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Politik

Debatte um Gesichtserkennung im Bundestag

30. Januar 2020

Überwachungskameras an Bahnhöfen, Flughäfen oder in der S-Bahn gibt es längst. Sie werden allerdings nicht in Echtzeit mit bestehenden Datenbanken abgeglichen. Der Bundestag hat diskutiert, ob sich das ändern soll.

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Bahnhofs Südkreuz -Testlauf zur Gesichtserkennung durch Überwachungskameras
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Polizeibehörden und Zoll können in Datenbanken der deutschen Sicherheitsbehörden aktuell auf mehr als 5,8 Millionen Gesichtsbilder zugreifen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Innenexperten Andrej Hunko von der Linkspartei hervor. Wie das Innenministerium darin weiter ausführt, hatte die für politisch motivierte Kriminalität und Spionage zuständige Abteilung des Bundeskriminalamtes (BKA) Anfang Januar zudem weitere 3124 Fotos "recherchefähig gespeichert". Der Bildbestand der Staatsschutz-Abteilung ist allerdings nicht für alle Nutzer des polizeilichen Informationsverbunds zugänglich.

Innenminister hat noch offene Fragen

Der Bundestag diskutierte nun kontrovers über den Einsatz von Systemen zur automatisierten Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Diese Systeme können Menschen, deren Fotos in einer Polizeidatenbank gespeichert sind, sozusagen live erkennen, wenn sie von einer Videokamera gefilmt werden.

Die liberale FDP und die Grünen sind gegen den Einsatz der Technologie. Die FDP fordert ein gesetzliches "Recht auf Anonymität" im öffentlichen Raum, das aber zum Zweck der Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung eingeschränkt werden kann. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will vorerst auf den Einsatz entsprechender Software verzichten. Er habe dazu noch Fragen, hatte er vergangene Woche erklärt. Deshalb ließ er einen Passus zur Verwendung entsprechender Software an Bahnhöfen und anderen sicherheitsrelevanten Orten aus einem internen Entwurf für das neue Bundespolizeigesetz streichen.

"Wunderbares Fahndungsinstrument"

Vertreter der konservativen Union aus CDU und CSU machten sich in der Debatte für den Einsatz der automatischen Gesichtserkennung stark. Unbescholtene Bürger hätten nichts zu fürchten, betonte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Mathias Middelberg (CDU). Die Aufnahmen würden schließlich mit einer Datenbank verglichen, in der Bilder von Schwerstkriminellen und Terroristen gespeichert seien. "Das ist gewissermaßen eine Verbrecherdatei mit Verbrechergesichtern."

Infografik Wie funktioniert eigentlich Gesichtserkennung? DEU

Der Abgeordnete Roman Reusch der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) sprach von einem "wunderbaren Fahndungsinstrument", das man den Behörden bei der Jagd auf Schwerverbrecher nicht aus der Hand schlagen dürfe.

Kann das System getäuscht werden?

Vertreter der Sozialdemokraten wiesen auf Schwächen des Systems hin. "Eine automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ist sehr einfach auch zu überlisten", warnte die innenpolitische Sprecherin Ute Vogt. Täter könnten sich tarnen, Bürger würden jedoch anlasslos kontrolliert. Ihr Parteikollege Uli Grötsch kündigte an: "Wir haben neben rechtlichen auch ethische Fragen zu diskutieren. Dafür brauchen wir Zeit."

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, warnte vor Hunderten falschen Treffern am Tag. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, bemängelte: "Die Systeme sind völlig unausgereift, die Fehlerquote ist horrend." Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, André Hahn, forderte ein "klares Stoppzeichen" für die Technologie. "Der öffentliche Raum dient dann praktisch nur noch der Fahndung."

Automatische Bilderkennung schon jetzt möglich

Auch wenn der automatisierte Einsatz mit Video-Kameras vorerst Zukunftsmusik bleibt: Schon jetzt werden Systeme zur Gesichtserkennung für die Suche nach konkreten Personen in den Datenbanken der Polizei eingesetzt. Nach Angaben der Bundesregierung wurden im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 23.915 Anfragen an das Gesichtserkennungssystem des BKA gestellt. Die Bundespolizei recherchierte in diesem Zeitraum 1200 Mal und identifizierte dabei 219 Menschen.

Berlin Bahnhof Südkreuz Videoüberwachung mit Gesichtserkennung
Bund und Deutsche Bahn testeten die automatische Gesichtserkennung an einem Bahnhof in BerlinBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Im vergangenen Jahr hatte das BKA Gesichtserkennungssysteme von fünf Herstellern getestet. Der Auftrag für ein neues System soll noch vor Ende März erteilt werden. Eingesetzt werden könnte die Software etwa bei polizeilichen Ermittlungsarbeiten oder im polizeilichen Erkennungsdienst. Die genaue Funktionsweise der Systeme sei dem BKA nicht bekannt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Allerdings kämen dabei "Methoden des maschinellen Lernens" zum Einsatz.

Ein US-Unternehmen macht's vor

Diese Methoden benutzt auch das New Yorker Start-up Clearview AI, wie die New York Times (NYT) berichtete. In einer von der NYT veröffentlichten Broschüre gibt Clearview an, bereits drei Milliarden Datensätze an Bildern zu besitzen - das FBI komme im Vergleich nur auf 411 Millionen Bilder, also nicht mal ein Siebtel.

Das Unternehmen bedient sich laut dem NYT-Bericht bei Netzwerken wie Facebook und Youtube und durchsucht zahllose online verfügbare Fotos nach Gesichtern. In seinen Datenbanken speichert es Links und Informationen zum Bild selbst - so auch die in eine Vektorgrafik umgewandelten biometrischen Informationen, die jedes Gesicht einzigartig machen.

Doch auch Clearview könnte durch seine Praktiken bald Probleme bekommen. In den Nutzungsbedingungen von sozialen Medien wie Facebook, Instagram und Youtube wird untersagt, im großen Maße Bilder zu sammeln; Twitter verbietet sogar explizit, seine Daten zur Gesichtserkennung zu missbrauchen. Clearview-Gründer Hoan Ton-That sagte der NYT: "Viele Leute machen das." Facebook wisse Bescheid.

pgr/ehl/fab (dpa, Bundestag, DW)