1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Argentiniens Version von Venezuelas Mangelpolitik

Jan D. Walter/Evan Romero3. September 2014

Ein neues Versorgungsgesetz soll in Argentinien die Rechte der Verbraucher stärken. Doch in Venezuela hat eine ähnliche Politik die Versorgungsdefizite vergrößert. Es regt sich Widerstand.

https://p.dw.com/p/1D64P
Leere Supermarkt-Regale in Caracas, Venezuela AFP PHOTO / Leo RAMIREZ (Photo credit should read LEO RAMIREZ/AFP/Getty Images)
Bild: LEO RAMIREZ/AFP/Getty Images

Argentinien steht vor einem weiteren Eingriff in die wirtschaftlichen Abläufe durch die Politik. Am Mittwoch entschied der Senat in Buenos Aires, dass ein neues Versorgungsgesetz dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt wird.

Das Gesetz würde der Regierung massive Eingriffe in die Privatwirtschaft ermöglichen: Sie könnte Preis- und Gewinngrenzen einführen, Unternehmen dazu zwingen, auch unter Verlusten zu produzieren, und sogar Waren und Betriebseigentum enteignen. Schon vor Monaten ist die argentinische Regierung dazu übergegangen, Schlüsselmärkte zu regulieren. Die Maßnahmen betreffen sogar Grundnahrungsmittel wie Rindfleisch und Weizen, den Energiesektor sowie den Devisenmarkt. Das neue Gesetz würde solche Eingriffe grundsätzlich für alle Wirtschaftsbereiche erlauben.

Die Regierung reagiert mit der Gesetzesinitiative auf die anhaltende Wirtschaftskrise. Immer wieder fehlen Alltags-Produkte in den Regalen der Supermärkte. Und die Produkte, die es gibt, werden nahezu im Wochenrhythmus teurer: Allein im vergangenen August haben sich die Grundnahrungsmittel um 2,85 Prozent verteuert. Seit Jahresbeginn ist ihr Preis um annähernd 25 Prozent gestiegen.

"Staatliche Eingriffe haben die Versorgungsengpässe hervorgerufen und jetzt will die Regierung sie auch noch ausweiten", sagt Ana Soliz Landivar vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerikastudien.

Parallelen zu Venezuela

Einen Tag vor der Abstimmung sprach der venezolanische Spitzenpolitiker Diosdado Cabello zum argentinischen Senat. Spekulationen, der Präsident der Nationalversammlung in Caracas solle die Senatoren auf die Eingriffe einschwören, wies der regierungsnahe Abgeordnete Edgardo Depetri zurück. Assoziationen mit Vorgängen in Venezuela kann er damit jedoch nicht vom Tisch wischen. Die Situation in Venezuela ist noch viel dramatischer. So löste im Mai 2013 die Meldung vom Mangel an Toilettenpapier in dem Karibikland international Spott und Bedauern aus.

Um seine Bevölkerung zu ernähren, muss Venezuela mehr als zwei Drittel aller Lebensmittel importieren. Doch die Öleinnahmen - Venezuelas einzige Devisenquelle - reichen kaum noch, um die Versorgung zu gewährleisten.

Die Regierung macht dafür die Wirtschaft verantwortlich. Zudem würden Schmuggler die subventionierten Lebensmittel gewinnbringend in Kolumbien verkaufen. Angeblich, um das zu verhindern, müssen sich die Kunden nun per Ausweis und Fingerabdruck registrieren lassen, wenn sie Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs kaufen wollen.

Cristina Kirchner, Argentiniens Präsidentin, AFP PHOTO / Juan Mabromata (Photo credit should read JUAN MABROMATA/AFP/GettyImages)
Flammende Reden sind das Markenzeichen von Argentiniens Staatspräsidentin Cristina KirchnerBild: AFP/Getty Images

Ein ur-argentinisches Konzept

"Fehlende Investitionen in die Infrastruktur und die eiserne Kontrolle des Devisenhandels und Subventionen behindern in beiden Ländern Produktivität und Importe ", sagt Politikwissenschaftlerin Soliz Landivar. Doch sie stellt klar: "Das argentinische Versorgungsgesetz ist kein Abklatsch der venezolanischen Politik. Es wurde zwar bisher nur selten angewendet, stammt aber aus der letzten Regierungszeit von Juan Domingo Perón."

Der argentinische General Juan Perón regierte Argentinien von 1946-1955 und von 1973 bis zu seinem Tod 1974. Der Kult um Perón und seine Frau Eva, genannt "Evita", wird oft als Paradigma des lateinamerikanischen Caudillismo angeführt, bei dem die Macht eines Regenten weniger auf einem politischen Programm als auf seinem Charisma basiert. Auf die eine oder andere Weise beziehen sich in Argentinien fast alle Parteien auf Perón - ohne dass dies einen Rückschluss auf ihre politische Ausrichtung zuließe.

In dieser Tradition steht erklärtermaßen auch die Regierung von Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner. Die ökonomische Krise ihres Landes beantwortet sie regelmäßig mit flammenden Reden und dirigistischen Eingriffen: "Den Rückhalt in der Bevölkerung versucht sie mit gezielter Subventionierung zu erhalten", erklärt Soliz Landivar.

Unternehmer wehren sich

Noch ist die Wirtschaftsleistung in Argentinien höher als in Venezuela, doch es werden Befürchtungen laut, dass das neue Gesetz die Abwärtsspirale beschleunigen könnte. "Mag sein, dass sich die Situation Argentiniens an die in Venezuela angleicht", sagt Víctor M. Mijares, der ebenfalls am GIGA-Institut forscht, " aber die argentinischen Unternehmen haben mehr Möglichkeiten, sich gegen die staatlichen Kontrollen zur Wehr zu setzen als die venezolanischen."

Zwar soll das Gesetz kleine und mittlere Unternehmen von den Zwangsmaßnahmen ausnehmen, und auch die großen sollen Kompensationen für Verluste einklagen können, die durch das Gesetz entstehen; dennoch schlägt der Regierung massiver Widerstand aus der Unternehmerschaft des Landes entgegen.

Die "Gruppe der Sechs", ein Gremium der verschiedenen Wirtschaftssektoren, hat bereits Verfassungsklage angekündigt, sollte das Gesetz in Kraft treten; es verstoße eindeutig gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.