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Atomkraft: Ende oder Renaissance?

5. Februar 2021

In Deutschland gehen bis Ende 2022 die letzten Reaktoren vom Netz. Der Ausstieg aus der Atomkraft ist damit vollzogen – die Suche nach einem Endlager bleibt ungelöst. Wie steht es um die Zukunft der Atomkraft weltweit?

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Der Kernreaktor Hualong One in der chinesischen Fujian-Provinz Ende Januar 2021
China baut weltweit die meisten AtomreaktorenBild: Lin Shanchuan/Xinhua News Agency/picture alliance

In 32 von 195 Staaten sind derzeit 413 Atomreaktoren in Betrieb. Nach Angaben des jährlich erscheinenden World Nuclear Industry Status Reports (WNISR) deckte die Atomkraft 2019 rund 10 Prozent des globalen Strombedarfs. 1996 war der Anteil am höchsten und lag bei 17,5 Prozent.

Die meisten Reaktoren wurden zwischen 1968 und 1986 vor allem in Europa, USA, der ehemaligen Sowjetunion und Japan gebaut. Das globale Durchschnittsalter der Reaktoren liegt bei 31 Jahren.  

Infografik: Ein weltweiter Überblick über die Atomkraft

USA: Zukunft der Atomkraft ungewiss

In den USA sind derzeit 94 Atomreaktoren zur Stromerzeugung in Betrieb – mehr als in jedem anderen Land der Welt. 2019 deckten sie 20 Prozent des Strombedarfs.  

Die meisten Reaktoren gingen bis 1985 in Betrieb und nur einer innerhalb der letzten 20 Jahre. Mit dem Bau von zwei Reaktoren wurde 2013 begonnen. Diese sind weit hinter dem Zeitplan, sollen aber in den nächsten Jahren ans Netz gehen. Die USA haben die älteste Reaktorflotte in der Welt mit einem Durchschnittsalter von 40 Jahren.

Die Zukunft der Atomkraft ist in den USA ungewiss. Ob neue Reaktoren zur Stromerzeugung gebaut werden ist offen. Zwar gibt es Konzepte für eine neue Reaktorgeneration, doch fraglich ist, ob sie eines Tages so günstig Strom erzeugen könnten wie mit Erneuerbaren Energien.

Ein Endlager für hochradioaktiven Müll gibt es in den USA nicht. Gelagert wird er vor Ort an den Kraftwerken. 

Atomkatastrophe von Tschernobyl, Luftaufnahme vom zerstörten Reaktor (1986)
1986, nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl, wurden weltweit Reaktorbauten gestopptBild: picture-alliance/AP

Russland will Atomkraftwerke exportieren

In Russland produzieren derzeit 38 Atomreaktoren Strom. 2019 deckten sie circa 20 Prozent des Strombedarfs. Innerhalb der letzten zehn Jahre sind zehn neue Reaktoren ans Netz gegangen. Zwei Reaktoren sind seit 2018 und 2019 im Bau und sollen in den nächsten Jahren folgen. Das Durchschnittsalter der Reaktoren liegt bei 28 Jahren.

Russland will den Bau von Atomkraftwerken im eigenen Land nicht mehr subventionieren. Der Start von neuen Bauprojekten im Inland ist deshalb ungewiss. Der Staatskonzern Rosatom will vor allem mit dem Bau von Reaktoren im Ausland Geld verdienen und bietet Reaktoren inklusive Finanzierung an. Derzeit sind laut WNISR zehn russische Reaktoren im Ausland im Bau; jeweils zwei in Bangladesch, Indien, Türkei und Slowakei, jeweils einer in Iran und Belarus.

Ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll hat Russland nicht. Kritiker bemängeln fehlende Transparenz beim Umgang mit Atommüll.

Zwei Männer stehen an der Baustelle des schnellen Brüters im indischen Kalpakkam (2004)
Baustart (2004) eines sogenannten schnellen Brüters in Indien. 2021 ist er noch nicht fertig und wird viel teurer.Bild: Pallava Bagla/Corbis/Getty Images

Atomkraft wird in Indien zu teuer

In Indien erzeugen derzeit 21 Reaktoren Strom. 2019 lag der Anteil von Atomstrom im Netz bei drei Prozent. Drei Reaktoren gingen innerhalb der letzten zehn Jahre ans Netz und sechs weitere werden gebaut. Das Durchschnittsalter der Reaktoren beträgt 23 Jahre.

Der Ausbau der Atomkraft hat sich allerdings stark verzögert und somit verteuert. Atomstrom aus neuen Reaktoren wird so zur teuersten Energie.

2012 ging die indische Planungskommission davon aus, dass die Gesamtleistung aller Reaktoren bis 2027 von damals knapp fünf Gigawatt (GW) auf bis zu 30 GW steigen würde

Heute sind Reaktoren mit einer Leistung von weniger als sieben GW am Netz. Die Reaktoren in Bau haben eine Gesamtkapazität von vier GW. Da die Bauzeiten von Reaktoren in Indien mehr als zehn Jahre beträgt, werden 2027 maximal elf GW am Netz sein, fast dreimal weniger als geplant.

Ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll hat Indien nicht.

Japan März 2011: Ein Atomreaktor in Fukushima explodiert
2011 werden vier Reaktoren im japanischen Fukushima durch Explosion und Kernschmelzen zerstörtBild: dapd/NTV/NNN Japan

China: Mehr Erneuerbare statt Atomkraft

China ist weltweit Spitzenreiter beim Neubau von Kernkraftwerken. In den letzten zehn Jahren sind 37 Reaktoren ans Netz gegangen. Laut WNISR erzeugten Anfang 2021 49 Reaktoren Strom und 17 weitere Reaktoren werden derzeit gebaut. Der Anteil von Atomkraft im Strommix lag 2019 bei fünf Prozent.

Aber auch China baute deutlich weniger Reaktoren als ursprünglich im Fünfjahresplan vorgesehen. Gleichzeitig nimmt der Ausbau der Erneuerbaren Energien in China rasant zu.

So gingen 2020 laut nationaler Energiebehörde 72 GW Windkraft, 48 GW Photovoltaik und 13 GW Wasserkraft ans Netz. Atomkraftwerke steuerten im selben Jahr lediglich zwei GW Neukapazitäten bei.

China hat kein Endlager für hochradioaktiven Müll und erkundet eins in der Wüste Gobi. Derzeit wird der Atommüll an den Reaktorstandorten zwischengelagert.

Infografik: Prognose Stromkosten 2030 in Europa mit Atomkraft, Photovoltaik und Windkraft im Vergleich

Frankreich: Milliardengrab Atomwirtschaft

Frankreich hat wie kein anderes Land auf der Welt in den letzten Jahrzehnten auf Atomkraft gesetzt. Derzeit sind noch 56 Kraftwerke in Betrieb, eines befindet sich im Bau. 2019 wurde fast 71 Prozent des Strombedarfs mit Atomkraft gedeckt. Die Kraftwerke haben ein Durchschnittsalter von 36 Jahren, der letzte Reaktor ging 1999 ans Netz.

Der weltweit größte Atomstromerzeuger und Staatskonzern EDF ist mit 42 Milliarden Euro verschuldet und muss bis 2030 geschätzte 100 Milliarden in den Weiterbetrieb der Altreaktoren investieren.

Offen ist, ob noch neue Reaktoren für Atomstrom in Frankreich gebaut werden. Diese Entscheidung wurde vertagt und soll nach der nächsten Wahl 2022 von der neuen französischen Regierung getroffen werden.   

Ein Endlager für hochradioaktiven Müll gibt es in Frankreich nicht. 

Der Reaktor der neusten Generation im französischen Flamanville, der 2012 ans Netz gehen sollte, soll nun erst 2023 Strom erzeugen
Der Reaktor im französischen Flamanville wird nun erst 2023 fertig - geplant war, ihn 2012 in Betrieb zu nehmen Bild: Reuters/B. Tessier

Polen: Kein Investor für Atomstrom

Polen plant seit 1980 den Einstieg in die Atomkraft und begann mit dem Bau von zwei Reaktoren, stellte aber die Bauarbeiten nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) ein.

Danach gab es immer wieder Versuche für einen Neustart. 2014 verabschiedete die Regierung einen Plan zum Bau neuer Reaktoren. Der Erste sollte bis 2024 ans Netz gehen. Bislang gibt es jedoch außer Plänen wenig Konkretes und keinen Investor, der mit der teuren Technik noch Strom erzeugen will.

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion