Trumps Begnadigungen "untergraben die Rechtstaatlichkeit"
25. Januar 2025Es war eine der ersten Amtshandlungen des Präsidenten der Vereinigten Staaten nach seiner Amtseinführung am Montag: Donald Trump begnadigte fast alle der rund 1600 Menschen, die für ihre Teilnahme am Sturm auf das Kapitol vor vier Jahren verurteilt worden waren. Er hatte sie stets als "J6 Hostages" bezeichnet, als "Geiseln des 6. Januar".
Dabei handelt es sich unter anderem um hunderte US-Bürger und -Bürgerinnen, die ihre Straftaten vom 6. Januar 2021 zugegeben haben. Viele weitere wurden verurteilt, zum Beispiel, weil sie gewalttätig gegen die Polizei und anderes Sicherheitspersonal vorgingen. Der Begnadigungs-Rundumschlag gleich zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit war außergewöhnlich.
"Begnadigungen sind normalerweise etwas, das am Ende einer Präsidentschaft stattfindet", macht Aimee Ghosh deutlich, zuständig für Staatstätigkeit bei der internationalen Kanzlei Pillsbury und Expertin für Regierungsrecht. Historisch gesehen stünden Begnadigungen am ersten Tag eines Präsidenten im Weißen Haus nicht groß im Fokus. "Manchmal unterzeichnen Präsidenten Begnadigungen während ihrer Amtszeit, speziell wenn sich die Gesetzgebung ändert und eine bestimmte Handlung auf einmal nicht mehr kriminell ist", sagte Ghosh der Deutschen Welle.
Das war bei den Verurteilten vom 6. Januar nicht der Fall. Polizisten und Polizistinnen anzugreifen ist nach wie vor ein schwerwiegendes Verbrechen. Warum also unterzeichnete Trump "eine allumfassende, vollständige und bedingungslose Begnadigung", wie es in seinem Dekret heißt, für fast alle Beteiligten am Sturm aufs Kapitol?
Die Begnadigungen passen zu Trumps Stil
Trumps Aussagen nach waren die Verurteilten lediglich Opfer einer Kampagne seiner Gegner. Im ersten Fernsehinterview seiner zweiten Amtszeit, das er dem Trump-freundlichen Sender Fox News gab, sprach der US-Präsident von "unnötig harten Bedingungen" im Gefängnis.
Außerdem hätten die Verurteilten lediglich "gegen das Wahlergebnis protestiert, und es sollte erlaubt sein, gegen das Wahlergebnis zu protestieren". Auf die Aussage des Moderators, es sollte Demonstranten aber nicht erlaubt sein, ins Kapitol einzudringen, sagte Trump, die meisten der Menschen, um die es ging, seien "absolut unschuldig".
Für Joseph Margulies, Professor an der Cornell University im US-Bundesstaat New York, ist es unmöglich festzustellen, ob Trump das wirklich glaubt, ob hinter den Begnadigungen politisches Kalkül steckt oder ob es eine Mischung aus beidem ist. Die Begnadigungen passten in jedem Falle zu Trumps Stil, sagt der Jurist. "Das Narrativ, Konventionen nicht nur zu ignorieren, sondern sie zu zerschlagen, ist seine Marke. Wie etwa die Geschichte umzuschreiben, sodass sie seiner Basis sympathisch ist." Die Begnadigungen seien genau das.
Es sei tatsächlich eher eine Amnestie als eine individuelle Begnadigung von speziellen Verbrechen, meint auch Bernadette Meyler, Juraprofessorin an der Stanford University in Kalifornien. "Das Außergewöhnliche an dieser Amnestie ist, wie stark sie diejenigen unterstützt, die auf Trumps eigener politischer Seite stehen", macht die Expertin für US-Verfassungsrecht deutlich.
Wer sind die Begnadigten?
Die Verurteilten waren größtenteils Trump-Unterstützer, die an seine gerichtlich widerlegte Trump-Lüge glaubten, die Demokraten hätten die Wahl 2020 "gestohlen" und er, Trump, sei der Wahlsieger. Am 6. Januar 2021 waren die Kongressmitglieder damit beschäftigt, den eindeutigen Wahlsieg Joe Bidens zu zertifizieren, als der wütende Mob ins Washingtoner Kapitol eindrang. Kurz vorher hatte Trump in der Nähe eine Rede gehalten, bei der er erneut von seinem Wahlsieg sprach und seine Unterstützer aufforderte, sich auf den Weg zum Kapitol zu machen.
Vier Trump-Unterstützer kamen im Zusammenhang mit dem Sturm auf den Sitz der beiden Parlamentskammern auf dem Capitol Hill ums Leben. Ein Polizist erlitt in Folge der Ereignisse zwei Schlaganfälle und verstarb wenig später. Vier weitere Polizeibeamte, die vor Ort gewesen waren, begingen in den Wochen und Monaten nach dem 6. Januar Selbstmord.
Trump wurde vom Repräsentantenhaus offiziell der Anstiftung zum Aufruhr beschuldigt. Aber der mehrheitlich republikanische Senat sprach ihn frei.
Trumps Botschaft: Autorisierung zum Gesetzesbruch
Das Recht des Präsidenten, Begnadigungen zu erlassen, beruht auf dem Grundsatz, dass "das Gesetz grausam sein kann", sagt Staatsrechtler Margulies. Der Präsident habe die Macht, Gnade walten zu lassen.
Doch welche Botschaft sendet es, wenn der Präsident diese Gnade Unterstützern zukommen lässt, die gewaltsam ins US-Kapitol eindrangen? "Die kürzlich ausgesprochenen Begnadigungen haben die Rechtsstaatlichkeit in den USA erheblich untergraben", sagt Juraprofessorin Meyler. "Wir können davon ausgehen, dass sowohl Regierungsbeamte als auch normale Bürger sich autorisiert fühlen werden, gegen das Gesetz zu verstoßen, wenn es im Sinne von Trumps politischen Zielen ist. Sie erwarten dann, begnadigt zu werden."
Regeln verlieren an Kraft, je öfter sie ignoriert werden
Joseph Margulies von der Cornell University sieht die Begnadigungen nicht als Kommentar zur Rechtsstaatlichkeit im Land. Diese sei nicht so neutral wie viele glauben. "Rechtsstaatlichkeit ist immer politisch. Natürlich wird sie in diesem Fall manipuliert, um politischen Gewinn zu erzielen", so seine Einschätzung. Dieser spezielle Begnadigungsfall sei außergewöhnlich. "Aber das sagt nichts über die Rechtsstaatlichkeit aus, sondern etwas über Donald Trump."
Und dennoch werden Trumps jüngste Begnadigungen entscheidende Auswirkungen haben, sagt Margulies. Sein Verhalten beeinflusse, was die Menschen als "normal" empfinden. "Wann immer Regeln herabgesetzt werden, wird es leichter, diese Herabsetzung zu wiederholen", sagt Margulies. "Die Schwächung von Regeln hat ihren Preis."