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Gesellschaft

Irans komplexe Beziehung zur arabischen Welt

4. Februar 2020

Der Iran will mit Hilfe seiner schiitischen Verbündeten seinen regionalen Einfluss ausweiten. Aber die konfessionellen Bindungen werden schwächer: Anlass für einen Blick auf das iranisch-arabische Verhältnis.

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Irak Aschurafest in Kerbela
Hingabe: Schiitische Pilger im irakischen KerbalaBild: Imago Images//UPI Photo

Die jüngste Protestwelle im Iran hat der Führung gezeigt, wie weit sie sich inzwischen von Teilen der Bevölkerung entfernt hat. "Um von den offensichtlichen ökonomischen und politischen Misserfolgen zu Hause abzulenken, inszeniert sich die Islamische Republik als Anwalt für die arabische Sache und zeigt sich arabischer als die Araber selbst", heißt es in einer Analyse der Zeitschrift "Foreign Policy" vom Januar dieses Jahres. Ein Beispiel dafür sei der 1979 von Ayatollah Chomeini ausgerufene "Al-Quds-Tag", der sich gegen die israelische Präsenz in Ost-Jerusalem, insbesondere das Terrain rund um die Al-Aqsa-Moschee, richtet.

Solidarisch präsentierte sich der Iran auch, nachdem US-Präsident Donald Trump seinen "Jahrhundertdeal", den Plan zur israelisch-palästinensischen Einigung, vorgestellt hatte. In Reaktion darauf veröffentlichte die Quds-Einheiten der Revolutionsgarden einen Text, in dem sie zum Widerstand gegen den Plan aufriefen und die Palästinenser dafür priesen, dass sie sich auch "allein" gegen den Plan wehren würden. Und Ayatollah Mohammad Movahedi-Kermani, der für die Freitagsgebete in Teheran verantwortliche Geistliche, bezeichnete das Abkommen als "Verrat und Skandal des Jahrhunderts". Abgesehen von verbalen und symbolischen Bekundungen der Solidarität versucht der Iran durch Bündnisse mit zumeist schiitischen Milizen und Bevölkerungsteilen in den Nachbarländern, dominierenden Einfluss zu gewinnen beziehungsweise auszubauen. Zugleich empfinden viele Iraner aber auch kulturelle Nähe zu ihren arabischen Glaubensbrüdern. Das zeigt sich etwa bei den jährlichen Pilgerfahrten zu den schiitischen Heiligtümern im Irak, an denen zahllose Iraner teilnehmen.(s. Artikelbild)

Iran Hassan Rohani Präsident 02.08.2013
Demonstriert für Jerusalem als arabische Stadt: Präsident Hassan Rohani beim "Quds"-Tag in Teheran, 2013Bild: Atta Kenare/AFP/Getty Images

Nationalismus überlagert konfessionelle Verbindungen

Allerdings wird der iranische Führungsanspruch auch bei der schiitischen Bevölkerung der arabischen Nachbarstaaten zunehmend in Frage gestellt. So wandten sich die ursprünglich gegen innenpolitische Missstände gerichteten Proteste im Libanon sehr bald auch gegen den Einfluss, den der Iran über die Hisbollah auf die libanesische Politik ausübt. Diese Kritik griffen bald auch viele der an den Demonstrationen teilnehmenden Schiiten auf, die ebenso wie die Sunniten auf konfessionelle Symbole verzichteten und stattdessen die libanesische Nationalflagge schwenkten. Das war ein deutliches Zeichen, dass konfessionelle Motive in Teilen der arabischen Welt an Überzeugungskraft verlieren. An ihre Stelle tritt das Engagement für einen geeinten Staat jenseits religiöser Gräben.

Tatsächlich hätten viele Araber inzwischen ein ausgeprägt nationalstaatliches Bewusstsein, sagt die an der Universität Heidelberg lehrende Iranistin Rebecca Sauer. "Das kann man etwa daran sehen, dass sich in der arabischen Welt viele Schiiten in erster Linie als Araber verstehen, die sich ihrem jeweiligen Land und eben nicht dem Iran verpflichtet fühlen. Entsprechend gründen auch außenpolitische Bündnisse weniger auf konfessionellen als auf machtpolitischen Erwägungen."

Buch der Könige von Abu l-Qasem-e Ferdousi
Illustration aus dem "Buch der Könige" des Dichters Ferdausi, der im 10. Jahrhundert die Zeit vor der arabischen Eroberung schilderte Bild: Imago Images/Kharbine-Tapabor

"Zweihundert Jahre Stille"

Historisch war das Verhältnis zwischen dem Iran und den arabischen Eroberern vielschichtig. Der Historiker Morteza Ravandi erinnert in seiner 1974 erschienenen Sozialgeschichte des Iran an die Brutalität der neuen Herren. Die verdichtet sich etwa im verstörenden Bild jenes Eisenrings, den sie iranischen Bauern um den Hals schlossen und darauf die Höhe der Kriegsschulden und Steuern eintrugen, die sie ihren neuen Herrn noch schuldeten. Andererseits konstatiert der britische Historiker Michael Axworthy: "Die (arabische) Eroberung war zum größten Teil nicht mit Massenmord, Zwangskonversion und ethnischen Säuberungen verbunden … Im Allgemeinen ließen die Araber die (persischen) Landeigentümer, Bauern und Händler ihrem Erwerb nachgehen wie bisher."

Die arabische Eroberung um die Mitte des siebten Jahrhunderts löschte zwar die alt-persischen Institutionen der Monarchie und der zoroastrischen Religion aus, nicht aber die persische Sprache. Trotz "zweihundert Jahren Stille", so der Titel eines Buches des Historikers Abdolhossein Zarrinkoub von 1951, überlebte das Persische einschließlich vieler Lehnwörter aus dem Arabischen. Es hat sich seit dem 11. Jahrhundert bis heute "bemerkenswert wenig verändert", schreibt Axworthy.

Die These eines durchgängigen Antagonismus zwischen Arabern und Persern lasse sich ohnehin nicht halten, sagt Rebecca Sauer, die an der Universität Heidelberg Islamwissenschaft lehrt. Zwar habe es durchaus Spannungen gegeben. "So führten Perser und Araber während der Abbassiden-Zeit eine berühmte Kontroverse um die so genannte 'shu'ubiya'. Deren Grundlage findet sich in den Koranversen 49: 13. Darin heißt es, dass Gott die Menschen als Männer und Frauen sowie Völker und Stämme geschaffen, damit sie einander kennenlernen. Sollte man dieses 'Kennenlernen' nun wörtlich nehmen? Viele persische Diskutanten zweifelten daran. Sie verwiesen auf ihre viele Jahrhunderte alte Kultur. Die Araber hingegen erklärten, ihre Religion, der Islam, stünde für eine Erneuerung der Moral und des intellektuellen Lebens."

Sittenbild aus dem elften Jahrhundert

Doch neben diesen Spannungen hätten sich immer auch Ambivalenzen und Übergänge gezeigt. "Die Situation war vor allem durch Grautöne geprägt", sagt Rebecca Sauer. So hatte der im 10. Jahrhundert geborene Dichter Abu l-Qasem-e Firdausi in seinem "Buch der Könige" bereits die Willfährigkeit von Teilen der iranischen Elite gegenüber den Eroberern aufs Korn genommen. "Sie setzen die Minbar auf gleiche Höhe wie den Thron / Und nennen ihre Kinder Omar und Osman. Dann mündet unsere harte Arbeit in den Ruin / von da an beginnt ein langer Abstieg."

Die Verse klagen den politischen Opportunismus ihrer Zeit an. Zugleich liefern sie ein Sittenbild auch der kommenden Zeiten. "Im Laufe der Jahrhunderte sind beide Kulturen - die der Perser und die der Araber - zu einer Synthese gekommen. Davon kann man ungefähr ab dem 13. Jahrhundert sprechen", sagt Sauer. Diese Vermischung habe sich nur auf ideologischer, sondern auch auf administrativer Ebene vollzogen. "So haben die Eroberer durchaus den alten Verwaltungsapparat des Sassaniden-Reich übernommen, und zwar nicht nur dessen Strukturen, sondern auch dessen Personal."

Sohrab Sepehri
Multikulturelle Identität: der Dichter Sohrab Sepehri Bild: Gemeinfrei

"Anti-arabischer Reflex"

Rund 1300 Jahre später versuchte Mohammad Reza Pahlavi, letzter Schah des Iran, eine weltliche Version der iranischen Monarchie zu etablieren. An dessen Stelle trat nach der Revolution von 1979 das von Ayatollah Chomenei errichtete System der Oberherrschaft des geistlichen Führers, das inzwischen für viele Iraner ebenso reif für das Verschwinden ist wie damals das Schah-Regime. Die Proteste im Iran spiegeln auch das multikulturelle Selbstgefühl vieler Iraner wider, sagt der im US-amerikanischen Exil lebende Kulturwissenschaftler Hamid Dabashi. In einem Artikel für den katarischen Sender Al Dschasira erinnert er an die multikulturelle Geschichte des Iran. Er zitiert seinen Landsmann, den Dichter Sohrab Sepehri (1928-1980). Der hatte in einem Gedicht auf die Vielfalt möglicher Ursprünge hingewiesen: "Ich komme aus Kashan / Meine Abstammung mag auf eine Pflanzung in Indien zurückgehen / auf Überreste aus dem Boden von Suialk / oder vielleicht eine Prostituierte in Bukhara."

In diesem Protest, moniert Dabashi, schwinge allerdings auch ein anti-arabischer Reflex mit, den er mit Verweis auf seine eigene Biographie kritisiert. So habe er einen arabischen Vornamen und einen indischen Nachnamen. Dieser bedeute so viel wie "zweisprachig". Die Vorbehalte gegen alles Arabische gingen auf iranische Intellektuelle des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurück. "Alles, was ihnen als iranische Rückständigkeit erschien, führten sie auf den Islam, den Islam auf die Araber, und die Araber auf Fanatismus und Dummheit zurück."

Bildergalerie Iran KW37 Hochzeit
Iranische Hochzeit im Sinne der geistlichen Führung am Grab des "unbekannten Märtyrers" Bild: Tasnim

Viele junge Iraner sprechen sich allerdings gegen den arabischen Einfluss in ihrem Land aus. So lehnen sie Hochzeiten nach arabischer Tradition ab. Stattdessen entscheiden sie sich für eine Hochzeit nach altpersischem Stil. Diese Praxis wollen die Sittenwächter des Landes allerdings nicht gelten lassen: Im August vergangenen Jahres verboten sie nicht-religiöse Hochzeiten. Zeremonien, auf denen nicht aus dem Koran rezitiert wird, sind seitdem wieder verboten.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika