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BGH bestätigt: KZ-Sekretärin leistete Beihilfe zum Mord

Luisa von Richthofen
20. August 2024

Es war einer der letzten Prozesse gegen Täter des Nazi-Regimes: Der Bundesgerichtshof in Leipzig hat ein wichtiges Urteil zur Verantwortung von Menschen gefällt, die in deutschen Konzentrationslagern gearbeitet haben.

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Eine ältere Frau grauen Haare und mit Maske sitzt auf einem Stuhl, umringt von Männern in dunklen Uniformen
Dezember 2022: Die Angeklagte Irmgard Furchner am Tag des ersten Urteils im Landgericht ItzehoeBild: Christian Charisius/AP Photo/picture alliance

Sie war 18, als sie ihren Dienst als Stenotypistin, als Schreibkraft, im nationalsozialistischen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig (heute Gdansk in Polen, Red.) antrat. Trug Irmgard Furchner Mitverantwortung für das Grauen, das sich unter ihrem Fenster abspielte? Darüber hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Am Dienstag hat das oberste Gericht in der Bundesrepublik Deutschland ein früheres Urteil gegen die mittlerweile 99-jährige Irmgard Furchner bestätigt. Die ehemalige Sekretärin war im Dezember 2022 vom Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und Beihilfe zum versuchten Mord in fünf Fällen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Weil die Angeklagte damals 18 beziehungsweise 19 Jahre alt war, wurde sie nach Jugendstrafrecht verurteilt.

Irmgard F. - Sekretärin im KZ Stutthof
Eine Aufnahme von Irmgard Furchner aus der Zeit, als sie ihren Dienst als Stenotypistin im Konzentrationslager Stutthof antratBild: Bundesarchiv

BGH bestätigt erstes Urteil gegen frühere KZ-Sekretärin

Der BGH wies die Revision von Furchner zurück, die ihre Verteidiger gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt hatten. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass Furchner durch ihre Tätigkeit als Sekretärin des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe einen entscheidenden Beitrag zur Funktionsweise des Konzentrationslagers leistete. Durch ihre Tätigkeit trug sie, so der BGH, eine Mitverantwortung für die systematische Ermordung der Häftlinge.

Urteil gegen frühere KZ-Sekretärin bestätigt

Mehr als 60.000 Menschen starben im deutschen Konzentrationslager Stutthof, jüdische Gefangene, aber auch polnische Partisanen und sowjetische Kriegsgefangene.

Die Verteidiger hatten argumentiert, dass ihre Mandantin sich nicht bewusst gewesen sei, Teil des mörderischen Apparats zu sein. Sie habe ihre Arbeit als "normale Sekretariatstätigkeit" wahrgenommen. Außerdem sei eine handfeste Beihilfe zum Mord nicht nachzuweisen. Es sei unklar geblieben, welche Befehle und Schreiben sie konkret getippt hatte.

In der "Schaltstelle" des Konzentrationslagers

Der BGH folgte jedoch der Argumentation der Bundesanwaltschaft, also der Anklage. Das Argument, ihre Tätigkeit hätte lediglich einen Alltagscharakter gehabt, lehnte der Gerichthof ab. Sie habe von "dem verbrecherischen Handeln der von ihr unterstützten Haupttäter positive Kenntnis" und sich "durch ihre dennoch erbrachten Dienste gleichsam mit ihnen solidarisiert".

"Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin war für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung", urteilte der BGH. Oder, wie es ihr Ankläger Udo Weiß, formulierte: Irmgard Furchner saß direkt und freiwillig in der "Schaltstelle" des KZs.

Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Gebäudes vor dem Fahnen mit dem Hakenkreuz hängen
Das Gebäude des Kommandantur im Konzentrationslager Stutthof. Hier arbeitete Irmgard Furchner als SchreibkraftBild: Muzeum Stutthof

Zur Frage, ob eine Frau in diesem hohen Alter noch verurteilt werden sollte, erklärte die BGH-Richterin: "Das Gesetz ist eindeutig: Mord verjährt nicht." Dies gilt auch für die Beihilfe zum Mord.

Auch die Anwälte der 23 Nebenkläger begrüßten das Urteil. Einige sind bereits verstorben. Ursprünglich hatten sich 30 Nebenkläger, darunter Überlebende des Lagers aus Polen und Israel der Anklage in Itzehoe angeschlossen. Seinen Mandanten ginge es nicht um Rache oder Vergeltung, sagte Rechtsanwalt Onur Özata im Interview mit der Deutsche Welle. Man habe durch eine verfehlte Rechtsprechung dafür gesorgt, dass zehntausende Täter unbehelligt ihr Leben leben konnten. Das BGH-Urteil sei "eine bedeutende Entscheidung, weil gesagt wird, dass sich die Angeklagte nicht damit rausreden kann, sie habe nur Papierkram erledigt. Mit dieser Ausrede kommt man eben nicht mehr davon."

Porträt des Rechtsanwalts Onur Özata in Hemd und Anzug, der ernst in die Kamera schaut
Rechtsanwalt Onur Özata vertritt drei Überlebende des KZ StutthofBild: Reiner Zensen/imago

Spätes KZ-Urteil mit "historischer Bedeutung"

Im Prozess gegen Irmgard Furchner wurde erstmals eine Zivilangestellte angeklagt. Mit diesem Urteil setzt der Bundesgerichtshof ein weiteres Zeichen, dass auch Personen, die "nur" administrative Tätigkeiten in Konzentrationslagern ausübten, für die Verbrechen des NS-Regimes zur Verantwortung gezogen werden können.

Noch immer ermittelt die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg gegen mutmaßliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Konzentrationslagern. Allerdings werden die Ermittlungen wegen des hohen Alters der möglichen Täterinnen und Täter immer mehr zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Auch wenn die Verdächtigen noch leben, eröffnen Gerichte kein Verfahren, wenn die Angeklagten aus gesundheitlichen Gründen nicht als prozessfähig gelten. Der Prozess gegen Irmgard Furchner könnte eines der letzten Verfahren sein. Sie selbst hatte versucht, vor dem Verfahren zu fliehen.

Später Prozess gegen ehemalige KZ-Sekretärin

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, begrüßte das Urteil. Schuster sagte in Berlin, das BGH-Urteil gegen die heute 99 Jahre alte Angeklagte sei richtig. "Es geht nicht darum, sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter zu stecken. Es geht darum, dass sich eine Täterin für ihre Taten verantworten und Worte finden muss, für das, was geschehen ist und für das, woran sie beteiligt war." Umso schwerer wiege "das fehlende Schuldeingeständnis der Täterin".

Für Christoph Heubner, Vorsitzender des internationalen Auschwitz Komitees, hat dieses Urteil eine historische Bedeutung. Gerade in Deutschland habe es viele Täter und Täterinnen gegeben, "die im Mordapparat der Konzentrationslager Mitverantwortung getragen und nie einen deutschen Gerichtssaal von innen gesehen haben. Sie konnten stattdessen in Ruhe ihre Rente genießen."