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AfD will in Thüringen an die Regierung

1. September 2024

Die in Thüringen und Sachsen rechtsextreme AfD hat bei den dortigen Landtagswahlen Rekordergebnisse erzielt. Eine Regierungsbeteiligung ist unwahrscheinlich, da andere Parteien eine Zusammenarbeit ausschließen.

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Björn Höcke reckt beim Verlassen der AfD Wahlparty die Hände in Siegerpose in den Himmel
Björn Höcke fordert, die AfD müsse nach ihrem großen Gewinn bei der Landtagswahl in Thüringen an die Regierung.Bild: Daniel Vogl/dpa/picture alliance

Erstmals ist die Alternative für Deutschland, AfD, bei einer Landtagswahl zur stärksten Partei gewählt worden. In Thüringen gelingt ihr ein Ergebnis von mehr als 33 Prozent. Bei den Landtagswahlen In Sachsen liegt die AfD ebenfalls bei mehr als 30 Prozent - nur knapp hinter den Christdemokraten (CDU).  

Das Ergebnis war mit Spannung erwartet worden, da die AfD in Thüringen - wie auch in Sachsen - vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird.

Landtagswahl in Thüringen

Der AfD-Landesvorsitzende von Thüringen, Björn Höcke, gilt als einer der radikalsten Politiker Deutschlands: Immer wieder fällt er mit Bezügen zum Nationalsozialismus auf. Ein Gericht verurteilte ihn allein im Jahr 2024 zwei Mal wegen der Verwendung einer Parole aus dem Nationalsozialismus.

AfD sieht klaren Regierungsauftrag

Gleich nach Bekanntwerden der ersten Wahlprognosen machte der Co-Vorsitzende der Bundes-AfD, Tino Chrupalla, Druck auf die anderen Parteien: "Eines ist ganz klar: Der Wählerwille ist, dass es einen Politikwechsel geben soll", erklärte er im Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF. Zentrale Forderung der AfD ist eine Wende in der deutschen Migrationspolitik. Mit massiven Kampagnen hatte die Partei im Wahlkampf Massenabschiebungen von Geflüchteten aus Deutschland gefordert und damit über Monate die politischen Debatten bestimmt.

Wahlplakate zur Landtagswahl: AfD-Wahlplakat mit der Aufschrift "Der Osten machst - Sommer, Sonne, Remigration"; auf dem Flugzeug steht in kleiner Schrift "Abschiebe-Hansa"
Die AfD forderte im Wahlkampf Massenabschiebungen von GeflüchtetenBild: dts-Agentur/dpa/picture alliance

Für Thüringen sieht Chrupalla seine Partei als Sieger: "Wir haben in Thüringen einen klaren Regierungsauftrag", sagte er im ZDF. 

In einem ersten Interview am Wahlabend leitete der Thüringer AfD-Landeschef Höcke ebenfalls einen klaren Wählerauftrag aus dem Wahlergebnis ab: "Wir sind die Volkspartei Nummer Eins in Thüringen", sagte Höcke im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD. Seine Partei werde zunächst die politische Lage und mögliche Koalitionspartner analysieren "und dann werden wir entscheiden, wem wir Gesprächsangebote unterbreiten", so Höcke. 

In seinem eigenen Wahlkreis erlitt der AfD-Spitzenkandidat eine pikante Niederlage: Er verlor die Direktwahl ins Parlament gegen einen Kandidaten der CDU. In den Landtag Thüringens kann er nur über die Landesliste einziehen, oder wenn ein anderer direkt gewählter AfD-Politiker zugunsten Höckes auf sein Mandat verzichtet. 

Am Ende könnte die AfD trotz der Wahlerfolge in der Opposition bleiben. Denn alle anderen Parteien schließen eine direkte Zusammenarbeit mit der AfD aus. Deswegen gilt eine Regierungsbeteiligung trotz der Wahlerfolge sowohl in Thüringen als auch in Sachsen als eher unwahrscheinlich. Ausgeschlossen ist sie nicht, denn die Wahlergebnisse machen eine Regierungsbildung für alle Parteien kompliziert. 

Warnung vor Schaden für die Demokratie

Der Aufstieg der AfD in Deutschland wird seit Jahren von massiven Protesten und Warnungen begleitet. Rechtsextremismus-Forscher sehen bei der AfD eine ideologische Nähe zu rassistischen und antidemokratischen Traditionen.

Immer wieder ziehen politische Beobachter Parallelen zum Aufstieg der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler. Seine Partei, die NSDAP, schaffte im Jahr 1929 im Land Thüringen erstmals eine Beteiligung an einer Regierung. Die NSDAP begann daraufhin mit ersten Säuberungen des Beamtenapparats und besetzte wichtige Ämter mit eigenen Parteigängern.

Sieben Personen sitzen an einem langen Tisch mit der Aufschrift "Menschenwürde verteidigen - AfD Verbot jetzt"
Jens-Christian Wagner (am Mikrofon) fordert ein Verbot der AfDBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Jens-Christian Wagner nennt die aktuelle Politik der AfD "menschenverachtend und widerlich". Der Historiker ist Leiter der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Die Thüringer Gedenkstätte ist eine der wichtigsten deutschen Erinnerungsstätten an die Schrecken des Nationalsozialismus. 

Mit einer ungewöhnlichen Aktion warnte er vor der Wahl der AfD in Thüringen. In einem Schreiben an 350.000 Haushalte des Bundeslandes warf er Björn Höcke vor: "Er versucht die nationalsozialistische Sprache wieder salonfähig zu machen." Für seine Mahnung erhält Wagner Morddrohungen.

Auf seinen Social-Media-Accounts nennt der Gedenkstättenleiter die ersten Wahlergebnisse ein Desaster für die Demokratie.

Denn allen Warnungen zum Trotz: die AfD steht nach den Wahlen kraftvoller da denn je. Und in allen ersten Äußerungen machen ihre Spitzenpolitiker gleich zu Beginn des Wahlabends deutlich: Sie wollen die deutsche Politik massiv verändern.

AfD hat Blockademehrheit

Ein besonderes Machtinstrument hat die AfD nach den Wahlen mit der sogenannten Sperrminorität. Mit ihrem Stimmenanteil in Sachsen und Thüringen kann sie dort alle Entscheidungen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, sperren oder blockieren. Ohne die AfD geht dann nichts. Mithilfe der Sperrminorität können also wichtige demokratische Prozesse lahmgelegt werden.

Zum Beispiel in der Justiz. Die steht in Thüringen angesichts einer riesigen Pensionierungswelle vor dem Umbruch. Mit ihrer Sperrminorität kann die AfD die Ernennung von Verfassungsrichtern blockieren. Und sie kann die wichtige Arbeit des Richterwahlausschusses blockieren und damit die Ernennung von Richtern auf Lebenszeit.

Björn Höcke, Vorsitzender der Thüringer AfD, sitzt nach einer Verhandlungspause am 24.06.2024 im Landgericht Halle/Saale.
Björn Höcke, AfD-Landeschef in Thüringen, auf der Anklagebank Bild: endrik Schmidt/dpa/picture alliance

AfD-Landeschef Höcke hat vor den Wahlen deutlich gemacht, was er von der deutschen Justiz hält. Nach seiner zweifachen gerichtlichen Verurteilung wegen der Verwendung einer NS-Parole im Wahlkampf drohte er der Justiz im Juli 2024 auf seinen Social-Media-Kanälen: "Das werden wir uns nicht gefallen lassen." Die Entscheidung der unabhängigen Justiz nannte er politisch und diskreditierte gleich das gesamte demokratische System: "So schmeckt Willkür. Ich habe nicht mehr das Gefühl in einem funktionierenden Rechtsstaat zu leben."

Als stärkste politische Kraft hätte die AfD parlamentarischen Gepflogenheiten zufolge auch Zugriff auf das formal höchste Amt des Bundeslandes: das des Landtagspräsidenten. Das Amt ist unscheinbar, bringt aber weitreichenden Einfluss: Der Landtagspräsident organisiert die Wahl des Ministerpräsidenten, kann wichtige Beamte ein- und absetzen. Und er oder sie kann wichtigen Gesetzestexten die Unterschriften verweigern und damit formal ihre Gültigkeit verhindern. 

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"AfD geht es nicht nur um Parlamentsmehrheiten"

Dass die AfD voraussichtlich keine Regierungsbeteiligung erlangen wird, sei für die Partei nicht unbedingt enttäuschend, analysiert der Rechtsextremismus-Experte David Begrich vom Verein Miteinander e.V. in Sachsen-Anhalt. "Die AfD ist ja gerade in Ostdeutschland nicht nur eine Parlaments-Partei, in der es um numerische Mehrheiten im Parlament geht", sagte Begrich in dem Podcast "Zeitdiagnosen zu Rechtsextremismus und Antisemitismus" kurz vor der Wahl. "Sondern sie ist eben eine Parlaments- und Bewegungspartei." Das heißt, sie nutze ihre Parlamentsmandate, um mit Reden und Anträgen außerhalb der Parlamente Politik zu machen.

David Begrich steht vor einem Plakat des Vereins Miteinander in Magdeburg
David Begrich vom Verein Miteinander in Magdeburg, Sachsen-Anhalt, ist über das Erstarken der AfD besorgtBild: Benjamin Knight/DW

Davor warnen auch zahlreiche Vereine und Verbände in Deutschland. Sie beklagen seit Monaten, dass die AfD mit ihren migrationsfeindlichen Parolen die politischen Debatten stark nach rechts verschoben habe.

David Begrich vom Verein Miteinander warnt die Bundespolitik vor falschen Schlüssen aus den Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern. Etwa vor Polemik gegen Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, die sich einst hermetisch vom Westen abriegelte. "Nach den Wahlen wird wieder zu hören sein: 'Baut die Mauer wieder auf'." Solche Debatten seien destruktiv und würden engagierte Menschen in Ostdeutschland nur schwächen, kritisiert er. "Wenn man das nicht will, dann muss man sich radikal von der politischen Agenda der AfD abwenden und sich dem demokratischen Kern im Osten zuwenden." Nach den Wahlerfolgen der AfD gehe es darum, kleine demokratische Initiativen in der Provinz zu stärken und ihr Überleben zu sichern. 

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Hans Pfeifer Autor und Reporter