Deutschland streicht Gelder für israelische NGOs
7. Januar 2025"Müde und frustriert” - so beschreibt John Preuss seinen Zustand nach einem monatelangen Kampf mit den Behörden. Monate, in denen er versucht hat, die Partnerschaft mit zwei israelischen Organisationen zu retten.
Preuss' Organisation, Kurve Wustrow, die unter anderem von der deutschen Regierung gefördert wird, hat zahlreiche Gespräche geführt, um die Behörden davon zu überzeugen, Zochrot und New Profile weiter finanzieren zu dürfen. Die zwei israelischen Organisationen setzen sich für Kriegsdienstverweigerer und für die Aufarbeitung der israelischen Geschichte ein.
Dann aber, Mitte Dezember, kam die finale Entscheidung: Kurve Wustrow müsse die Zusammenarbeit mit den beiden israelischen Organisationen beenden, und das obwohl den Projekten erst Ende 2023 eine weitere Förderung zugesagt worden war. Eine Erklärung für den plötzlichen Sinneswandel der deutschen Regierung bekamen sie nicht. Preuss und seine Partner konnten nur mutmaßen, wogegen sie sich überhaupt verteidigen mussten.
Mindestens sechs palästinensische Organisationen betroffen
Die DW hat zahlreiche Emails und interne Dokumente gesichtet und mit Dutzenden Insidern aus dem Entwicklungsbereich in Deutschland, Israel und dem Westjordanland geredet. Fast keiner wollte namentlich zitiert werden, zu groß war die Angst, ebenfalls öffentliche Gelder zu verlieren, oder gar als antisemitisch zu gelten.
Seit dem 7. Oktober 2023, so das Ergebnis der Recherche, hat Deutschland stillschweigend einer ganzen Reihe von Menschenrechtsorganisationen Gelder entzogen: Mindestens sechs palästinensische Organisationen sind darunter, laut einigen Gesprächspartnern der DW könnten es sogar noch mehr sein. Die Gesprächspartner glauben, dahinter stecke ein politisches Motiv. Es sei der Versuch, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen in einer Zeit, in der auch die israelische Regierung hart gegen ihre Kritiker vorgeht. Viele, mit denen die DW gesprochen hat, vermuten Druck der Israelischen Regierung hinter der Entscheidung.
Das Auswärtige Amt weist diese Vorwürfe als "unzutreffend” zurück: Die Bundesregierung fördere weiterhin - und im Einklang mit ihren außenpolitischen Zielen - zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in Israel und in den palästinensischen Gebieten, welche sich kritisch mit der israelischen Besatzungspolitik auseinandersetzen.
Kontroverse Themen: Flucht, Vertreibung und Kriegsdienstverweigerung
Die Arbeit von Zochrot und New Profile ist umstritten in Israel - vor allem unter einer Regierung, die so weit rechts steht wie keine andere in der Geschichte des Landes.
Zochrot - "Erinnerung” auf Hebräisch - setzt sich für die Anerkennung der Nakba ein. So nennen Palästinenser Flucht und Vertreibung vor und nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948. Die Organisation macht sich stark für ein Rückkehrrecht der Flüchtlinge und ihrer Nachkommen, eine hoch kontroverse Forderung in Israel, gegen die sich israelische Regierungen stets gewehrt haben.
Sie habe vor der finalen Entscheidung deutsche Beamte getroffen, erzählt Rachel Beitarie, die Direktorin von Zochrot. "Immer wieder wurde die deutsche Vergangenheit, das Naziregime angesprochen”, sagt sie. Deutsche Beamte, erzählt sie weiter, hätten ihr gesagt, dass es für Deutschland aufgrund der Geschichte wichtig sei, Israel zu unterstützen.
In einem Versuch, die Sache zu klären, schrieb Zochrot sogar eine Stellungnahme für die deutsche Regierung zu der Frage, ob die Organisation das Existenzrecht Israels in Frage stellt: Nein, schrieb Zochrot: "Die Existenz Israels ist ein Fakt, keine Meinung oder ein Werturteil (...) Wir stellen sie nicht in Frage”. Und weiter: "Was wir in Frage stellen, ist die Politik der israelischen Regierung.”
Beitarie beziffert den Verlust durch die Entscheidung auf 100.000 Euro, etwa ein Viertel des Budgets ihrer Organisation: "Das tut uns auf jeden Fall weh, aber wird uns nicht davon abhalten, weiterzuarbeiten."
Die zweite Organisation, New Profile, ist eine Bewegung von Freiwilligen, die Kriegsdienstverweigerer unterstützt. In Israel ist der Militärdienst verpflichtend für Männer und Frauen. Wer ihn verweigert, riskiert Gefängnisstrafen. Die Organisation hat nach eigenen Angaben nun die Hälfte ihrer Mittel verloren.
Auch sie versuchte, die deutsche Regierung mit einem langen Statement davon zu überzeugen, das ihre Arbeit "in strengem Übereinkommen mit israelischen Gesetzen” sei. Auch das vergebens.
Sergeiy Sandler, der Schatzmeister der Organisation, sagt, die deutsche Entscheidung käme zu einem Zeitpunkt, an dem sie den "größtmöglichen Schaden” für ihre Arbeit anrichte. Seit Beginn des Gaza-Krieges würden mehr und mehr israelische Soldaten "aus moralischen Gründen” entscheiden, den Kriegsdienst zu verweigern. New Profile müsse nun schnellstmöglich neue Mittel finden.
Beide Organisationen haben seit etwa zwei Jahrzehnten über verschiedene deutsche Partner Gelder bekommen. Bis jetzt, so sagen es Insider der DW, sei ihre Arbeit nie auf Bedenken bei der deutschen Seite getroffen.
Restriktivere Finanzierungspolitik Deutschlands
Ist es möglich, dass Druck durch die israelische Regierung die deutschen Behörden beeinflusst haben könnte? Das glauben viele, mit denen die DW gesprochen hat.
Dass Budgetmittel, die an Entwicklungsorganisationen und in humanitäre Hilfe fließen, vor allem in Kriegs- und Krisenregionen regelmäßig überprüft werden, ist an sich nicht ungewöhnlich. Die plötzliche Entscheidung, Mittel zu streichen, allerdings schon, sagt John Preuss von Kurve Wustrow. Die NGO unterstützt Projekte zur Friedensförderung in vielen Ländern, darunter auch Sudan und Myanmar. So etwas sei noch nie passiert.
Im Fall von Israel und den palästinensischen Gebieten, ist die Situation besonders kompliziert. Im November 2024 hat das deutsche Parlament eine Resolution verabschiedet, die die Vergabe von öffentlichen Geldern an eine umstrittene Definition von Antisemitismus bindet.
Kritiker sagen, dass diese Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) wenig Spielraum für die Kritik an der israelischen Regierung lasse. Als Beispiele für Antisemitismus nennt IHRA unter anderem: "Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten” oder "die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.”
Mehrere Insider werfen der Bundesregierung inzwischen vor, seit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 immer restriktiver vorzugehen. Damals töteten Hamas und andere palästinensische Gruppen rund 1200 Israelis und nahmen 254 Geiseln. Die israelische Antwort: der Krieg in Gaza, in dem nach Angaben der Behörden zehntausende Palästinenser getötet wurden, darunter viele Kinder.
Unter deutschen NGO-Mitarbeitern zirkuliert eine Liste von 15 Organisationen, die seit Ende 2023 ihre deutsche Förderung verloren haben. Am stärksten von den Streichungen betroffen sind palästinensische Organisationen.
Das Auswärtige Amt der DW nicht bestätigen, wie viele Organisationen ihre Gelder verloren haben. Doch die Recherchen der DW ergeben, dass neben Zochrot und New Profile zusätzlich noch mindestens sechs palästinensische Organisationen die Mittel gestrichen wurden.
Kehrtwende bei der Finanzierung
Der Fall dieser sechs palästinensischen Organisationen zeigt Deutschlands zunehmend restriktive Haltung besonders deutlich, sagen uns viele NGO-Mitarbeiter.
Israel hatte den Organisationen 2021 Verbindungen zu Terrorismus vorgeworfen und Beweise dafür auch mit europäischen Partnern geteilt. Doch viele Länder, darunter Frankreich und Deutschland, hatten diese Einstufung als unbegründet bezeichnet. Neun europäische Außenministerien veröffentlichten im Juli 2022 einen gemeinsamen Brief: Sie hätten "keine wesentlichen Informationen von Israel erhalten, die eine Überprüfung unserer Politik gegenüber den sechs palästinensischen NGOs rechtfertigen würden".
Die wohl bekannteste der Organisationen ist Al-Haq. Sie liefert dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) fortlaufend Beweise und Zeugenaussagen. Im November 2024 erließ der ICC einen Haftbefehl gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und andere hochrangige Israelis wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Mehrere DW-Informanten aus der Zivilgesellschaft denken, dass die Zusammenarbeit mit dem ICC der Grund dafür war, dass Al-Haq auf Israels Terrorliste gesetzt wurde. Die Entscheidung sei "zu hundert Prozent" politisch gewesen, ist der damalige Vertreter der Europäischen Union im Westjordanland und Gaza, Sven Kühn von Burgsdorff, überzeugt: "Keine der Prüfungen und Finanzkontrollen kam zu dem Ergebnis, dass eine dieser sechs NGOs gegen unsere Finanzierungsvereinbarungen oder vertraglichen Verpflichtungen verstoßen hat."
Auch Deutschland setzte die Finanzierung zunächst fort. Doch im Dezember 2023 - nur wenige Tage vor Weihnachten, als viele Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bereits im Urlaub waren, kam die Kehrtwende. Den sechs Organisationen wurde die sogenannte "außenpolitische Unbedenklichkeitsbescheinigung” entzogen. Die Bescheinigung ist die Bedingung dafür, dass ausländische Hilfsorganisationen mit öffentlichen Mitteln gefördert werden können.
Der DW liegt ein als Verschlusssache eingestufter Bericht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vor: Darin heißt es, dass keine neue Zusammenarbeit mit den sechs Organisationen genehmigt werden solle. Gründe werden darin nicht genannt und die Entscheidung wurde auch nicht öffentlich kommuniziert. Auf die Frage, was den Entzug der Unbedenklichkeitserklärung veranlasst habe, heißt es aus dem Auswärtigen Amt lediglich, die Regierung habe alle Informationen über die sechs NGOs überprüft und tue dies auch weiterhin.
Zochrot: Bundesregierung "beteiligt sich an Unterdrückung"
Die Mittelstreichungen kämen zu einer Zeit, in der es in Israel immer schwieriger werde, die israelische Regierung und ihre Politik zu kritisieren, sagt der israelische Anwalt Michael Sfard. Seit Jahren berät er palästinensische und israelische NGOs, darunter auch Al-Haq. Die Israelische Regierung versuche, die Finanzierung von Menschenrechtsorganisationen einzuschränken, um abweichende Meinungen zu unterdrücken, glaubt er. Das sei eine bewusste Strategie.
"Dieser Trend begann vor 15 Jahren. Aber unter der jetzigen Regierung und insbesondere nach dem 7. Oktober hat er seinen Höhepunkt erreicht", so Sfard. Es sei "unglaublich, wie schwierig es im heutigen Israel ist, die Politik der Regierung zu kritisieren".
Die israelische Botschaft in Berlin hat nicht auf DW-Fragen zum Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in Israel geantwortet.
Rachel Beitarie, die Direktorin von Zochrot, erlebt wachsenden Druck. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutsche Regierung. Mit der Mittelstreichung beteilige sie sich quasi an der "Unterdrückung” der Zivilgesellschaft.
Sergeiy Sandler von New Profile teilt diese Ansicht. Er lebt in Be'er Sheva, einer Stadt im Süden Israels, gelegen zwischen zwei Militärflughäfen, nur 40 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Ununterbrochen hört er das Dröhnen der Flugzeuge, die Tag und Nacht in den Gazastreifen fliegen oder von dort zurückkehren.
"Die Arbeit von New Profile hilft zumindest einigen Menschen, die sich nicht direkt an den Gräueltaten beteiligen wollen", sagt er. New Profile erhalte immer mehr Anfragen von Menschen, die den Militärdienst verweigern wollten.
"Ich kann verstehen, warum die israelische Regierung uns unterdrücken will", so Sandler. "Aber warum", fragt er, "sollte die deutsche Regierung israelischen Bürgern die ideologischen Forderungen der israelischen Regierung aufzwingen, warum kritische Stimmen zum Schweigen bringen und das auch noch in einem anderen Land?”
Das Auswärtige Amt weist diese Vorwürfe zurück. In einer schriftlichen Antwort an die DW schreibt eine Sprecherin, die Aussage, Deutschland versuche kritische Stimmen gegenüber Netanjahus Regierung zum Schweigen zu bringen, sei "unzutreffend".
Mitarbeit: Tania Krämer in Be'er Sheva und Tel Aviv
Redaktion: Mathias Bölinger, Sarah Hofmann
Factchecking: Carolyn Thompson
Juristische Beratung: Florian Wagenknecht