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Politik

Weil sie es können

Deutschland Konstantin Klein in Bonn
Konstantin Klein
23. Januar 2020

Google-Chef Sundar Pichai schlägt vor, die Entwicklung und den Einsatz automatischer Gesichtserkennung einzuschränken, bis die Risiken erforscht sind. Sein Vorschlag kommt zu spät, meint Konstantin Klein.

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USA Entwicklerkonferenz Google I/O in Mountain View Sundar Pichai
Bild: picture-alliance/dpa/J. Chiu

"Weil wir es können" ist die Lieblingsbegründung derer, die zu faul, zu zynisch oder schlicht zu überheblich sind, ihre Taten rational, nachvollziehbar und verständlich zu begründen. Die Macht des Möglichen führt in der Weltpolitik, der Wirtschaft und eigentlich überall zu Entscheidungen, die unser Leben mehr beeinflussen, als wir es wahrhaben wollen.

Und damit wären wir bei Sundar Pichai, dem Vorstandsvorsitzenden von Google und dessen Mutterkonzern Alphabet. Googles selbstverordnetes Motto war einmal "Don't be evil" (Sei nicht böse), aber das ist lange her. Seit zwei Jahren kommt der Satz nur noch ganz weit hinten im Verhaltenskodex der Firma vor und wurde auf der Ebene des Mutterkonzerns Alphabet Inc. durch "Do the right thing" (Tu das Richtige) ersetzt. Diese Formulierung lässt reichlich Spielraum für Interpretationen: Was ist gut, was ist böse? "The right thing" könnte aus der Sicht von Aktionären durchaus etwas sein, was aus Sicht von Nicht-Aktionären "evil" wäre.

Pichais Fünf-Jahre Moratorium

"Das Richtige" aus Sicht von Sundar Pichai ist, ein Moratorium für die Anwendung von Gesichtserkennungssoftware vorzuschlagen. Den Vorschlag machte Pichai auf einer Konferenz der Brüsseler Denkfabrik "Bruegel" genau in der Woche, in der die Tätigkeit der US-Gesichtserkennungs-Firma Clearview AI bekannt wurde; in der gleichen Woche denken aber auch EU-Offizielle ganz im Sinne des Pichai-Vorschlages darüber nach, ob derartige Software nicht für bis zu fünf Jahre verboten werden sollte, um in dieser Zeit die Risiken der Technologie für Privatsphäre und Datenschutz abschätzen zu können.

Kommentarbild Klein Konstantin
DW-Redakteur Konstantin Klein

Vorschläge wie der von Sundar Pichai sind nicht neu: Daten- und Verbraucherschützer in der EU und in den USA haben sich schon früher für Maßnahmen gegen den unkontrollierten Einsatz von automatischer Gesichtserkennung ausgesprochen. Google selbst habe, sagt Pichai, sich zur Zurückhaltung entschlossen, weil die Technologie noch nicht reif sei - während Googles Konkurrenten Amazon, Facebook und Microsoft ihren Kunden automatische Gesichtserkennung weiter als aufregendes Feature aufschwätzen.

Weil sie es können.

Ein Saulus als Paulus?

Nun ist Google unbestritten alles andere als der strahlende Ritter des Datenschutzes. Vielleicht läuft der Konzern bei der Entwicklung der Gesichtserkennung der Konkurrenz einfach nur ein paar Schritte hinterher. Wahrscheinlicher ist, dass Pichai schon vor dem Bekanntwerden der Geschäftstätigkeit von Clearview AI erkannt hat, dass Menschen sich durch Gesichtserkennung viel mehr bedroht fühlen als beispielsweise durch das unauffällige Sammeln von Gesundheitsdaten - das Google schon früh als Geschäftsfeld für sich entdeckt hat.

Dass automatische Gesichtserkennung für die Erkannten unangenehm ist, weiß man seit dem testweisen Einsatz solcher Software am Berliner Bahnhof Südkreuz und den Reaktionen von Verbrauchern wie Verbraucherschützern. Dass sie längst - und nicht nur versuchsweise - eingesetzt wird, dass sie ein ernsthaftes Problem für die Freiheit des Menschen darstellt, und dass Pichais Vorschlag deshalb ebenso lobenswert wie sinnlos ist, erkennt man an der automatischen Überwachung der uigurischen Minderheit ebenso wie der chinesischen Mehrheit in China. Die Bereitschaft zum Abwarten, Erforschen und Nachdenken ist nicht überall auf der Welt gleich verteilt und hängt ganz wesentlich von den Interessen ab, die jeweils dahinterstehen. Dabei geht es Google zum Glück nur um das Geldverdienen, anders als in China.

Auch Sundar Pichai wird erleben, was anderen längst widerfahren ist - von Regierungen und Behörden in ihrem vergeblichen Kampf gegen Verschlüsselung bei Onlinekommunikation bis zu Datenschützern mit ihren hilflosen Versuchen, Daten wirklich zu schützen. Sie alle haben gelernt oder müssen noch begreifen, dass die klugen, begabten, aber nicht immer verantwortungsbewussten Köpfe der Informationsgesellschaft früher oder später einfach tun, was möglich ist - egal, ob es gut oder wenigstens "the right thing" ist.

Weil sie es können.