Warum der Alkoholkonsum in Indien steigt
2. Oktober 2022Eine in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichte Studie hat kürzlich gezeigt, wie genau der Alkoholkonsum in Indien in den vergangenen drei Jahrzehnten angestiegen ist. Der Analyse zufolge trinken vor allem Männer zwischen 40 und 64 Jahren mehr. Der Anstieg liegt bei 5,63 Prozent seit 1990. In der Altersgruppe der 15- bis 39-Jährigen sind es 5,24 Prozent und bei Senioren beträgt der Zuwachs 2,88 Prozent.
Indiens jüngster nationaler Gesundheitsbericht, der im Mai veröffentlicht wurde, stellt starke geschlechtsspezifische Unterschiede fest: Durchschnittlich trinkt rund ein Prozent der Frauen ab 15 Jahren Alkohol, bei den Männern sind es ganze 19 Prozent. Regional weichen die Zahlen davon teils stark ab: Im nordöstlichen Bundesstaat Arunachal Pradesh konsumieren statistisch 24 Prozent der Frauen und 53 Prozent der Männer alkoholische Getränke - ein landesweiter Rekord.
Höhere Einkommen, mehr Städter - mehr Alkohol
Der zunehmende Alkoholkonsum hat verschiedene Gründe, darunter der Anstieg verfügbarer Einkommen und das Wachstum der städtischen Bevölkerung. "Die fortschreitende Urbanisierung, der leichtere Zugang und die Werbung tragen zusammen zu dem erhöhten Alkoholkonsum bei", erklärt Girdhara Babu von der Stiftung für öffentliches Gesundheitswesen in Indien, im Gespräch mit der DW. "Und übrigens", so der Professor, "sind die Alkoholsteuern eine Haupteinnahmequelle der Bundesstaaten."
Für Indiens 20 Milliarden US-Dollar schweren Alkoholmarkt wird prognostiziert, dass er im Zeitraum von 2021 bis 2025 um sieben Prozent jährlich zulegt, so die Nachrichtenagentur Reuters. Indien war einer der am schnellsten wachsenden Spirituosenmärkte, bis die COVID-Pandemie den Verbrauch um knapp zwölf Prozent einbrechen ließ.
"Die Verbreitung und Häufigkeit von Alkoholgenuss wächst mit der sozialen Akzeptanz, der Verstädterung, der Unabhängigkeit von Frauen, den steigenden Gehältern und innovativen Produkten", betont Vinod Giri, Präsident der Vereinigung indischer Alkoholproduzenten im Gespräch mit der DW. "Das ist ein normaler Trend, weil Indien sich sozial und wirtschaftlich entwickelt, und wir erwarten, dass das eine Weile so weitergehen wird."
Nach der Isolation der Pandemiejahre treffen sich nun immer mehr junge Leute, vor allem in den Städten, in Restaurants, Clubs, Kneipen und Bars. Und kurz vor den Hindu-Feiertagen pushen die Unternehmen Produktion und Vertrieb, um den Verkauf und die Profite zu maximieren.
"Ein beträchtlicher Teil der Zuwächse stammt aus neuen Produktlinien wie Light-Bier und Wein, anderen Leichtgetränken, Spirituosen und Single-Malt-Whisky", berichtet Vijay Kauthekar, Vizepräsident Verkauf der Firma John Distilleries in Bangalore, der DW. "Indien kannte in den 1990er Jahren keine gute Esskultur, und nur wenige Clubs und Restaurants schenkten Alkohol aus. Das hat sich total verändert, wir haben jetzt eine feine und lebhafte Tischkultur, in den Metropolregionen ebenso wie in kleineren Städten."
Massive Probleme mit Schwarzgebranntem
Trotz des steigenden Absatzes von Markenprodukten sind Probleme mit illegal gebrauten oder gebrannten Getränken weiterhin verbreitet. Illegal hergestellter Alkohol ist ein enorm profitabler Markt in Indien geworden. Schwarzbrenner zahlen keine Steuern und verkaufen riesige Mengen ihres Fusels zu billigen Preisen an die Armen.
Todesfälle durch schwarz gebrannten Schnaps sind in Indien üblich, und hunderte Menschen verlieren jedes Jahr ihr Augenlicht dadurch. Laut der amtlichen Kriminalitätsstatistik sind zwischen 2016 und 2020 in Indien 6172 Personen durch illegal hergestellten Alkohol gestorben. Etwa fünf Milliarden Liter Alkohol werden pro Jahr in Indien konsumiert. Der Verband der Wein- und Spirituosenhersteller schätzt, dass 40 Prozent davon schwarz produziert wird.
Diese Spirituosen werden oft mit Methanol gestreckt, um den Alkoholgehalt zu erhöhen - und der Verzehr von Methanol kann zu Erblindung, Leberschäden und auch zum Tod führen.
Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs