Die Linke: Von der Volkspartei im Osten zum Auslaufmodell?
18. Oktober 2024Glück hatte die Linke zuletzt bei der Bundestagswahl 2021. Obwohl sie knapp an der Fünf-Prozent-Sperrminorität gescheitert war, durfte sie als Fraktion im Parlament bleiben. Die Partei profitierte von einer Besonderheit im deutschen Wahlrecht: Ihre Kandidatinnen und Kandidaten hatten die benötigte Mindestzahl von drei Wahlkreisen gewonnen. Deshalb durften sogar 38 Linke in den Deutschen Bundestag einziehen. Diese Zahl entsprach ihrem Stimmenanteil von 4,9 Prozent. Insgesamt gibt es über 700 Abgeordnete.
Grund zur Freude gab es nach diesem Happyend aber nicht mehr. Bei der Europawahl im Juni 2024 erlitt die Linke ebenso starke Verluste wie bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Der absolute Tiefpunkt folgte am 22. September: "Gestern war ein bitterer Abend für uns", sagte der Partei-Vorsitzende Martin Schirdewan am Tag nach der Landtagswahl in Brandenburg.
Die Linke fliegt erstmals im Osten aus einem Parlament
Was war geschehen? Die Linke war mit einem Stimmenanteil von drei Prozent erstmals aus einem ostdeutschen Parlament geflogen. Dort hat die Linke ihre Wurzeln, denn sie ist aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangen. In Zeiten, als es zwei deutsche Staaten gab: die Bundesrepublik im Westen und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) im Osten.
Auf dem Gebiet der einstigen DDR konnte sich die Linke nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 schnell als Volkspartei etablieren. In ihren besten Zeiten erzielte sie teilweise Wahlergebnisse von fast 30 Prozent. Schon früh war sie an Landesregierungen beteiligt, anfangs noch unter dem Namen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS).
Janine Wissler und Martin Schirdewan sind gescheitert
Nach der historischen Niederlage in Brandenburg muss die Linke aber mehr denn je darum bangen, nicht ganz von der politischen Landkarte zu verschwinden. Wie das gelingen könnte, darum wird vom 18. bis 20. Oktober auf dem Bundesparteitag in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) gehen. Das 2022 gewählte Führungsduo Martin Schirdewan und Janine Wissler verzichtet auf eine erneute Kandidatur für den Parteivorsitz.
Den beiden ist es nicht gelungen, den Abwärtstrend zu stoppen. Für Gregor Gysi ist diese Entwicklung besonders bitter. Er hat die Geschichte der Linken und ihrer Vorgängerin PDS über viele Jahre entscheidend geprägt: als Vorsitzender der Partei und Chef der Bundestagsfraktion. Für den Niedergang seines politischen Lebenswerkes gibt es aus Gysis Sicht mehrere Gründe – programmatische und personelle.
Gregor Gysi: "Wir haben der AfD Freiräume geboten"
Zunächst scheiterte der Versuch, im Westen Deutschlands Fuß zu fassen. "Dadurch wurde der Osten vernachlässigt", sagte Gysi Anfang Oktober in einem Interview mit dem "Tagesspiegel". Lange galt die Linke als Partei, die sich vor allem in wirtschaftlich schwachen Regionen um die Menschen kümmerte. Diese Rolle nimmt inzwischen die zunehmend rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) ein. "Wir haben der AfD Freiräume geboten", ärgert sich der 76-Jährige.
Der Streit um den strategischen Kurs spitzte sich zu und führte im Oktober 2023 zur Auflösung der Bundestagsfraktion. Die Abtrünnigen gründeten im Januar 2024 das nach ihrer Wortführerin benannte Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die neue Partei propagiert sozial- und wirtschaftspolitisch einen ähnlichen Kurs wie die Linke, aber in der Migrationspolitik steht sie der AfD wesentlich näher.
Die Linke leidet unter Sahra Wagenknecht
Wagenknecht versuche, die Linke zu zerstören, meint ihr langjähriger politischer Weggefährte Gysi. Auf jeden Fall ist es ihr und dem BSW gelungen, auf Kosten der Linken bei den drei Landtagswahlen 2024 zweistellige Ergebnisse zu erzielen. Im aktuellen Deutschlandtrend steht das BSW mit acht Prozent deutlich vor der Linken mit drei Prozent.
Die Zukunft hänge vom bevorstehenden Parteitag ab, glaubt Gysi. Wenn man so weitermache wie bisher, "laufen wir einem Begräbnis entgegen", prophezeit der promovierte Rechtsanwalt. "Beim letzten Parteitag waren wir in einer Existenzkrise. Und was ist passiert? Einen ganzen Tag wurde über sexuelle Identitäten debattiert." Andere wichtige Themen wurden aus seiner Sicht schon lange vernachlässigt.
Personeller Neuanfang auf dem Parteitag in Halle
Die beiden Vorsitzenden der Linken ziehen daraus ihre Konsequenzen und verzichten auf eine erneute Kandidatur. Martin Schirdewan räumt ein, "dass wir im Moment keine ausreichenden Antworten auf die Frage geben können, welche Rolle wir in der Gesellschaft spielen". Man müsse den Parteitag für eine Neuaufstellung nutzen, ergänzt Janine Wissler.
Die Trendwende soll mit einem erfahrenen Politiker und einer Newcomerin gelingen. Jan van Aken war von 2009 bis 2017 Bundestagsabgeordneter, Ines Schwerdtner ist erst 2023 in die Linke eingetreten. "Jetzt sind wir in der Talsohle angelangt. Für mich ideale Startvoraussetzungen: Es kann nur noch aufwärts gehen", sagte van Aken in einem Interview mit der Zeitung "Weserkurier".
Jan van Aken setzt auf Diplomatie
Der 63-Jährige ist seit Jahrzehnten in der Friedensszene aktiv. In den 1990er Jahren engagierte er sich bei der Umweltorganisation Greenpeace und von 2004 bis 2006 arbeitete er als Inspekteur für Biowaffen bei den Vereinten Nationen (UN). Da habe er sehr viel über Diplomatie gelernt. "Und so hoffe ich, dass ich die verschiedenen Ecken der Linken wieder zusammenführen kann, auf dass sie wieder mit einer Stimme sprechen", sagt van Aken.
Wie schwer es werden dürfte, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, belegt eine aktuelle Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linken politisch nahesteht. Demnach hat die Partei seit 2009 in ihren einstmals klassischen Milieus massiv an Zustimmung verloren. Das gilt vor allem für Menschen, die in Fabriken und in der Dienstleistungsbranche arbeiten.
Das BSW punktet in Milieus der Linken
Durch die Abspaltung der Wagenknecht-Partei BSW ist das Wählerpotenzial nochmals deutlich gesunken. Einziger Trost für die Linke: "Es ist kein Fall ins Bodenlose", resümiert der auf Wahlforschung und politische Einstellungen spezialisierte Studien-Autor Carsten Braband.
Daraus schöpft der designierte Parteivorsitzende Jan van Aken Hoffnung und zieht eine Parallele zu einem Aufsteiger in die Fußball-Bundesliga, der aus seiner Heimatstadt Hamburg stammt: "Der FC Sankt Pauli ist ja auch nicht aufgestiegen, weil er so viele tolle Einzelspieler hat, aber er hat eine super Teamleistung erbracht."
Wichtigstes Ziel 2025: Einzug in den Bundestag
Van Akens Vorbild ist ganz schwach in die Saison gestartet und war Tabellenletzter. Inzwischen hat der Underdog den ersten Sieg eingefahren und die Abstiegsplätze verlassen. Von einer solchen Entwicklung träumt auch die Linke nach einer Serie von Niederlagen und Rückschlägen. Das Ziel: Wiedereinzug in den Bundestag nach der Wahl 2025.