer US-amerikanischen Denkfabrik.
Wer sind diesmal die Wackelkandidaten?
Die linken und liberalen Fraktionen im Parlament haben vor allem den ungarischen EU-Kommissar Oliver Varhelyi im Visier. Varhelyi war bislang EU-Kommissar für Erweiterung und soll nun das eher zweitrangige Ressort Gesundheit und Tierwohl übernehmen. Er gilt als treuer Anhänger des rechtsextremen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban.
Die drei rechtspopulistischen bis rechtsextremen Gruppen im Europaparlament könnten sich auf die liberale belgische Kandidatin Hadja Lahbib einschießen.
Ein Scheitern wäre auch für die bulgarische Kandidatin Ekaterina Zaharieva denkbar. Die ehemalige bulgarische Außenministerin war zuhause in einen Skandal um den Verkauf von bulgarischen Staatsbürgerschaften verwickelt.
Eine Zurückweisung könnte auch dem Kandidaten aus Malta blühen. Einige Abgeordnete werfen Glenn Micallef, dem Büroleiter des maltesischen Premiers, vor, er habe zu wenig politische Erfahrung, um das Amt des EU-Kommissars für Jugend, Kultur und Sport ausfüllen zu können.
Ungeschoren wird wohl der italienische rechtsextreme Kandidat Raffaele Fitto davonkommen. Das Parlament wird ihn hart befragen, aber wohl doch nicht wagen, den Wunschkandidaten der rechtsextremen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni abzuschmettern.
Die einflussreiche Meloni gibt sich in Brüssel stets europafreundlich und hat ihr postfaschistisches Image erfolgreich abgestreift.
Welche Rolle spielt Viktor Orban im Hintergrund?
Sollte das Parlament den ungarischen EU-Kommissar durchfallen lassen, könnte Ministerpräsident Orban einen Amtsantritt der neuen EU-Verwaltungsspitze um Wochen oder gar Monate verzögern. Wenn er keinen Ersatz-Kandidaten oder weitere ungeeignete Bewerber nach Brüssel schickte, könnte die EU-Kommission vom Parlament nicht bestätigt werden und ihr Amt nicht antreten.
Orban gilt als EU-feindlich und könnte sich in der Rolle als Blockierer gefallen. Er ist schon lange der Ansicht, dass sich in Brüssel und der EU etwas Grundlegendes ändern müsse, weil die EU-Kommission sich aufführe wie das Politbüro der ehemaligen Sowjetunion.
Die EU hält derzeit viele Milliarden Euro für Ungarn aus dem EU-Haushalt zurück, weil Viktor Orban Urteile des Europäischen Gerichtshofes ignoriert und sein Land autokratisch umbaut.
Was ist neu an der neuen Kommission?
Präsidentin Ursula von der Leyen hat sich für ihre zweite Amtsperiode neue Zuschnitte für die Posten ausgedacht. Die Betonung liegt jetzt weniger auf dem reinen Kampf gegen Klimawandel, sondern eher auf der Stärkung der europäischen Wirtschaft beim Umbau hin zu einer klimaneutralen Produktion.
Neu sind die Ressorts Verteidigung, Tierschutz, Wohnungsbau und Mittelmeer. Mittelmeer? Ja, die kroatische Kommissarin Dubravka Suica soll sich um die südlichen Anrainer des Meeres in Nordafrika, kümmern, um den gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsraum mit der EU auszubauen. Für Fische, Ozeane und Tourismus sind andere Kommissare zuständig.
Und zum Schluss: Was verdient ein EU-Kommissar eigentlich?
Der Posten als EU-Kommissarin oder Kommissar ist nicht unattraktiv. Den Stress des Tests durch das Parlament auf sich zu nehmen, kann sich lohnen. Das Grundgehalt beträgt knapp 26.000 Euro brutto monatlich.
Die Präsidentin der Kommission erhält 31.800 Euro ohne Zulagen. Zum Vergleich: der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz verdient rund 32.000 Euro pro Monat allerdings mit Zulagen.